Kirchenmitarbeiter werden 15 Missbrauchsfälle vorgeworfen

Kirchenmitarbeiter werden 15 Missbrauchsfälle vorgeworfen
Im Missbrauchsprozess gegen einen früheren ehrenamtlichen Mitarbeiter der evangelischen Kirche vor dem Landgericht Hannover werden dem Angeklagten insgesamt 15 Straftaten zur Last gelegt. Die Vorwürfe reichten vom Streicheln der Geschlechtsteile und dem Zeigen pornografischer Videos bis zum Oral- und Analverkehr mit den minderjährigen Opfern, sagte Staatsanwältin Kirsten Kretzschmar am Freitag zum Auftakt der Verhandlung. Dabei habe er die Jungen teilweise durch Geschenke gefügig gemacht.

Die Taten sollen sich Kretzschmar zufolge zwischen 1993 und 2008 ereignet haben. Verhandelt werden die Fälle von vier Jungen. Der jüngste soll zur Tatzeit neun Jahre alt, der älteste 15 gewesen sein. Der Angeklagte sitzt seit Februar in Untersuchungshaft. Er kündigte an, dass er sich zu den Vorwürfen äußern wolle. Die Verhandlung vor der 3. Jugendkammer wird am Dienstag fortgesetzt.

Der Ehrenamtliche wurde nach Angaben eines Sprechers der Evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers sofort nach dem Bekanntwerden der Vorfälle von seinen Aufgaben entbunden. Der gelernte Bäcker ist ledig und hat keine Kinder. Er hatte die Jungen bei seiner Tätigkeit als Leiter einer Jugendgruppe der "Christlichen Jungenschaft Hannover" kennengelernt. Der eigenständig organisierte Verband unter dem Dach der Evangelischen Jugend nutzt Räume im Kirchturm der Epiphanias-Gemeinde im Norden Hannovers.

Tatort Privatwohnung

Der Angeklagte aus Hannover soll die Opfer auch mit in seine Wohnung genommen haben. Vor einem Jahr wandte sich ein Vater an den Gemeindepastor und stellte Strafanzeige gegen den Mitarbeiter. Um die Opfer zu schützen, hatte Pastor Jens Petersen nach eigenen Angaben die Information zunächst nur im engsten Mitarbeiterkreis seiner Gemeinde weitergegeben.

Der Vorsitzende Richter Dirk Gittermann kritisierte in der Verhandlung, die Vorwürfe gegen den Angeklagten seien lange Zeit nicht öffentlich gemacht worden. Er sehe ein erhebliches öffentliches Interesse und wolle das Verfahren nach Möglichkeit öffentlich führen, sagte Gittermann. "Ich möchte die rechtliche Aufarbeitung nicht deckeln."

"Eltern müssen hinsehen"

Der Pastor habe nach Bekanntwerden der Vorwürfe sofort die nötigen Maßnahmen getroffen, um weiteren Missbrauch auszuschließen, sagte ein Sprecher der hannoverschen Landeskirche am Freitag dem epd. Die polizeilichen Ermittlungen seien unterstützt worden. "Allerdings hat es gegenüber der Kirchengemeinde, der Kirchenleitung und der Öffentlichkeit an der nötigen und nach den Leitlinien der Landeskirche für Missbrauchsfälle erforderlichen Kommunikation gefehlt."

Als Vertreterin eines der Geschädigten sagte Anwältin Doris Kahle am Rande des Prozesses, ihre Mandanten erhofften sich eine Aufarbeitung der Ereignisse "und damit ein bisschen einen Abschluss". Eltern könnten nicht einfach darauf vertrauen, dass ihre Kinder in einer Einrichtung gut aufgehoben seien, sondern müssten immer sehr genau hinsehen. Das gelte etwa in Sportvereinen, aber auch in der Kirche, wo eigentlich das Vermitteln moralischer Werte erwartet werde.

Nordelbische Kirche zieht Konsequenzen

Zugleich wurde bekannt, dass die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche Konsequenzen aus den Missbrauchsvorfällen in Ahrensburg (Schleswig-Holstein) ziehen wird. Das geht aus einem Zwischenbericht hervor, den die Kirchenleitung am Freitag in Kiel veröffentlicht hat. So sollen künftig externe Gutachter alle Vorgänge, auch die im Jahr 1999, untersuchen.

Die Gutachter sollen prüfen, welche Konsequenzen gezogen werden müssen, damit sich Vorfälle wie die in Ahrensburg nicht wiederholen. Auch zu der Frage, wie kirchliche Strukturen künftig verändert werden müssen, erwartet die Kirchenleitung Hinweise der Rechtsanwälte. Als eine sofortige Konsequenz werden zum 1. August zwei unabhängige Ombudsfrauen in Hamburg und Schleswig-Holstein ihre Tätigkeit aufnehmen, an die sich Opfer sexueller Übergriffe im kirchlichen Raum wenden können.

"Wir müssen um der Opfer und um unserer eigenen Glaubwürdigkeit willen alles tun, damit Vorwürfen sexuellen Missbrauchs rückhaltlos nachgegangen wird", sagte Bischof Gerhard Ulrich, Vorsitzender der Nordelbischen Kirchenleitung. Wegen des Falls war Hamburgs Bischöfin Maria Jepsen vor zwei Wochen zurückgetreten. Ihr war vorgehalten worden, konkreten Hinweisen auf die Missbrauchsfälle nicht energisch genug nachgegangen zu sein.

epd/dpa