Als Menschen das erste Mal schuldig wurden und wegen eines Vergehens zur Rechenschaft gezogen wurden, war ihre Reaktion die gleiche, wie sie noch heute praktiziert wird: Sie schoben die Schuld auf einen anderen. Nach dem sogenannten Sündenfall im Paradies verweist Adam auf Eva, und Eva bezichtigt die Schlange. Damals wie heute bedecken Menschen ihre Blöße mit einem sprichwörtlich gewordenen Feigenblatt, wenn sie etwas eingestehen müssen, was doch offensichtlich scheint.
Die Reaktionen auf die Toten und Verletzten der Duisburger Loveparade am vorvergangenen Wochenende folgen genau diesem Muster: Die Verantwortung für Mängel am Sicherheitskonzept wird vom einen zum anderen durchgereicht. Die Stellungnahmen und Argumente scheinen dürr. Die Fragen und Vorwürfe von Betroffenen, von Teilnehmern der Loveparade und den Angehörigen der Opfer, werden lauter.
Das Entsetzen darüber, dass die Veranstalter möglicherweise ein übergroßes Risiko in Kauf genommen haben, um die Prestige-Party "durchzuziehen", kennt angesichts des hohen Preises dafür kaum Grenzen. "Rückhaltlose Aufklärung" wird allerorten gefordert und versprochen. Es geht darum, die Ursachen der tödlichen Ereignisse in Duisburg herauszufinden – und nach dem Verursacherprinzip auch die Schuldigen dafür zu benennen.
Überlebende mit Schuldgefühlen
Zwischen den Trauernden und den in der Kritik stehenden Veranstaltern zeichnet sich dabei eine regelrecht umkämpfte Frontlinie ab. Anschuldigungen, Vorwürfe, sogar Morddrohungen kursieren. Zudem plagen sich auch manche der dem tödlichen Gedränge Entkommenen mit Schuldgefühlen, weil sie nicht angemessen helfen konnten.
Mitunter scheint es, als wenn alle weiter um sich schlagen wie in dem beklemmenden Tunnel, dessen Enge und Dunkelheit so viele Besucher der Loveparade in Panik versetzt hatte. Und im übertragenen Sinne geht es auch für die Hinterbliebenen, die Trauernden wie auch die mit ihrer Verantwortlichkeit Hadernden, um Leben und Tod. Augenfällig, wenn auch im Einzelfall unermesslich, ist das Leid, das an einem heiteren Nachmittag über Familien und Freunde hereinbrach, die unter den Partygängern einen der ihren wussten – der oder die von diesem Event nicht mehr in den Alltag zurückkehren sollte.
Und wenn keiner dieses Leben retten konnte, so kämpfen sie um dessen Würde: mit ihren Forderungen nach Aufklärung, nach der Übernahme von Verantwortung, nach Strafe und Buße. Sie ringen um die Balance in ihrem Leben, dessen Sinngefüge aus dem Lot geraten ist. Den Tod hinzunehmen, ohne dass Schuldige dafür geradestehen und die Verantwortung übernehmen müssten, droht das zerstörte Leben ein weiteres Mal zu entwerten.
Rücktritte allein werden den Opfern nicht gerecht
Alle Beweggründe und Faktoren, die zur Katastrophe führten, müssen gesehen und gewichtet werden. Aus der vernichtenden Perspektive des "Hinterher" muss jeder seine Taten neu bewerten - und bewerten lassen. Entsprechend dem Ausmaß der Katastrophe aber steht die Verantwortung für 21 Tote im Raum, für Hunderte Verletzte, für jedes menschliche Maß übersteigende Schrecken und Traumata dieses Tages. Keine Antwort auf die drängenden Fragen, kein Schuldeingeständnis, keine Reue oder Bußübung kann diesen Berg wirklich abtragen.
Selbst der Rücktritt aller irgendwie mit den Vorbereitungen dieser Loveparade Befassten kann den Opfern ihrer Fehler nicht gerecht werden. Darum ringen auch die Verantwortlichen dieses Unglücks um ihr Leben, wenn sie mit noch so zierlichen Feigenblättern ihr menschliches Versagen zu kaschieren suchen. Das Ausmaß dieser Schuld sprengt das Sinngefüge auch ihres Lebens.
Halt in Gottes Hand
Wo die Bürde des Schmerzes, aber auch der Schuld das von Menschen Tragbare übersteigt, suchen gläubige Christen Halt in Gottes Hand. Von einem Gott, der selber den Tod erlitten hat, ist ihnen allen zugesagt, mit ihrer Last getragen zu sein. Doch auch mit dem Blick auf den biblischen Fall verbietet es sich, damit eigene Schuld weiter von sich zu weisen - und sie gar den Opfern oder Gott zuzuschieben.
So endete auch Adams und Evas Serie der Ausreden und die Täter mussten ihr Versteck im Gebüsch verlassen. Gott entließ die Menschen aus dem Paradies, dem Garten der Unschuldigen, in die Welt, denn sie wissen fortan zwischen gut und böse zu unterscheiden. Das müssen sich auch alle vor Augen halten, die im Vorfeld der Loveparade geplant, entschieden und genehmigt haben.