"Es gibt Dörfer, da fällt mir nichts mehr ein"

"Es gibt Dörfer, da fällt mir nichts mehr ein"
Bürgerbus-Vereine und Kircheninitiativen wollen Infrastruktur auf dem Land erhalten. Eine aktuelle Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bemängelt ebenfalls die schlechte Infrastruktur auf dem Land. Auch arme Menschen müssten auf dem Dorf ein Auto unterhalten, weil sie Termine bei der Arbeitsagentur oder bei Ärzten sonst nicht wahrnehmen könnten, heißt es darin.
22.07.2010
Von Karsten Packeiser

Der zentrale Marktplatz von Volxheim ist kein besonders belebter Ort. Ein paar hübsche Fachwerkhäuser, die kleine beige-gelb gestrichene evangelische Dorfkirche und drei Lindenbäume bilden das Dorfzentrum. Wer den morgendlichen Bus in die Kreisstadt Bad Kreuznach um 8.27 Uhr verpasst, hat an der Bushaltestelle knapp vier Stunden Zeit, um auf den nächsten zu warten. Bei Familien mit Kindern ist einer der Partner meist gut damit beschäftigt, den Nachwuchs zu Freunden und Vereinen zu kutschieren. "Nach den Hausaufgaben bin ich den ganzen Tag mit den Kindern unterwegs" erzählt eine Volxheimer Mutter.

EKD-Studie bemängelt schlechte Infrastruktur auf Land

Läden, Postfilialen und Gaststätten haben vielerorts in der deutschen Provinz schon längst geschlossen. Mittlerweile gibt es in der Bundesrepublik viele Dörfer, in denen sogar der Briefkasten abgebaut wurde. Rheinhessen, das Mainzer Umland, ist weder eine Region des wirtschaftlichen Niedergangs, noch ein demografisches Krisengebiet. Im Gegenteil: Noch profitieren die Winzerdörfer von der Wirtschaftskraft des nahen Rhein-Main-Gebiets. Doch auch hier sind viele alte Dorfkerne verödet.

"Wenn Sie in einer 1.000-Seelen-Gemeinde mit 70 den Führerschein abgeben, haben Sie ein richtiges Problem", sagt der rheinland-pfälzische Wirtschaftsstaatssekretär Siegfried Englert. Die Politik könne Ärzte nicht dazu zwingen, im ländlichen Raum präsent zu bleiben oder die großen Supermarktketten anweisen, auf ihre Preisschlachten zu verzichten. Neben Landfrauen und Fastnachtsvereinen werde es zukünftig auf dem Land auch Sozialvereine geben müssen, die sich um die weniger mobilen Anwohner kümmern, glaubt Englert.

Eine aktuelle Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bemängelt ebenfalls die schlechte Infrastruktur auf dem Land. Auch arme Menschen müssten auf dem Dorf ein Auto unterhalten, weil sie Termine bei der Arbeitsagentur oder bei Ärzten sonst nicht wahrnehmen könnten, heißt es darin.

Bürgerbus: Idee aus England kommt nach Deutschland

Die ursprünglich aus Großbritannien stammende Idee der Bürgerbusse - Kleinbuslinien mit festen Routen und ehrenamtlichen Fahrern - hat darum inzwischen auch in Deutschland Nachahmer gefunden. Vor allem in Nordrhein-Westfalen ist schon ein großes Netz entstanden: Die 92. Linie nimmt dort Ende Juli den Betrieb auf, ein weiteres knappes Dutzend ist in Planung.

Um einen Bürgerbus annähernd kostendeckend zu betreiben, müsse es mehrere hundert Menschen geben, die nicht an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind, sagt Franz Heckens, Umweltbeauftragter der Stadt Kevelaer und Vorsitzender des Vereins "Pro Bürgerbus NRW". Trotzdem bleibe oft am Jahresende oft ein kleines Defizit: "Es gibt Bürgerbusse, die einen gewissen Gewinn einfahren, aber das ist nicht die Regel." Viele Kirchengemeinden organisieren ebenfalls Mitfahrgelegenheiten - zumindest zum Gottesdienst oder zum Seniorentreff.

"Es gibt Dörfer, da fällt mir nichts mehr ein", seufzt Staatssekretär Englert. "Und dabei halten wir uns für ziemlich innovativ." Als neueste Idee lässt das Innenministerium derzeit in 15 Kommunen einen mobilen Bürgerkoffer testen. Mitarbeiter der Ämter besuchen kleinere Gemeinden oder auch Betriebe, um vor Ort Verwaltungsangelegenheiten wie Ummeldungen oder Anträge auf ein Führungszeugnis abzuwickeln - ein Modellprojekt, das auch in Krankenhäusern und Altenwohnheimen zum Einsatz kommen könnte.

Alltag von Pfarrern auf dem Land

Auf den Marktplatz von Volxheim bringt die Kirche zumindest während der Sommerferien etwas Leben. Für jeweils eine Woche parkt die Evangelische Jugend einen Bauwagen in kleinen Dörfern, in denen es sonst wenig bis gar keine Ferienangebote für Kinder gibt. "Der tingelt jetzt seit zwölf Jahren über die Gemeinden", erzählt Sabine Göhl, Jugendreferentin im evangelischen Dekanat Wöllstein.

Allerdings stehen die Kirchen auf dem Land selbst unter Druck. Dass ein Pfarrer gleich ein halbes Dutzend Ortschaften betreut, ist abseits der größeren Städte längst Normalität. Entweder hetzen die Seelsorger dann am Sonntag von einem Gottesdienst zum nächsten, oder aber die Kirchen werden nur noch alle paar Wochen aufgeschlossen.

Im Rhein-Lahn-Kreis bringt die evangelische Kirchengemeinde Altendiez betagten Dorfbewohnern täglich ein warmes Mittagessen aus der Kantine eines Seniorenheims nach Hause. "Wir wollten älteren Leuten so lange es geht ermöglichen, in ihrer gewohnten Umgebung zu leben", erklärt Pfarrer Adolf Tremper. Oft setzt er sich auch selbst ans Steuer. "Wenn ich ausfahre, habe ich gleich 15 oder 16 Leute besucht und seelsorgerische Gespräche geführt". 

epd