Missbrauchsfall auf Ameland: Vorwürfe an Regierung

Missbrauchsfall auf Ameland: Vorwürfe an Regierung
Die brutalen Sexüberfälle auf Kinder in einem Feriencamp auf Ameland haben ein politisches Nachspiel. Der Kinderschutzbund rät Eltern zu mehr Aufmerksamkeit bei Jugendreisen.

Nach der mutmaßlichen Misshandlung Osnabrücker Kinder auf der Insel Ameland hat die SPD-Landtagsfraktion in Niedersachsen der Landesregierung schwere Versäumnisse vorgeworfen. Vize-Fraktionschef Uwe Schwarz kritisierte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstag), dass sich die CDU/FDP-Regierung aus der Fort- und Weiterbildung von Jugendleitern fast komplett zurückgezogen habe. Das Land lasse die Verbände bei der Finanzierung allein, betonte Schwarz, der unter anderem auf eine Kürzung der Fördermittel für Bildungsstätten seit 2003 verwies. Er regte an, auch in Niedersachsen die Vorlage eines Führungszeugnisses von Jugendleitern zu prüfen.

Kinderschutzbund rät zu mehr Aufmerksamkeit

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, appellierte derweil an Eltern, genau darauf zu achten, mit wem sie ihre Kinder in den Urlaub schickten. Auch bei Reisen mit freien Trägern sollte es selbstverständlich sein, dass die Leitung eine gute sozialpädagogische Ausbildung, möglichst ein entsprechendes Studium und ausreichende Erfahrung hat, sagte er der Zeitung.

Hilgers betonte, dass er bisher den Eindruck gehabt habe, dass die freien Träger ihre Angebote sehr ordentlich organisieren. Vermutlich sei das auch bei dem Feriencamp auf Ameland der Fall gewesen. Dann allerdings sei die einzige Erklärung, die er für den Vorfall habe, dass einige Betreuer Urlaub gemacht hätten, statt ihre Aufgaben wahrzunehmen. Das Klima der Angst und Gewalt, das dort geherrscht haben müsse, müsste ihnen sonst aufgefallen sein, sagte er.

Polizei ermittelt

Im Feriencamp auf der niederländischen Insel Ameland sollen mehrere Jungen von anderen Jugendlichen sexuell schwer misshandelt worden sein. Der Sprecher der Osnabrücker Polizei, Georg Linke, bestätigte am Mittwoch, bei den Übergriffen sei den Opfern Gewalt angetan worden. Der Stadtsportbund Osnabrück hatte das Feriencamp auf einem Bauernhof ausgerichtet.

Die Ermittlungen richten sich derzeit gegen sechs bis acht Tatverdächtige, sagte Linke und bestätigte einen Bericht der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die Missbrauchsfälle geschahen in einer Jugendgruppe mit etwa 40 Kindern im Alter von 13 bis 16 Jahren.

Nach Angaben der Polizei ereigneten sich die Angriffe im Schlafsaal. Dort sollen laut Zeitungsbericht sechs 13-Jährige zum Teil mehrfach von einer Gruppe überwiegend älterer Jungen in die Mitte des Saals gezerrt und mit Gegenständen wie Colaflaschen sexuell hart und auf übelste Weise misshandelt worden sein.

Weitere Überfälle auf die Jungen seien nur gescheitert, weil sich die Opfer "verzweifelt an ihren Betten festgekrallt haben, über Feuerleitern geflüchtet sind oder erheblichen Widerstand geleistet haben", sagte der Leiter des Osnabrücker Jugendschutz-Kommissariats, Berndt Klose, der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Unterlassene Hilfeleistung?

Zum Kreis der Täter zählen nach Angaben der Beamten auch zwei 13-Jährige, die zuerst sogar selber Opfer waren. Weitere Details zu dem Gewaltausbruch wollte die Polizei nicht nennen. "Einerseits müssen wir die Opfer schützen", sagte Linke. Andererseits sollten die Ermittlungen nicht gefährdet werden.

Die Ermittler schlössen nicht aus, so heißt es in dem Bericht weiter, dass sich Betreuer der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht haben. Es gebe Aussagen, wonach sich Kinder noch vor Ort hilfesuchend an das Personal gewandt haben, doch das sei nicht gegen die Täter vorgegangen. Die Mutter eines Kindes hatte sich nach Rückkehr der Gruppe bei der Polizei gemeldet. Psychologisch geschulte Beamte des Jugendschutzkommissariats befragen zur Zeit die Betroffenen und ihre Eltern.

Ob es sich bei den Taten strafrechtlich gesehen tatsächlich um Vergewaltigungen handele, müsse die Staatsanwaltschaft prüfen. Für die strafrechtliche Würdigung seien auch Motivlage und die subjektive Einstellung der mutmaßlichen Täter notwendig, betonte Linke.

Buren: "In 40 Jahren ist so etwas noch nie passiert"

Das Camp war nach Darstellung des Stadtsportbundes Osnabrück eine Ferienfreizeit, an der 170 Jungen und Mädchen zwischen 8 und 16 Jahren von Ende Juni bis Anfang Juli in Buren auf Ameland teilgenommen hatten. In dem Dorf waren viele von den Nachrichten überrascht und entsetzt: "Das ist Negativ-Werbung für uns, wir sagen dazu nichts", sagte eine Nachbarin des Ferien-Bauernhofes.

Auch die Vermieterin, die ungenannt bleiben möchte, hielt sich bedeckt: "Wir haben von den Vorfällen nichts mitbekommen. In 40 Jahren ist so etwas noch nie passiert." In dem Haus selbst ist inzwischen eine Gruppe aus Nordrhein-Westfalen untergebracht, die von den Vorfällen der Vergangenheit nichts mitbekommen hat.

Die Kinder hatten während des Urlaubs Aktivitäten wie Kutschfahrten, Strandwanderungen oder Strandspiele und auch das Deutsche Sportabzeichen machen können. "Es war kein Trainingslager", betonte ein Sprecher des Sportbundes.

Leiter der Freizeit zurückgetreten

Nach Angaben des Vorsitzenden des Stadtsportbundes Osnabrück, Wolfgang Wellmann, hat es sich bei den Betreuern um qualifiziertes Personal gehandelt. Von daher könne man eigentlich voraussetzen, dass die Betreuer wüssten, wie sie sich beim Verdacht auf Missbrauchsfälle zu verhalten hätten.

Aus seiner Sicht sei allerdings noch nicht geklärt, was die Betreuer tatsächlich von den Vorfällen mitbekommen haben. Er wolle erst die polizeilichen Ermittlungen abwarten, sagte Wellmann. Aus diesem Grund bedauerte er, dass der ehrenamtliche Leiter der Freizeit bereits zurückgetreten ist. Dieser hatte erst nach der Rückkehr aus dem Ferienlager am 9. Juli von den Vorwürfen erfahren.

Der Osnabrücker Oberbürgermeister Boris Pistorius (SPD) reagierte entsetzt: "Ich hoffe, dass die Ermittlungsbehörden die Geschehnisse lückenlos aufklären können, die Opfer professionellen medizinischen und psychologischen Beistand erfahren und die mutmaßlichen Täter rechtliche Konsequenzen zu erwarten haben."

dpa