Ein geschützter Raum für große Gefühle

Ein geschützter Raum für große Gefühle
Fußball ist ein Spiel. Weiter nichts. Woher dann die Dramatik? Woher kommen all die Gefühle, die patriotischen und die persönlichen, fragt sich Pfarrer Stephan Krebs.
25.06.2010
Von Pfarrer Dr. Peter Kristen

Diese Gefühle kommen so intensiv, gerade weil es nur ein Spiel ist. Der Fußball schafft für eine kurze Zeit einen kleinen, geschützten Raum. Darin kann man sich den ganz großen Gefühlen hingeben, ohne dass man echte Folgen zu tragen hat. Im Alltag kommen die meistens nur in ganz kleinen Portionen vor. Und wenn doch, dann oft mit dramatischen Folgen. Zum Beispiel, wenn man etwas wichtiges verliert. Anders beim Spiel. Wenn es vorbei ist, dann halten die Gefühle vielleicht noch ein paar Minuten oder Stunden an. Aber dann kehrt man in sein eigenes Leben unverändert zurück.

Raum für große Gefühle

Zugegeben: Es gibt Ausnahmen. Etwa das Sommermärchen 2006, als die Fußball-WM in Deutschland stattfand. Da entdeckten viele Deutsche plötzlich, dass die Farben Schwarz-Rot-Gold nicht nur für ein schuldbeladenes Vaterland stehen. Sondern das sie auch ganz peppige Party-Farben sind. Heute gibt es sogar schwarz-rot-goldene Strümpfe für die Außenspiegel der Autos.

Ausnahme ist jetzt auch für Afrika, den abgehängten Kontinent. Für ihn ist es eine Ehre, zum ersten Mal dieses Turnier austragen zu dürfen - und das auch zu können. Deshalb gönne ich es dem Team aus Ghana von Herzen, dass es weitergekommen ist.

Aber normalerweise ist Fußball ein Spiel, nichts weiter. Es schafft Raum für große Gefühle. Es lässt Hoffen und Bangen. Es lässt Tränen fließen und Freudenschreie jubeln. Sieg und Niederlage werden hautnah erlebt und miteinander geteilt. Es ist das ganze Leben im Kleinen.

Das Stadion - ein Ort des Glaubens

Deshalb erleben Spieler und Zuschauer auch hautnah, dass sie das Spiel nicht wirklich im Griff haben. Sie sind einem Schicksal ausgeliefert, das sie nicht kennen, und einer Macht, deren Handeln sie nicht entrinnen können. Deshalb ist das Stadion auch ein Ort des Glaubens. Dort kann man Gott erfahren.

Die Spieler spüren das am intensivsten. Es ist kein Zufall, dass viele von ihnen religiös sind. Gut die Hälfte der deutschen Mannschaft bekennt sich zum christlichen Glauben, drei weitere sind engagierte Muslime. Der Mannschaftskapitän Philipp Lahm ist bewusst evangelisch, er unterstützt zum Beispiel kirchliche AIDS-Projekte.

Wenn Fußballern ein geniales Tor gelingt, dann dürfen sie sich von Gott beschenkt fühlen. Und wenn sie einen bösen Fehler machen, dann können sie sich der Gnade Gottes anvertrauen. Sie können sich dessen genauso wenig sicher sein wie wir alle. Aber sie können daran glauben und daraus ihre Zuversicht ziehen. Wie wir alle.

Befragt man die Spieler, wofür sie beten, dann sagen sie: Für ein faires Spiel, also für Gerechtigkeit. Gegen Verletzungspech, also für Gesundheit. Das sind Wünsche, die wir alle haben.

Wenn Gott ein Fußballer ist

Wenn Gott ein Fußballer ist, und davon gehe ich aus, denn Gott interessiert sich für uns Menschen und ist deshalb sicher auch in den Stadien. Also: Wenn Gott ein Fußballer ist, dann ist er sicher unter denen, die wissen, wo der Spaß aufhört und ein übertriebener Ernst anfängt. Dann ist er sicher bei denen, die mit ihrem Gegner so umgehen, wie sie wünschen, dass er mit ihnen umgeht.

In Südafrika tanzt er hoffentlich auch mit den Leuten in den Townships und lässt sie eine große Zuversicht daraus schöpfen, dass die Fußballwelt bei ihnen zu Gast ist.

Und am Mittwoch Abend, als das deutsche Team gegen das aus Ghana spielte, da war Gott sicher auch in Frankfurt Sachsenhausen. Das Spiel haben die deutsche Maria-Magdalena-Kirchengemeinde und die ghanaische Gemeinde zusammen geguckt. Lustig, leidenschaftlich und laut ist es da zugegangen. 200 Menschen haben mit gefiebert, Fähnchen geschwenkt und getrötet. Am Ende haben alle zusammen gefeiert.

 

 

 


Stephan Krebs wurde 1958 in Wiesbaden geboren. Er studierte in Heidelberg Theologie. Nach seinem Vikariat folgte ein Spezialvikariat an der Medienzentrale der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Frankfurt. Ab 1988 war er Gemeindepfarrer im südhessischen Egelsbach. 1994 absolvierte er eine Publizistische Zusatzausbildung für Theologen im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik und wurde anschließend für sechs Jahre Fachreferent im Büro der Rundfunkbeauftragten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Dort organisierte er bundesweit Gottesdienstübertragungen für das ZDF. Seit 2001 ist er Pressesprecher der EKHN in Darmstadt. Stephan Krebs hat vier Kinder.