Die Journalistin und Medienexpertin Mercedes Bunz hat Verlage aufgefordert, stärker in Onlinejournalismus zu investieren. In Deutschland gebe es massive Ängste, ob Qualitätsjournalismus im Internet eine Überlebenschance habe, sagte Bunz beim 6. Frankfurter Tag des Onlinejournalismus am Donnerstag in Frankfurt am Main. Onlinejournalismus sei aber nur so gut, wie ihn die Verlage mit der Ausstattung auch finanzieller Mittel machten.
Das Internet biete Journalisten neue Möglichkeiten, investigativ zu arbeiten, sagte Bunz weiter. Über soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook könnten Journalisten Netzwerke zu möglichen Informanten aufbauen und deren Material veröffentlichen. Zudem sei es möglich, Mediennutzer in aufwändige Recherchen einzubinden. Verlage und Journalisten müssten den so genannten Bürgerjournalismus ernst nehmen, um dessen Potenziale für die Verbesserung der eigenen Arbeit zu nutzen. "Aktuell verpassen wir Chancen, das zu tun", sagte Bunz.
Bunz, die als Redakteurin für Technik und Medien beim britischen "Guardian" arbeitet, wies auch auf neue Entwicklungen des Journalismus hin. So würden auch bei etablierten Medien wie der "New York Times" oder der "Washington Post" Gerüchte veröffentlich, um diese "anzutesten". Ziel der Medien sei es, Informanten zu finden und Gerüchte, die als solche kenntlich gemacht würden, auf ihre Wahrheit zu prüfen. Die neue Vermischung von "Fakt und Fiktion" sei zwar gefährlich, könne aber für investigative Arbeit genutzt werden.
Soziale Netzwerke bieten Chancen für den Journalismus
Der Chefredakteur der "Rheinzeitung", Christian Lindner, betonte ebenfalls die Chancen sozialer Netzwerke für den Journalismus. Per Twitter werde seine Redaktion sehr schnell von Bürgern aus der Region über Unfälle, Erdbeben oder andere bedeutende Ereignisse informiert. Zudem böten soziale Netzwerke die Chance, mit den eigenen Lesern einen Dialog zu führen und dadurch Themen aufzuspüren, "die die Menschen in der Region tatsächlich beschäftigen". Ziel einer Lokalzeitung müsse es sein, den "Talk of Town", also das Stadtgespräch, zu bestimmen oder aufzugreifen. "Sonst laufen wir Gefahr, dass andere Medien wie Internetblogs dies übernehmen und damit unser Geschäftsmodell gefährden."
Der Verleger Jakob Augstein sieht Defizite im deutschen Medienjournalismus. Es komme "fast nie" vor, dass Printjournalisten sich gegenseitig kritisierten, sagte Augstein beim 6. Frankfurter Tag des Onlinejournalismus am Donnerstag in Frankfurt am Main. In der Presse werde Kritik überwiegend nur am öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder am Onlinejournalismus geäußert. Dies sei einer "der größten Skandale im deutschen Journalismus".
Hintergrund für die weit verbreitete Zurückhaltung bei der Kritik an Kollegen sei vermutlich, dass Journalisten "sich auf den selben Partys treffen und sich gegenseitig einstellen", sagte Augstein, der die Wochenzeitung "Der Freitag" verlegt.
Andere Standards in England als hierzulande
Bunz bestätigte Augsteins Einschätzung. Kritik an Kollegen werden in Deutschland oft als "Nestbeschmutzung" empfunden, sagte sie. Zudem seien deutsche Chefredakteure "oft miteinander befreundet". In Großbritannien hingegen gebe es unter Journalisten einen größeren Ehrgeiz, sich "gegenseitig zu kontrollieren". Artikel, in denen Kollegen Fehler nachgewiesen würden, würden als "gute Story" wahrgenommen, sagte Bunz, die als Medienredakteurin beim "Guardian" in London arbeitet.
Beim 6. Frankfurter Tag des Onlinejournalismus diskutieren am Donnerstag Journalisten und Medienexperten zum Thema "Strg – Alt – Entf? – Neustart für den Journalismus". Die Tagung wird vom Hessischen Rundfunk, dem Medienbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) veranstaltet.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de für die Ressorts Medien und Kultur.