Regierung machtlos gegen neue Unruhen in Kirgistan

Regierung machtlos gegen neue Unruhen in Kirgistan
Kirgistan wird seit Tagen von blutigen Unruhen im Süden erschüttert. Immer mehr Menschen sterben. Menschenrechtler sprechen von einer "humanitären Katastrophe". Das zentralasiatische Land sieht nur noch einen Ausweg: Internationale Hilfe.

Zwei Monate nach der Machtübernahme gerät die neue Regierung in Kirgistan durch blutige Unruhen immer stärker unter Druck. Trotz einer Teil-Mobilmachung des Militärs und eines Schießbefehls hielten die gewaltsamen ethnischen Auseinandersetzungen zwischen Kirgisen und Usbeken im Süden des Landes am Wochenende an. Vermummte Jugendliche brandschatzten und plünderten auch am Sonntag in den Städten Osch und Dschalal-Abad. Die Zahl der Toten der seit Donnerstag andauernden Straßenschlachten stieg auf über 100. Mehr als 1.000 Menschen wurden verletzt. Die Übergangsregierung sieht hinter der Eskalation einen Racheakt des im April gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich besorgt und appellierte an alle Seiten, die Gewalt zu beenden. Deutschland, das als einziges EU-Land in dem Nachbarland zu China eine Botschaft unterhält, werde sich für die Ausreise der deutschen und EU-Bürger aus der Konfliktregion einsetzen. In der Stadt Osch sitzen demnach mindestens zwei Deutsche fest. Unter ihnen ist auch die deutsche Zentralasien-Expertin Andrea Berg, die in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur am Samstag von einer "furchtbaren Situation" in der Krisenregion gesprochen hatte.

Ausnahmezustand verhängt - Bakijew sieht keine Schuld

Der Konflikt hatte sich zuletzt auch auf Dschalal-Abad und andere Orte ausgeweitet. Es waren die schwersten Ausschreitungen in dem Hochgebirgsland seit der autoritäre Bakijew vor zwei Monaten gestürzt worden war. Aus seinem weißrussischen Exil wies er allerdings jede Schuld an den Straßenschlachten in seiner Heimat zurück. Auch sein Familienclan, von dem viele Mitglieder wegen Massenmordes zur internationalen Fahndung ausgeschrieben sind, habe mit den Zusammenstößen nichts zu tun. Bakijew hält sich weiter für den rechtmäßigen Staatschef.

Das Militär errichtete nach Verhängung des Ausnahmezustandes in Osch und Dschalal-Abad zahlreiche Posten mit Soldaten. Zehntausende usbekische Flüchtlinge versuchten, die Grenze zu ihrem benachbarten Heimatland zu überqueren. Die kirgisische Übergangsregierung bat Russland erneut um militärischen Beistand und Ausrüstung, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Moskau hatte dies am Samstag jedoch zunächst abgelehnt.

Mehr russische Truppen nach Kant

Russland hat in der nordkirgisischen Stadt Kant Hunderte Fallschirmjäger stationiert. Dort landeten am Sonntag zusätzliche Truppen mit Munition in drei Militärtransportmaschinen vom Typ Iljuschin Il-76, wie der Kreml bestätigte. Ziel sei aber nur der Schutz der russischen Bürger und ihres Stützpunktes.

"Wenn Russland seine Spezialeinheiten schicken würde, könnte der Konflikt im Süden ziemlich schnell gelöst werden", sagte Verteidigungsminister Ismail Issakow. Das kirgisische Militär gilt als chronisch unterfinanziert und schwach. Es fehle an einfachsten Mitteln, um die brandschatzenden Banden in Schach zu halten. Der Einsatz einzelner Panzer, Militärhubschrauber und kirgisischer Wachposten brachte am Wochenende keinen durchschlagenden Erfolg.

Verletzte bis Moskau ausgeflogen

In Osch und Umgebung seien Artilleriefeuer und Salven aus automatischen Waffen zu hören, viele Gebäude und Autos stünden in Flammen, meldete die kirgisische Nachrichtenagentur Akipress. "Es herrscht Anarchie", sagte ein Arzt. In Krankenhäusern mangele es akut an Verbandsmaterial und Blutkonserven. Die Gasversorgung von Osch sei abgestellt, um Explosionen zu verhindern.

Die Behörden begannen damit, Verletzte aus der Region auszufliegen. Auch in Moskau landete ein russisches Rettungsflugzeug mit Schwerverletzten aus Osch. In der Region drohe eine Hungerkatastrophe, weil die Märkte geschlossen und Geschäfte geplündert und ausgebrannt seien, hieß es.

Die usbekische Minderheit sprach von rund 520 Toten bei den jüngsten Unruhen. Dafür gab es aber keine Bestätigung. Usbekistan sei "tief besorgt" über die Unruhen im Nachbarland, teilte das Außenministerium in Taschkent mit. Angesichts der Gewalt entsendet die Europäische Union Experten in das Gebiet, um den Bedarf an humanitärer Hilfe zu klären.

dpa