Da schwitzt man und dann kommen die Weihnachtsmärkte

Da schwitzt man und dann kommen die Weihnachtsmärkte
Ist Ihnen mal aufgefallen, dass man in den Spiegeln auf den ICE-Toiletten irgendwie abgeschlafft aussieht? Und verstehen Sie, warum die Bahn im Hochsommer Weihnachtsmärkte aufbaut? Unsere Kolumnistin hat mal wieder allerlei Eindrücke gesammelt: mal erheiternd, mal einfach nur ärgerlich.
11.06.2010
Von Ursula Ott

Woche vom 7. bis 11. Juni

Montag

Achtung, diese Kolumne bringt Sie ins Schwitzen. Ich will jetzt nicht unappetitlich werden, aber es muss gesagt werden. Deutschland schwitzt, und Pendler-Deutschland schwitzt noch mehr. Vor allem wenn die Woche schon so anfängt, dass der Montagmorgen-ICE von Köln-Deutz nach Frankfurt eine Signalstörung hat. Und dann 500 schwitzende Pendler mit schweren Montagmorgentrolleys die Treppen zur S-Bahn hoch hechten, zurück zum Kölner Hauptbahnhof fahren, dort den nächsten ICE nehmen, der allerdings am Frankfurter Flughafen wieder von dem verspäteten ICE überholt wird. Das sind so Montage, wo man als Pendlerin nicht etwa denkt: Was bringt die Woche, was kann ich Sinnstiftendes für mein Leben, meinen Arbeitgeber und meine Familie tun? Sondern man denkt nur: Warum darf dieser Mann gegenüber ohne Krawatte in seiner Bank arbeiten? Und was mag das für ein geniales Material sein, aus dem das Kleid der Sitznachbarin genäht ist? Die schwitzt gar nicht, wie macht die das??? Eine Stunde ist dann Verschaufpause, im klimatisierten Zug.
Dann steigt man aus und überlegt, ob Frankfurt eventuell doch in den Tropen liegt.

Dienstag

Im Sommer zeigt sich im ICE noch mehr, wer Manieren hat und wer nicht. Denn im Grunde ist so ein Großraumwagen ja ein wunderbares Labor fürs Zusammenleben wider Willen. Da geht es nicht ohne ein paar grundlegende Umgangsformen. Man kann sich eben trotz Hitze nicht allzu weit ausziehen, geht nicht. Und was auch nicht geht: zu indiskret sein. Ich sitze heute mit drei Bankern an einem Vierertisch, und einer muss zwischendurch seinen Koffer auf machen. Sagt der andere: „Haha, Sie haben ja Ihre Schalke-Bettwäsche dabei.“ Das war blöd. Keiner lacht. Erstens ist es ein Schalke-Toilettenbeutel und keine Bettwäsche. Und zweitens hat selbst der Passagier im Großraumwagen einen Rest an Intimsphäre, und sei es nur die Handtasche oder der Koffer. Wenn der mit dem Koffer der Chef von dem mit dem Spruch war – dann kann der sich glaub ich bald eine andere Bank suchen. Und einen Benimmkurs machen.

Mittwoch

Man denkt, mehr Schwitzen geht nicht mehr. Geht doch, denn in Frankfurt ist heute JP Morgan Lauf, ein Firmenlauf, bei dem über 70.000 Läufer aus Unternehmen durch die Stadt joggen. Auch wir vom Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik waren schon dabei, bis heute mache ich mich in meinem Fitness-Studio wichtig mit dem blauen Finisher-T-Shirt. Aber heute bin ich angesichts von 47 Prozent Luftfeuchtigkeit heilfroh, dass ich den Läufern nur im ICE begegne. In einer lustigen Mischung aus Businessanzügen und Turnschuhen, mit Pumatasche statt Laptoptasche. In meinem Abteil sitzen Läufer mit „Bilfinger-Berger“-Trikots, Hochhäuser auf weißer Baumwolle. Das ist die Firma, die in Köln die U-Bahn baut, die bekanntlich letztes Jahr eingestürzt ist. Gut, das weiß in Frankfurt wohl keiner. Wenn die mit diesem Shirt durch Köln laufen würden – würden sie aus der Stadt geprügelt wie weiland die Heinzelmännchen.

Donnerstag

Hat eigentlich schon mal jemand untersucht, warum die Spiegel in den ICE-Toiletten einen noch hässlicher machen als man sich bei der Hitze eh schon fühlt? Keine Ahnung woran es liegt. Kaltes Licht? Schlechtes Glas?
Wenn ich in diesem ICE zu einem Bewerbungsgespräch fahren müsste, würde ich auf keinen Fall vor Frankfurt die Toilette besuchen. Sonst würde man sich ja selber nicht einstellen.

Freitag

Was ist heute? Logo, Fußball-WM-Anpfiff. Und Hochsommer. Und wie reagiert so ein deutscher Bahnhof da drauf? Indem er in Frankfurt die Weihnachtsmarkt-ähnlichen Holzhütten, an denen ganzjährig Allerliebstes aus dem Erzgebirge verkauft wird, schnell mit einer gelbgrünen „Brasil“-Flagge zuhängt. Und den Erzgebirgs-Nippes gegen Fußball-Nippes vertauscht. Die müssen bloß aufpassen, dass sie nicht statt „Waving flag“ aus Versehen die CD mit „Jingle Bells“ einlegen. Schönes Wochenende und schöne WM!


Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de.

Neu im Buchhandel: Ursula Ott: "JA TOLL - Geschichten, die immer nur mir passieren", erhältlich im chrismon-shop!

Welche Erlebnisse haben Sie mit dem Pendeln? Diskutieren Sie mit in unserer Community!