evangelisch.de: Die Bundesregierung hat ihr Sparpaket beschlossen. Sind CDU/CSU und FDP endlich in der Reformspur oder erleben wir mal wieder viel Lärm um nichts?
Ernst Elitz: Eine klare Spur ist schon deshalb nicht zu halten, weil Parteien und Koalition politisch kein klares Profil mehr haben. Die Lärmschutzwände um das Kanzleramt haben auch nicht verhindern können, dass der Zoff zwischen CDU, CSU und FDP nach draussen gedrungen ist, samt Bierzelt-Vokabular: "Wildsau", "Gurkentruppe", "Rumpelstilzchen". Zur Zeit hat die FDP es etwas einfacher. Zwar wurde ihre Steuersenkungsparole von der Wirklichkeit einkassiert, aber ihr Versprechen, wenigstens keine weiteren Steuererhöhungen zuzulassen, kann sie noch halten. Wenn Westerwelle auch diese Position räumen muss, wird er vollends zur Lachnummer der Republik. Frau Merkel wird weiter in die Bredouille kommen, denn in ihrer Union hat sie alle Interessengruppen versammelt, und von jeder auch noch das Gegenteil: Pro Reichensteuer und dagegen, das gleiche für die Kernkraftabgabe und Hartz IV, die Kopfpauschale und die Opel-Hilfe, das Sparen bei der Bundeswehr. Das ist der Fluch der Volkspartei. Sie will Partei für alle sein, aber kann es nicht jedem recht machen. Bei den Protestierern wartet keiner, bis die Parteivorsitzende ihm das Wort erteilt. Jeder redet in jedes Mikrofon, vorneweg der Ministerpräsident aus Saarbrücken. Den einzigen vernünftigen Sparvorschlag macht er nicht: Die Abschaffung des Saarlandes als eigenständiges Bundesland und seine Eingliederung als Landkreis nach Rheinland-Pfalz. Wir hätten die Sparmilliarden schon beisammen, wenn wir den eurofressenden Föderalismus auf ein vernünftiges Maß reduzieren würden. Aber zu dieser wegweisenden Reform ringt sich keiner durch.
evangelisch.de: Der "Spiegel" meint, Joachim Gauck sei der bessere Präsident. Ist diese These bodenständig oder steht sie eher auf wackligen Beinen?
Ernst Elitz: Gauck ist ein Mann, beseelt vom Gedanken der Freiheit. Seinen Satz, „Die Freiheit des Erwachsenen ist die Verantwortung“, finde ich faszinierend. Ein solches Bewusstsein kann das Land eher auf eine Reformspur bringen als jedes Sparpaket. Wo die Schuldzuweisung, der faule Kompromiss und die Erwartung „Der Staat wird's schon richten“ regiert, ist eine kraftvolle Veränderung nicht zu erreichen. Allein die Macht des Wortes, über die Gauck verfügt, kann den Spurwechsel aber auch nicht bewirken. Und hier tritt Wulff auf die Bühne. Er hat als Ministerpräsident mit seiner Personalauswahl auf Dynamik und Bewusstseinswandel gesetzt: Er hat mit Ursula von der Leyen die konservative Familienpolitik der CDU aufgemischt, mit dem FDP-Mann Rösler ein politisches Talent am Kabinettstisch gefördert und mit einer türkischstämmigen Ministerin ein Zeichen für die Integration gesetzt. Er ist ein Mann der Tat. Und so können wir angesichts unseres ständigen Mäkelns über die Politik stolz darauf sein, zwei Kandidaten dieses Formats für das Präsidentenamt zu haben. Wir werden sie noch drei Wochen lang testen, und dann kann jeder für sich entscheiden, wer nun in seinen Augen der Bessere ist.
evangelisch.de: Statt pro Gerät wird die Rundfunkgebühr künftig pro Haushalt erhoben. Ist das wirklich besser und gerechter?
Ernst Elitz: Das ist weder besser, noch gerechter. Es ist einfach anders. Wer nur Radio hört und bewusst auf Fernsehen verzichtet, wird es schwerlich als gerecht empfinden, wenn er jetzt auch für das Wackelbild zahlen muss. Wer meint, die Öffentlich-Rechtlichen bringen zu viel Musikantenstadel, wird in der neuen Gebührenordnung ebenfalls nicht den Trend zum Besseren erkennen. In studentischen Gemeinschaftswohnungen wird nun Streit am Küchentisch ausbrechen: Wie teilen wir die Gebühr unter uns auf? Und der GEZ-Mann wird nicht mehr den Fuß in die Tür setzen, um heraus zu bekommen, ob irgendwo ein Fernseher steht. Er muss jetzt klären, wer tatsächlich in welcher Wohnung wohnt. Denn diese Daten wird ihm das Einwohnermeldeamt kaum zur Verfügung stellen. Wir haben also einen Streit weniger, dafür einen mehr.
Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.