Karikaturen wirken

Karikaturen wirken
... auch dann, wenn sie eher misslungen sind (und zum Beispiel Menschen "animalisieren"). Was eher ein Grund wäre, darüber zu streiten als auf sie zu verzichten.

Vorige Woche kam Johann Tetzel, der 1517 Martin Luther "auf die Palme brachte" und so unfreiwillig zur Reformation beitrug, mal wieder in einer Zeitung zu Ehren – oder zumindest der Spruch, der ihm immer zugeschrieben wird. "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt" stand auf einem Bild, das zeigte, wie in einer Zukunft anno 2030 Flugreisende mit Gasmasken vor finsterem Himmel für ihren CO2-Abdruck spenden, bevor sie in den Flieger steigen. Trifft das? Also sind Spenden zum Ausgleichen der durch eigene Flüge verursachten Emissionen so etwas wie der Ablass, mit dem die Kirche am Ende des Mittelalters zahlenden Gläubigen das gute Gefühl vermittelte, jedenfalls dem Fegefeuer zu entgehen?

Es ist zumindest einen idealtypischer Denkanstoß, der zum Nachschauen in der Wikipedia oder drüber Streiten anregt. Und es war natürlich eine Karikatur. Text, ob schriftlich oder gesprochen, hätte so was nicht oder nur sehr umständlich leisten können. Die Zeichnung war auf der Meinungsseite der "Süddeutschen Zeitung" zu sehen, und eigentlich nicht im Internet. Bloß als Foto geteilt wurde sie.

Karikaturen in der "Süddeutschen" waren im Mai 2018 ein größeres Medien-Thema. Da hatte die renommierte Zeitung ihren auch nicht unrenommierten langjährigen Karikaturisten Dieter Hanitzsch "wegen einer als antisemitisch kritisierten Karikatur" gefeuert. Karikaturen gibt es weiter im Blatt. Bloß könnte sein, dass sie seltener ins Auge springen. Jetzt sind Karikaturen wieder ein Medien-Thema, ein globales geradezu.

"Dieses Animalisieren des anderen"

Vor kurzem kündigte die bekannteste Zeitung der Welt, die New York Times an, die Mediengattung aufzugeben. Betroffen sind zwei Zeichner, Heng Kim Song aus Singapur und der Schweizer Patrick Chappatte. Der Grund: ein "political cartoon ... with anti-Semitic imagery". Zwar hatte den keiner der Genannten gezeichnet, vielmehr war eine portugiesische Zeichnung über Agenturen eingekauft und wohl eher versehentlich veröffentlicht worden. Aber nach Debatten darüber hat die "NYT", die sich ja heftig mit dem US-amerikanischen Präsidenten zofft (der ihr just "Landesverrat" vorwarf ...), offenbar beschlossen, solche Nebenkriegsschauplätze künftig zu umgehen.

Chappatte, der auch für europäische Medien zeichnet, hat für seinen Internetetauftritt (mit vielen so treffenden wie lustigen Karikaturen) einen "Essay" zum Thema verfasst, der gut trifft, was Karikaturen können: "Sie sind Kommentare in anderer Form, eine visuelle Abkürzung. Sie haben die unschlagbare Fähigkeit, den Geist zu berühren", heißt es in der Übersetzung des schweizerischen Rundfunks. Der "taz" gab er ein Interview, das auch deshalb interessant ist, weil es um beide als antisemitisch kritisierten Karikaturen konkret geht. Die Zeichnung des Potugiesen António Moreira Antunes, die "Trump mit Kippa, Netanjahu als Hund" zeigt (und die die "taz" dokumentiert, hätte die "NYT" nicht veröffentlichen sollen, sagt er. Problematisch sei schon "dieses Animalisieren des anderen".

Ein Hanitzsch-Fan ist Chapatte auch nicht, hielt dessen Zeichnung aber persönlich nicht für antisemitisch". Falls Sie die noch mal sehen wollen: Als Twitter-Foto, geteilt vom Berliner Büro des American Jewish Committee, ist sie weiter verfügbar. Natürlich muss man sie sehen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

Was jeder in andere Worte fasst

Und klar: Antisemitismus muss bekämpft werden, ohnehin und in Deutschland erst recht. Aber tragen Zeichnungen mehr zu ihm bei als Diskussionen über sie beim Bekämpfen helfen können? Klischees, bei denen die einen sich gar nichts (und auch nichts Böses) denken, weil sie so daran gewöhnt sind, während andere genau deshalb darunter leiden, gehören aktuell an an vielen Fronten zu den zentralen Fragestellungen. Solchen Streit zu führen hilft mehr als das Thema auszublenden. Klar müssen Karikaturen irgendjemanden aufregen, sonst sind sie harmlos, was aktueller Journalismus nicht oft sein sollte. Wo der Grenzbereich verläuft, in dem zugespitzte Kritik noch zulässig ist und hinter dem sie anfängt, es nicht mehr zu sein, zeigt sich in Zeichnungen, die jeder Betrachter beim Beschreiben notwendigerweise in andere Worte fasst, ziemlich gut.

Außerdem zirkuliert Bildmaterial aller Art in unübersehbarem Ausmaß, darunter viel schockierenderes. Täglich werden Milliarden Fotos geteilt und Millionen Videos angeklickt (bei denen sich längst niemand mehr darauf verlassen kann, dass das, was sie zeigen, "stimmt"). Das nimmt Zeichnungen viel  von der Suggestivkraft, die sie gewiss einmal hatten, als es Fotos noch gar nicht gab, Lithographien aber bereits massenmedial verbreitet wurden und Honoré Daumier ins Gefängnis musste. Was keineswegs heißt, dass gegenwärtig keine Zeichner in Gefängnissen säßen. An den türkischen Kollegen Musa Kart erinnert Chappatte ausdrücklich.

"Was bei allen diesen Fällen fehlt, und da schließe ich die New York Times mit ein, ist eine Diskussion", sagt er. Karikaturen ernst zu nehmen und hart zu diskutieren, im Fall von missglückten Zeichnungen die Karikaturisten zu kritisieren und zur Not durch andere zu ersetzen (auch wenn so was natürlich Zeichner verleitet, im Zweifel lieber Harmloses zu zeichnen, wie es in der "Süddeutschen" womöglich geschah), wäre richtig.

Wenn Redaktionen und gerade solche, die über Landesgrenzen hinauswirken, wie es die "NYT" tut (wobei: Durch Karikaturen könnten das eigentlich ja alle Zeitungen tun), auf das älteste visuelle massenmediale Form verzichten, ist das im wahrsten Wortsinn ein schwaches Bild.

 

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