Der "Hutbürger" mit der Sonnenbrille

Der "Hutbürger" mit der Sonnenbrille
Seit der Eskalation in Chemnitz dominieren härteste Themen aus Sachsen die Medien-Berichterstattung. Da wirkt das Dresdener Video mit dem Hut-tragenden Anti-Merkel-Demonstranten vergleichsweise possierlich. Was es über die Medienfreiheit, die Meinungsfreiheit und ihre schwierige Balance aussagt, bleibt dennoch wichtig.

Eigentlich sollte es in dieser Medienkolumne um den sächsischen "Hutbürger" mit der Sonnenbrille und dem "Anglerhütchen" gehen, der vergangene Woche viel Aufmerksamkeit erfuhr. Vor allem ging es im Internet viral: Am Rande einer Dresdener Demonstration gegen Bundeskanzlerin Merkel attackierte der Mann mit dem "Deutschland-Hut" bzw. der "Woody-Allen-Kappe", wie sein auffälligstes Kleidungsstück auch genannt wurde, Berichterstatter verbal und ließ sie dann gar noch langwierig durch Polizisten kontrollieren. Vor allem dank seiner performativen Leistung entstand daraus ein ähnlich unterhaltsames wie aufschlussreiches Lehrstück oder sogar: Erklärvideo zur Meinungs- und Medienfreiheit. Hier ist die gut siebenminütige Langfassung im Internetauftritt des ZDF zu sehen.

Das unterhaltsam Aufschlussreiche beginnt schon damit, dass der Mann in seinem gern persiflierten Sächsisch außer "Sie haben misch ins Gesischt gefilmd" (wie es der eingangs verlinkte "Tagesspiegel" transkribierte) dann auch "Frontalaufnahme!" ruft – und zwar zu einem Team, das tatsächlich für die ZDF-Sendung "Frontal 21" unterwegs war. Wobei die Frage zunächst berechtigt erscheinen kann: Wie genau dürfen Medien Teilnehmer einer Demonstration abbilden? Schließlich werden Fotos und Videos in Echtzeit verbreitet, was auch potenziellen Missbrauch in unterschiedlichsten Zusammenhängen erleichtert. Andererseits,

"wer an einer Demonstration teilnimmt, will ja gerade in die Öffentlichkeit gehen und will sein Anliegen in die Öffentlichkeit bringen. Dann ist es widersprüchlich, wenn er gleichzeitig sagen würde, abgebildet werden möchte ich nicht",

sagte einer von vielen danach gefragten Medienjuristen, Christoph Degenhardt, dem MDR [Offenlegung: bei dem auch das Altpapier erscheint, für das ich ebenfalls schreibe]. Nicht gestattet sei bloß, "wenn Journalisten sich einen Demonstranten gezielt herausgriffen und sein Bildnis als Einzelperson weiterverbreiteten." Doch war ja in diesem Fall war, bestens dokumentiert, umgekehrt der Demonstrant gezielt und frontal auf die Journalisten zugegangen.

Wiederkehrende Masche

Dritterseits, wurde im Verlauf der Diskussionen bekannter, handelt es sich bei dem, was der "Hutbürger" tat, um eine wiederkehrende Masche weit rechts stehender Zeitgenossen, eben um auf Demonstrationen Berichterstatter an ihrer Arbeit zu hindern. Im "Störungsmelder"-Blog von zeit.de stand bereits im Mai:

"Die Neurechten bedrängen Journalisten seit Monaten nach einem wiederkehrenden Schema: Am Anfang steht die Behauptung, der Reporter habe Portraitaufnahmen gemacht. Dann bedrängt ihn eine Gruppe, bis die Polizei einschreitet. Die Beamten werden im aggressiven Ton aufgefordert, die Kamera des Reporter zu kontrollieren und Bilder zu löschen. Häufig sind Beamte überrumpelt, geben der Forderung nach."

Ein weiterer "Frontal 21"-Beitrag aus dieser Woche zeigt genau das dann auch.

Noch aufschlussreicher machte diese Diskussion ein Tweet des sächsischen Ministerpräsidenten. Michael Kretschmer verfolgt offenkundig zumindest ein bisschen die Strategie, lieber selbstbestimmt in die Welt hinaus zu twittern, was er mitteilen möchte, als öffentlich Fragen von Journalisten zu antworten. Das birgt ja die Gefahr, sich auch zu Themen äußern zu müssen, zu denen man gerade nichts sagen möchte. Und so eine Strategie hat dazu beigetragen, Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt zu machen (und dazu, dass er sich deutlich länger auf dem Posten hält, als seine Kritiker – darunter viele Journalisten – für möglich hielten). Jedenfalls, mit dem schnellen Kommentar "Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten", hat Kretschmer sich keinen Gefallen getan. Dass die Journalisten sich sehr wohl seriös verhielten, während die Polizisten sie unnötig lange kontrolliert hatten, teilte schließlich sogar der Dresdener Polizeipräsident Horst Kretzschmar offiziell mit:

"Ohne ins Detail gehen zu können, möchte ich nicht verhehlen, dass es mir unverständlich ist, dass die Klärung, nachdem ein Demonstrant den Journalisten rechtswidriges Verhalten vorgeworfen hat, so lange dauerte und die Journalisten 45 Minuten lang nicht ihrer Arbeit nachgehen konnten. Ich bedaure diesen Umstand als Polizeiführung außerordentlich und habe zugesichert, dass wir dieses in der Polizei aufarbeiten werden – auch um daraus zu lernen."

Überdies twitterte dann noch das Sächsische Innenministerium, dass es sich beim "Hutbürger" "um einen Tarifbeschäftigten des LKA handelt", also des sächsischen Landeskriminalamts.

Eigentlich wäre mit dieser Pointe das Lehrstück/ Erklärvideo perfekt. Auch, weil es in viele Richtungen anschlussfähig ist. Selbstverständlich haben auch LKA-Mitarbeiter die Meinungsfreiheit, gegen die amtierende Regierungschefin demonstrieren zu dürfen. Inwieweit dieser Mitarbeiter das "korrekte Auftreten in der Öffentlichkeit" zeigte, das Sachsens Innenminister von Bediensteten seines Ressorts einfordert (mdr.de), muss noch geklärt werden. Ob er Zugriff auf sensible Daten gehabt und missbraucht hat, erst recht. [Nachtrag am frühen Nachmittag: Am 30. August gab das LKA Konsequenzen bekannt.]

Aufklärung im besten Sinne

Zu lernen gab es für alle etwas aus der Sache: für Polizisten, wie sie künftig bei der schwierigen Arbeit am Rande von Demonstrationen mit Vorwürfen und Anzeigen gegen Berichterstatter umgehen. Für Bürgerinnen und Bürger, welche Rechte am eigenen Bild sie als Teilnehmer angemeldeter Demonstrationen nicht haben – und welche doch. Und für berichterstattende Journalisten ebenfalls, schon weil die neue DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) die Lage ja tatsächlich verändert hat. Große Vorwürfe lassen sich wegen dieses Vorfalls niemandem machen. Vielleicht dem "Hutbürger" – aber der hat ja vor allem breitenwirksame Aufklärung im besten Sinne geleistet, bloß vielleicht in seinem nicht.

"Eigentlich" steht jetzt zum dritten Mal am Anfang eines Absatzes, weil dann ebenfalls in Sachsen ja noch anderes geschah. Seit Tagen bestimmen die Ereignisse in Chemnitz die Berichterstattung. Hanno Terbuyken schrieb hier nebenan: "Zwei Tage lang haben Rechtsextreme, Rassisten und Neonazis in Chemnitz die Menschen auf der Straße terrorisiert. Dass sich rund 2.000 Demokratiefeinde so versammeln, ist für ganz Deutschland ein Problem, nicht nur für Sachsen". Doch Demonstranten, Polizisten und Politiker insbesondere aus diesem Bundesland stehen nun in einem ganz anderen Fokus als noch vor einer Woche.

Diese Kolumne ist nun aber, Sie haben's bemerkt, dennoch ungefähr die geworden, die sie werden sollte. Schließlich kann und muss der Kern des im Vergleich inzwischen possierlichen Lehrstücks/ Erklärvideos gerade gültig bleiben: wie wichtig Medienfreiheit und Meinungsfreiheit in den Grenzen des Grundgesetzes und ihre nicht immer leicht erkennbare Balance sind.

Vermutlich werden die Chemnitzer Ereignisse das Land und seine Medien noch lange beschäftigen. Um nur einen Aspekt noch anzuschneiden (weil er die Medienkolumne der Vorwoche berührt): Einerseits hat Ministerpräsident Kretschmer, der sich inzwischen übrigens offensiv Journalistenfragen stellt, geäußert, "neben der bundesweiten Mobilisierung sei Chemnitz auch 'durch überregionale Berichterstattung' für Extremisten attraktiver und interessanter geworden" ("Tagesspiegel"). Andererseits aber hatte am Sonntag, an dem die Eskalation begann, das wichtigste deutsche Nachrichtenmedium, die ARD-"Tagesschau", mit keinem Wort über den Ausgangspunkt, die gewaltsame Tötung eines Chemnitzers mutmaßlich durch Flüchtlinge berichtet – obwohl zu dem Zeitpunkt bereits ein Stadtfest mit tausenden Besuchern abgebrochen worden war und Meldungen darüber in allen Nachrichtenportalen im Netz ganz oben standen. Ist damit nicht eher belegt, dass Nichtberichten gegen Eskalation nicht hilft – sondern allenfalls denen, die die freien Medien ohnehin attackieren? Es bleibt enorm kompliziert.

weitere Blogs

Regenbogengottesdienst  in Adventszeit
Ein Gedicht zum Heiligen Abend aus queerer Perspektive nicht nur für queere Christ:innen.
Warum Weihnachten hinter einer Mauer liegt und was sie überwinden kann.
In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.