Inzwischen ist der vom Rogate Kloster St. Michael zu Berlin organisierte ökumenische Gottesdienst am Vorabend des Stadtfestes selbstverständlich geworden. Die innerkirchlichen Anfeindungen, die noch vor Jahren dazu geführt hatten, dass der Gottesdienst unter Polizeischutz stattfinden musste, haben nachgelassen. 150 Menschen kamen am Freitag, dem 19. Juni 2015, in friedlichem und heiterem Geist in der Zwölf-Apostel-Kirche im Berliner Stadtteil Schöneberg zusammen.
Ein berührender Moment war, als Frater Franziskus einen aus Syrien geflohenen Mann als Teilnehmer willkommen hieß. Die Gemeinde begrüßte ihn mit Applaus. Später beteiligte er sich mit einer Fürbitte für alle Menschen in den Kriegsgebieten dieser Welt an der Liturgie. Die Feier eines lokalen Ereignisses und der Blick auf die globalen Umwälzungen fanden an diesem Abend so ihren Platz.
Die Predigt von Pfarrer Burkhard Bornemann, amtierender Superintendent im Kirchenkreis Schöneberg, thematisierte die Provokationen, die auch heute noch von einem Kuss ausgehen können. Scharf kritisierte er eine Tendenz, aus Neid anderen ihr Glück nicht gönnen zu wollen: „Anderen verbieten wollen, ihr Glück zu zeigen – auch in der Öffentlichkeit zu leben – das ist schäbig.“
Da klang es durchaus befremdlich, als Burkhard Bornemann dann an Jesaja, 65, erinnerte: „Wolf und Schaf sollen beieinander weiden“. Er verwies auf das Ziel eines offenen Lebens ohne Ausgrenzung: „Das gemeinsame Feiern von Menschen, deren Gemeinschaft eigentlich unmöglich ist – das hat Jesus immer wieder praktiziert.“ (Die Predigt lässt sich auf der Internetseite des Rogate-Klosters nachlesen.)
Zum lesbisch-schwulen Stadtfest kamen am Wochenende hunderttausende Menschen in den Nollendorfkiez im Bezirk Schöneberg: Wie stets herrschte dichtes Gedränge zwischen den Ständen, an denen unterschiedlichste Gruppen, Institutionen Homosexueller und Transgender über ihre Arbeit informierten. Das Stadtfest hat seine Wurzeln sicher nicht in einer biblischen Vision, aber bietet auf seine Weise eine Möglichkeit für ein Miteinander unterschiedlichster Menschen. In einer friedlichen Weise, die immer noch verzaubert und seit Jahren das „Flair“ Berlins mitprägt.
Dass gemeinsames Feiern in Berlin nicht ganz selbstverständlich ist, daran wird man spätestens am kommenden Freitag erinnert. Am 26. Juni wird es gleich zwei Gottesdienste am Vorabend der CSD-Parade geben. In einer vereinten Stadt der eine in Ost-Berlin, der andere in West-Berlin. Der eine, ein jüdisch-christlicher Gottesdienst, beginnt um 18 Uhr in der St. Marienkirche, der andere, ein ökumenischer Gottesdienst, um 20 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Das muss man nicht verstehen; wer allerdings an beiden teilnehmen will, der sollte schon Engelsflügel zur Hand haben. Und reichlich Puste übrig fürs Liedersingen!