Eigene Experimente, aber wenn sie sinnvoll sind

Eigene Experimente, aber wenn sie sinnvoll sind
Beim Online-Brainstorming zu #DigitaleKirche sind mir zwei Wünsche besonders aufgefallen: Experimentieren - aber keine Insellösungen produzieren. Geht das zusammen?

Im EKD-Projekt "Kirche im digitalen Wandel" gab es in der vergangenen Woche ein gelungenes Experiment. Mit der Technik von "nextmoderator" hat Christian Sterzik, der das Projekt leitet, zu einem offenen, anonymen Brainstorming eingeladen zu den drei Strängen, mit denen sich #DigitaleKirche beschäftigt (Theologie und Ethik, Kommunikation und Kultur, Prozesse und Standards). Die Kombination aus Live-Video zur Moderation und schriftlicher Community-Beteiligung hat 128 Ideen, 185 Kommentare dazu und 647 Stimmen in den Dialog eingeworfen. Es war ein kollektives Brainstorming, das als Methode für zeitlich begrenzte Community-Kollaboration durchaus Schule machen kann.

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Es funktioniert so (und das geht auch ohne proprietäre Plattform, aber sie hilft): Die Moderation gibt Themenstränge vor. Alle haben dann Zeit, die bereits notierten Ideen um neue zu ergänzen, einzelne Ideen nochmal zu kommentieren und per Daumen rauf oder Daumen runter eine positive oder negative Stimme abzugeben. Die Ideen aus dem Brainstorming fließen jetzt in den nächsten "Scoping-Workshop" Mitte August sein. Dort treffen sich Vertreter der Kirchenleitungen mit einer Handvoll Experten, um über den Projektfortschritt zu sprechen. Aus all diesen Infos und Strängen schreibt Christian Sterzik den Vorschlag für die EKD-Synode im November, der für "Kirche im digitalen Wandel" die nächste große institutionelle Wegmarke sein wird.

Ich war bei dem Online-Brainstorming auch dabei, im ICE von Düsseldorf nach Frankfurt, der mit stabilem Wlan aufwarten konnte. Eine Beobachtung ist mir besonders hängengeblieben. Sowohl beim Thema "Prozesse und Standards" als auch bei "Kommunikation und Kultur" kam sehr oft der Wunsch (der auch noch hoch bewertet wurde), dass die Kirche sich doch bitte von technischen Insellösungen verabschieden soll, weil sie selbst a) nicht schnell genug entwickeln kann, b) bestehende Anbieter meistens besser sind und c) vermutlich auch biliger. "Nutzung gemeinsamer Tools", "Schluss mit der Eigenentwickung", "Standards entwickeln" waren herausstechende Schlagworte dafür.

Andererseits kam ähnlich oft genannt und ähnlich hoch bewertet der Wunsch nach Experimenten, "um Neues für unsere Belange zu prüfen", nach Probier-Räumen, einem "Think Tank für Kirche und Diakonie". Wenn man das zusammenbringt, bedeutet das für mich: Es braucht Menschen, deren Aufgabe es ist, neue Werkzeuge, Social-Media-Kanäle, Videotechniken, Blog-Plattformen, Hardware und so weiter zu finden, möglichst umfangreich zu durchdringen, auszuprobieren und dann diese Erfahrungen möglichst weit in die Welt und in die Kirche zu streuen. Mindestens mit Wissen und Erfahrung, wenn es sich anbietet auch direkt zur gemeinsamen Nutzung, so wie wir das im GEP mit Pageflow als Tool gemacht haben (mit dem unter anderem unsere Multimedia-Story über die Kapernaum-Kirche, die zu einer Moschee wurde, entstand). Wer an Pageflow Interesse hat, kann sich übrigens bei i-public melden.

Erst wenn es eine inhaltliche Anforderung gibt, die mit bestehenden Mitteln gar nicht oder nur für zu viel Geld erfüllbar ist, muss man sich dransetzen und schauen, wie das gehen kann. Aber das ist dann nicht mehr die Aufgabe der "Ausprobierer", denn jede Entwicklung technischer Werkzeuge ist ein Vollzeitjob. Das passt nicht zum spielerischen Testen, Ausprobieren, Verwerfen von bestehenden Werkzeugen. Das iterative Prinzip (Bauen, Testen, Benutzen, Verbessern) muss natürlich auch für technische Eigenentwicklung gelten, weil es Projekte leichter und nutzerorientierter macht. Aber für so eine kollektive, digitale "Werkzeugkiste" muss das ganz besonders gelten.

Eine letzte Beobachtung noch: Bei dem Online-Brainstorming gab es fast keine negativen Bewertungen, keine "Daumen runter". Das ist vielleicht typisch evangelisch, dass jede Idee erstmal da sein. Zwischendurch dachte ich: Hey, manche Sachen verdienen durchaus härtere Kritik (z.B. die Idee eines "Kirchen-Facebooks) - und dann gab's auch mal einen Daumen nach unten, mit konstruktivem Kommentar dazu. Insgesamt war es aber sehr erfreulich, auch hier nochmal zu sehen, dass viele Menschen Lust haben, aus ihrer eigenen Position an dem riesigen Thema #DigitaleKirche aktiv mitzudenken.

Ich bin jetzt zwei Wochen im Urlaub, hier ist also eine kleine Pause angesagt. Ich schreibe wieder am 1. September. Bis dahin vielen Dank für’s Lesen & Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!

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