Falls in den nächsten Monaten jemand ein gutes Beispiel für gelungene Krisen-PR suchen sollte, vielleicht für einen Vortrag oder ein Seminar, könnte man zum Beispiel das Wort „Dieselgate“ googeln. Am besten aber sucht man direkt nach der Pressemitteilung, die der Verband der Autoindustrie gestern veröffentlicht hat, noch bevor Verkehrsminister Dobrindt etwas zum Ausgang des Diesel-Gipfels sagen konnte.
Allein das Wort „Diesel-Gipfel“ klingt so konstruktiv, dass man denken könnte, alle Beteiligten hätten sich nun trotz der Sommerferien endlich in guter Absicht zusammengefunden, um dieses gesellschaftlich enorm wichtige und vor allem drängende Problem anzugehen. Der Eindruck bestätigt sich in der Pressemitteilung. Da steht zum Beispiel:
„Deutsche Pkw-Hersteller bieten an, freiwillig einen Großteil ihrer Euro-5- und teilweise Euro-6-Diesel-Pkw über Software-Updates nachzurüsten.“
Freiwillig also. Das ist ja wirklich nett. Und „nachrüsten“? Das bedeutet, sie verbessern Autos, die sie schon längst verkauft haben, kostenlos?
Nein. Natürlich nicht. Richtig hätte es heißen müssen:
„Deutsche Pkw-Hersteller versuchen, so billig wie möglich davonzukommen, nachdem sie die Öffentlichkeit jahrelang belogen haben. Eine teure technische Lösung lehnen sie ab. Stattdessen bieten sie ein umstrittenes Software-Update an.“
Und was würde das bedeuten? Schauen wir wieder in die Pressemitteilung:
„Einschließlich der von Volkswagen in den vergangenen Monaten bereits verbesserten 2,5 Mio. Diesel-Pkw können damit allein in Deutschland mehr als 5 Mio. Fahrzeuge auf ein deutlich besseres Emissionsniveau gebracht werden.“
Als Journalist sieht man also gleich: Hier soll eine nicht ganz so eindrucksvoll klingende Zahl ein bisschen aufgeblasen werden, damit der ganze Schwindel nach einer unglaublichen Anstrengung klingt. Und was machen die Journalisten daraus? Werfen wir einen Blick auf die Berichterstattung.
„Gipfel in Berlin: Fünf Millionen Diesel sollen nachgerüstet werden“
Der Deutschlandfunk berichtet:
„Diesel-Gipfel: Autohersteller wollen fünf Millionen Autos nachrüsten“
Der Verband der Automobilindustrie bewertet das eigene „Angebot“ in seiner Pressemitteilung so:
„Dieser Beitrag der deutschen Hersteller ist einzigartig in Europa und weltweit.“
Wenigstens diese Einschätzung hat kein Journalist übernommen. Die Neue Zürcher Zeitung zeigt sogar, wie man eine Überschrift formulieren kann, ohne den Autoherstellern auf den Leim zu gehen. Dort ist zu lesen:
„Die Autohersteller kommen glimpflich davon“
In einigen Auto-Fachzeitschriften ist der PR-Gipfel von Politik und Autoindustrie, auf den ersten Blick überraschend, nicht das wichtigste Thema. Auf Autobild.de geht es heute Morgen um den „IAA-Star“ BMW Z4, das Sport-Modell des Tesla 3 oder die Formel-1-Testfahrten in Budapest. Der „Diesel-Gipfel“ ist auch vertreten, allerdings nur darunter in der zweiten Reihe.
Andreas Keßler, Vorstandsmitglied des Verbandes der Motorjournalisten, hat dafür eine Erklärung. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagt er:
„Gerade Auto-Bild ist im Moment auch Opfer von sinkenden Auflage-Zahlen und sieht natürlich dann auch die Ertragsgrundlage ein bisschen wegbrechen. Da wird ganz extrem gedrückt. Also es muss unbedingt Umsatz generiert werden. Und dann müssen natürlich die neuesten, dicksten, größten, schnellsten Autos, die sicherlich auch sexy sind und ganz toll und Ausdruck größter Ingenieurskunst, die müssen da gefeaturet werden, um möglichst viele Anzeigen zu verkaufen - beziehungsweise, man geht auch immer in Richtung Paid Content. Das hat natürlich mit Journalismus dann immer weniger zu tun.“
Nun gäbe es noch zwei weitere Gruppen, die man für die Themensetzung verantwortlich machen könnte: die Journalisten, die in Einzelfällen hoffentlich hier und da doch noch entscheiden dürfen, worüber in ihrem Ressort berichtet wird. Oder eben das Publikum.
Motorjournalisten-Verbands-Vorstandsmitglied Keßler:
„Dieses Dieselgate-Thema ist ja Knäckebrot. Also eigentlich will damit gar keiner was zu tun haben. Der Durchschnitts-Zeitungsleser der sagt: Ja wieso? Mein Auto springt doch jeden Tag an. Das verbraucht wenig und geht auch selten kaputt. Was will ich denn mehr? Jetzt fangen die schon wieder an, irgend ’ne Umweltsau durchs Dorf zu treiben. Ich hab langsam die Faxen dicke. Ja, das zieht sich auch wirklich durch die Automobilgeschichte seit Jahrzehnten durch. Immer ist irgendwas, was die Leute dann dazu bringen soll, sich 'ne teure neue Kalesche zu kaufen. Das wollen die natürlich nicht. Das wissen die Redaktionen auch. Und deswegen gehen sie davon natürlich auch weg.“
Fairerweise muss man sagen, dass die andere große Fachzeitschrift, die Auto Motor Sport, dem Wiedergutmachungs-Gipfel heute Morgen den Platz ihrer Top-Meldung eingeräumt hat. Und die Autoren Uli Baumann und Gregor Hebermehl beschreiben das Ergebnis der Show-Veranstaltung sehr viel treffender als die meisten anderen Nachrichten-Portale. Das gelingt ihnen mithilfe eines einzigen drei Buchstaben langen Wortes. Ihre Überschrift lautet:
„5 Millionen Diesel erhalten nur ein Software-Update“
Ein weiteres Beispiel für gut gelungene PR ist sicher der Raketenstart des Schweizer Journalismus-Startups Die Republik, der eigentlich erst im Januar 2018 ansteht; dann werden die ersten Texte erscheinen, aber gefühlt fliegt das Ding ja schon seit Monaten. Kurt W. Zimmermann, Chefredakteur des Schweizer Journalisten, analysiert für die kress.de die Kampagne. Dabei wird deutlich, dass die Republik-Macher, die für ehrlichen und transparenten Journalismus stehen möchten, ihren ersten medialen Erfolg erreicht haben, indem sie öffentlich absichtlich einen falschen Eindruck erweckt haben. Die vielen Menschen, die den Republik-Gründern am ersten Tag angeblich die Bude eingerannt haben, wie man überall auf den lancierten Fotos sehen konnte, waren engagiert.
„Es gab keine Massen von spontanen Freiwilligen, die es im Regen nicht erwarten konnten, bei der ‚Republik‘ zu den Erstunterzeichnern zu gehören. Die frühmorgendliche Warteschlange war von der Marketingabteilung des Projekts organisiert.“
Es wäre zu erkennen gewesen, denn so gut war das alles offenbar doch nicht durchdacht.
„Warum, so musste man sich fragen, versammeln sich spontan frühmorgens Leute und alle Leute haben exakt denselben vierfarbigen Schirm dabei?“
Aber es fiel nicht auf:
„Das Bild mit den wartenden Massen beeindruckte die bestehende Konkurrenz auf dem Platz Zürich gewaltig. ‚Aufnahmen erinnern an die Szenen vor Apple-Läden‘, schrieb überwältigt die ‚NZZ‘ über das Bild. ‚Die Leute standen Schlange wie vor einem Lebensmittelgeschäft in Venezuela‘, beschrieb ergriffen die ‚Sonntagszeitung‘ das Bild."
Und wer vorher gedacht hatte, ach toll, da trauen sich Journalisten mal was, und dann klappt es auch noch irgendwie durch Zufall, wird nach dem Lesen etwas ernüchtert sein - allerdings vielleicht auch erkennen, was in anderen Fällen falsch läuft.
„Auf der Basis des Misstrauens gegenüber den klassischen Medien entstand nun ein mehrschichtiger Marketing-Plan. Von Anfang an war das zentrale Anliegen, auch im publizistisch luftleeren Raum eine loyale Community aufzubauen. Denn nur eine loyale Fangemeinde, so war schnell klar, würde später auch zügig zahlen. Es war das bewährte Prinzip: Cash the Community.“
Das ist natürlich eine andere Herangehensweise als die unter Journalisten bislang bewährte - nämlich sich vollkommen darauf zu konzentrieren, richtig, richtig guten Journalismus zu machen und den geschäftlichen Rest der Hoffnung zu überlassen, dass die Leute das wohl schon irgendwie kapieren werden, wenn sie mal etwas genauer hinsehen. Dazu müsste man sich nun selbst eine Meinung überlegen.
Und um vielleicht noch einen kleinen Ausblick zu geben. Nachdem in den vergangenen Jahren viele Vortragende von Konferenz zu Konferenz getingelt sind, um die Botschaft zu verbreiten, dass Journalisten eine Marke werden müssten, könnte, nachdem sich die Schweizer Strategie herumgesprochen hat, bald die nächste Phase kommen, in der man überall hören und lesen wird: „Journalisten müssen PR-Experten werden.“
Wobei diese Entwicklung ja eh schon in vollem Gange ist - wenn auch aus einem anderen Grund.
Altpapierkorb
+++ Auf der FAZ-Medienseite hat Michael Hanfeld ein sehr lesenswertes Gespräch mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland geführt (für 45 Cent bei Blendle). Josef Schuster heißt der Mann, falls das irgendwem entfallen sein sollte. Es geht um die von Arte gezeigte Dokumentation über die Situation im Gaza-Streifen, die im Altpapier gestern schon Thema war. Um das Problem mit der Arte-Doku zu lösen, könnte Schuster sich zum Beispiel einen Faktencheck nach Art des WDR vorstellen. „Wir haben ja gesehen, dass Sender auch recht kurzfristig in der Lage sind, einen Faktencheck zu erstellen.“ Wobei die Meinung hier ja auseinander gehen. Andere würden sagen: Der WDR hat gezeigt, dass Sender hierzu kurzfristig nicht in der Lage sind. +++ Marlene Halser hat in der taz ebenfalls über das Thema geschrieben. Sie stellt fest: „Unbeantwortet bleibt, bei aller inhaltlich berechtigten Kritik, die Frage, inwieweit es zulässig ist, dass sich die politische Vertretung einer Religionsgemeinschaft in die Programmgestaltung eines unabhängigen Senders einzumischen versucht.“
+++ Anders als vor ein paar Monaten, als bekannt wurde, dass gegen Kai Diekmann wegen sexueller Belästigung berichtet wird, war die Nachricht, dass das Verfahren nun eingestellt wird, wohl keine Eilmeldung wert. Ich habe jedenfalls keine gesehen. Wenn Ihnen das anders ging, korrigieren Sie mich bitte in den Kommentaren. Die Nachricht erschien natürlich trotzdem. Zum Beispiel bei Spiegel Online. Dort kostet sie ja nun gar nichts. Wie viel sie Medien wert ist, die normalerweise Geld für ihre Texte verlangen, sieht man allerdings bei Blendle. Die SZ verkauft sie für einen Cent.
+++ Die Witwe von Steve Jobs kauft das Magazin The Atlantic. Aber warum? Und warum wird das im Moment sehr erfolgreiche Magazin überhaupt verkauft? Karoline Meta-Beisel geht dieser Frage auf der SZ-Medienseite nach. „Es ist (…) kein Geheimnis, dass die Macht von Google und Facebook auf dem Anzeigenmarkt für werbefinanzierte Medien Unsicherheit bedeutet. Dass Bradley die Firma Atlantic Media, die hinter dem Magazin steckt, verkaufen wollte, war schon seit einer ganzen Weile bekannt. Bradley geht auf die 70 zu, seine Kinder haben kein Interesse am Mediengeschäft.“ Eigentlich nur am Rande von Bedeutung, aber dafür viel zu interessant ist die Geschichte der Titel-Story der Juni-Ausgabe. Sie handelt von einer Sklavin, die der von den Philippinen stammenden Mutter des Autos geschenkt wurde und bis zu ihrem Tod mit 86 Jahren bei der Familie blieb. Der Autor der Geschichte starb an dem Tag, an dem die Redaktion beschloss, den Text zur Titel-Geschichte zu machen.
+++ Die argentinische Zeitung Buenos Aires Herald wird nach 140 Jahren eingestellt, berichtet der Guardian. Die Entscheidung fällt ein Jahr, nachdem ihre Erscheinungsweise geändert und das Blatt schon nicht mehr täglich, sondern nur noch wöchentlich produziert wurde.
+++ Der Bundestag ist schon mehrfach von Hackern angegriffen worden. Aber von den erbeuteten Daten hat man seitdem nichts mehr gehört. Das könnte sich bald ändern. Silvia Stöber berichtet darüber für den Tagesschau-Faktenfinder: „Verfassungsschutzchef Maaßen geht davon aus, dass ähnlich wie in den USA und Frankreich versucht werden könnte, die Abstimmungsentscheidungen der Wähler zu beeinflussen. BSI-Chef Arne Schönbohm rechnet mit Störungen kurz vor dem Wahltag am 24. September.“
+++ Kann ein Mensch gleichzeitig Islamist und psychisch krank sein? „Bild“-Chef und BND-Buddy Julian Reichelt mag sich so ein komplexes Szenario offenbar nicht vorstellen; oder er vernachlässigt er es, weil er der Meinung ist, das Motiv sei bereits durch den Fund eines IS-Wimpels in einem Spind des Attentäters zweifelsfrei geklärt, und dann spiele es auch keine Rolle mehr, ob der Mann dazu auch noch eine psychische Erkrankung haben könnte, oder wie Reichelt sagen würde: nicht so gut drauf ist. Boris Rosenkranz erklärt für Übermedien, warum Reichelt wieder mal daneben liegt.
+++ Der Kriegsreporter Carsten Stormer spricht mit Hendrik Steinkuhl im Meedia-Interview darüber, dass das Interesse an einer Berichterstattung aus Krisenregionen seiner Erfahrung nach in Deutschland geringer ist als in anderen Ländern. „Es gibt natürlich Ausnahmen: den Spiegel vor allem, die Zeit kann man auch noch nennen, dann kommt hier und da noch ein Drei-Minuten-Video in den Tagesthemen oder im Auslandsjournal. Aber das war es dann eigentlich auch. Vor Ort sind einige freie Journalisten, die sich wirklich auskennen, aber der Platz für Berichte aus Krisengebieten ist sehr klein. Im Zweifel berichtet man eher groß über die CSU-Klausurtagung in Kreuth als über Syrien.“
+++ Die Neue Osnabrücker Zeitung baut in Hamburg eine digitale Zentralredaktion auf, wie Bülend Ürük für Kress.de berichtet. Joachim Dreykluft, neuer Leiter der Forschungs- und Entwicklungsredaktion, hat mit Turi2 über die Pläne gesprochen - und unter anderem auch über Kollegen, die sich auch im Jahr 2017 noch weigern, beruflich mit allem in Berührung zu kommen, was man gemeinhin unter "Social Media“ versteht.
+++ Bei Axel Springer läuft alles super - wenn man von den Auflagenzahlen der „Bild"-Zeitung absieht. Ulrike Simon kommentiert für Horizont die Halbjahresbilanz, die Pläne und das recht bizarre Video, in dem Vorstandschef Mathias Döpfner und Finanzvorstand Julian Deutz sich gestern zu Wort gemeldet haben. „Neunmal schaffen sie es diesmal auf einer Länge von 2 Minuten und 36 Sekunden, das Wörtchen ‚great' unterzubringen. Der Umsatz im Detail, der Gewinn insgesamt, der Verkaufserlös für die Berliner Immobilie, der Blick in die Zukunft: alles ‚great'. Vielleicht liegt es an Donald Trump, dass man auf dieses Adjektiv besonders konditioniert ist, aber um es Trump nicht auch in Sachen Glaubwürdigkeit gleichzutun, fragt Döpfner Deutz dann doch, ob es denn nicht irgendetwas gebe, was nicht ganz so ‚great' laufe? Doch, da gebe es etwas: die ‚Bild‘-Auflage. Um zehn Prozent sinkt sie aktuell. Der Verfall scheint kein Ende zu nehmen. Das sei eine schwierige Entwicklung, die ihm Sorge bereite, sagt Deutz, denn noch immer erwirtschafte Springer ein Drittel seines Geschäfts mit Print.“ +++ Alexander Krei berichtet für DWDL.de, vor allem darüber, dass Springer den Sender Sport1 nun wohl doch nicht haben möchte. +++ Stefan Winterbauer schreibt für Meedia über Springers Affiliate-Marketing-Pläne.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.