Der wichtigste oder einer der drei wichtigsten deutschen Nachkriegs-Kanzler ist am Freitag gestorben. Aus Meta-Mediensicht traf ein Tweet sozusagen vom SPON-Nachrichtendesk die Lage am besten:
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Weniger, ob Medien schnell genug und angemessen reagierten, war eine Frage, sondern eher, ob sie die vorproduzierten Nachrufe häufig genug aktualisiert hatten.
Der Spiegel selbst, der sich zu Helmut Kohls Amtszeiten vor allem gegen den Kanzler profiliert hatte, ließ sich seine aktuelle Titelgeschichte nicht stören,
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sondern machte sie (eine der ambitiösesten Spiegel-Titelgeschichten seit langem ...) durch eine Schleife drauf auch für Nicht-Hanseaten wertiger.
Im Online-Genre Gedruckte-Titelseiten-Umschau konnte die TAZ auf dem Rücken des Leichnams einen kleinen Aufmerksamkeitserfolg erzielen, den Chefredakteur Georg Löwisch durch eine angemessene "Das ging daneben"-Entschuldigung verdoppelte. Den Kontrapunkt zum "Kontrapunkt", den die TAZ setzen wollte, setzt heute "das letzte Foto", das Kai Diekmann geschossen hat und die Bild-Zeitung auch frei online veröffentlicht.
Aus der lange aufgelaufenen Fülle des Angebots noch zwei medial interessante Tipps: zum Einen "Lieber Langeweile als Faschismus", Thomas Assheuers zeit.de-Rückblick auf das Intellektuellen-Bashing Kohls. "Intellektuellen-Bashing" ist hier in der grammatikalisch möglichen Doppelbedeutung zu verstehen; also beiden bashten einander. Wie es ausging:
"In Wirklichkeit erwies sich die übereilte Einführung des Euro als epochaler Fehler, doch die deutschen Geistesarbeiter interessierten sich für solche Kleinigkeiten schon lange nicht mehr. Von einigen Unverzagten abgesehen, waren sie auf dem nationalen Dampfer unterwegs, und wenn sie gegen ihre Gewohnheit doch einmal über die EU nachdachten, dann protestierten sie – wie Enzensberger – todesmutig gegen den Krümmungswinkel der Eurobanane streng nach Brüsseler Norm. So waren die Intellektuellen am Ende politisch so handzahm, wie es sich Helmut Kohl schon immer erträumt hatte, während er selbst dastand wie ein großer europäischer Intellektueller."
Und am metaesten zeigte sich heise.de, das nicht nur darauf hinwies, dass ein "Digitalgipfel" der amtierenden Bundesregierung letzte Woche ausgerechnet in Ludwigshafen (Altpapier) stattgefunden hatte.
Außer der Gaus-Frage (der Günter-Gaus-, also "späte Geburt"-Zitat-Frage, die Bettina Gaus auch in ihrem gar nicht üblen, bloß von der doofen Titelseite überschatteten TAZ-Nachruf aufgenommen hatte), spricht Hal Faber (Wer das ist? Siehe blog.kooptech.de 2010) bei heise.de auch "Kohls berühmtes Zitat von den Datenautobahnen" an, das einst auch für viel Heiterkeit gesorgt hatte.
Stand 2017 ist, dass in Deutschland immer noch ziemlich viel halbwegs schnelles Internet durch genau solche Kabel läuft, die der Bundespostminister der Kohl-Ära, Christian Schwarz-Schilling, fürs Kabelfernsehen hatte verbuddeln lassen. Gewiss war das in allererster Linie geschehen, um dem neuen Privatfernsehen des befreundeten Parteispenders Leo Kirch Verbreitung zu garantieren. Dass es der damalige Regierung nicht um digitale Infrastruktur gegangen war, zeigte schon, noch in den späten 1990ern, die tölpelhafte Privatisierung der aus Steuermitteln gebauten Fernsehkabelnetz-Infrastruktur.
Doch dass das sog. Duale System des Fernsehens in Deutschland viele Jahre sehr gut funktioniert hatte (dass der Bertelsmann-Konzern zum zeitweise fast weltgrößten Medienkonzern aufsteigen konnten und die Kirch-Konzern-Reste lange nach der Pleite noch einen DAX-Konzern ergaben ...), war gleich noch eine medienpolitische Kollateralfolge der Kohl-Ära. Dass seither irgendeine Bundesregierung sinnvollere Medien- und Netzpolitik auch nur in Erwägung gezogen hätte, lässt sich leider nicht sagen.
[+++] Mehr aktuelle Bundesnetzpolitik und mehr Bertelsmann folgen weiter unten. Zunächst muss es wie in den letzten Wochen werktäglich um die Arte-Antisemitismus-Doku "Auserwählt und ausgegrenzt" gehen.
Kaum hatte am Freitag das israelische Außenministerium Arte aufgefordert (mena-watch.com), den Film auszustrahlen und den (übrigens nicht zuletzt von Helmut Kohl initiierten) deutsch-französischen Sender in eine schwierige Lage gebracht – schließlich lässt er sich von inländischen Regierungen faktisch eine Menge sagen, sollte aber keinesfalls den Eindruck erwecken, dass ausländische das auch können – da hat WDR-Intendant Tommy Buhrow doch noch auch
"entschieden, die Dokumentation und unsere handwerklichen Fragezeichen dazu transparent zur Diskussion zu stellen." (WDR-Pressemitteilung).
Zur Erinnerung: Buhrow steht dem WDR vor, der die Doku fürs Arte-Programm in Auftrag gegeben hatte, aber weder bei Arte noch in irgendeinem der vielen anderen Programme mit WDR-Beteiligung ausstrahlen wollte. Wo sie nun laufen wird, übermorgen abend um 22.15 Uhr: in der ARD.
Im Anschluss an den 90-Minüter soll Sandra Maischberger in ihrer Mittwochs-Talkshow über den Film diskutieren und "dabei ... auch die vom WDR beanstandeten handwerklichen Mängel der Dokumentation" ansprechen. "Was bisher Defensive war, soll jetzt Offensive werden: Alle, die es wollen, können sich ihre eine eigene Meinung bilden. Aber war das nicht schon lange vor dieser öffentlichen Aufregung der öffentlich-rechtliche Programmauftrag?", kommentiert Joachim Huber im Tagesspiegel.
Ob Israel zufrieden ist, weil das ARD-Programm ja von klar mehr Deutschen eingeschaltet wird als Arte, wäre eine weitere Frage. Die weiterhin vorherrschende Interpretation der "Auserwählt und ausgegrenzt"-Affäre geht ja dahin, dass die franzöische Arte-Seite den Film verhindern wollte und es dem WDR bloß keiner Mühe wert war, sich dagegen zu stellen. Und in Frankreich scheint der Film weiterhin nicht gezeigt zu werden.
[+++] Auch zumindest spannend: das letzte und spektakulärste netzpolitische Vorhaben der aktuellen Bundesregierung, das NetzDG (siehe zuletzt APkorb vom Freitag). Ob der Bundestag dafür stimmen wird, ist ungewiss. Z.B. könnte die mitregierende CSU SPD-Minister Heiko Maas "auflaufen lassen" wollen, berichtet handelsblatt.com in einer Lage-Zusammenfassung. "Die vielleicht entscheidende Anhörung" (Markus Decker, Frankfurter Rundschau) findet am heutigen Montag statt.
Zu den bekanntlich wenigen Befürwortern des Gesetzentwurfs gesellt sich der Deutsche Richterbund, schreibt Decker (der eigentlich für die Dumont-Medien schreibt; dort fehlt der Vorspann, aus dem das Zitat stammt, aber) dann. Unterdessen kündigt Facebook, also das Netzwerk, gegen dessen Gebaren sich das Gesetz in erster Linie richtet, immer mehr Initiativen gegen Hasskommentare usw. an:
"'Wir wollen terroristische Inhalte sofort entdecken, bevor Menschen in unserer Community sie zu sehen bekommen', betont die zuständige Facebook-Managerin Monika Bickert in einem Blogeintrag vom Donnerstag - um dann zu belegen, wie viel ihr Unternehmen bereits gegen das Problem unternehme. Facebook setze zum Beispiel künstliche Intelligenz ein, um terroristische Inhalte auf seiner Plattform zu entdecken. Dabei gehe es unter anderem darum, bereits bekannte Bilder und Videos beim erneuten Hochladen zu stoppen" (SPON),
also um genau das, was Facebook im März vorm Landgericht Würzburg dem klagenden Syrer Anas Modamani mit teuren Anwälten schnöde verweigert hatte (Altpapier).
Was auch immer man vom Gesetz hält: Die Folge, dass Facebook beginnt, sich überhaupt mit deutschem Recht zu beschäftigen, hat es.
+++ Einst, als Zeitungsjungen druckfrische Zeitungen noch aus den Händen gerissen wurden, waren auch spannende Fortsetzungsromane einer der Gründe dafür. Jetzt "greift" der Berliner Tagesspiegel "die große Tradition des Zeitungsromans wieder auf – im Internet. Man wird ihn unterwegs lesen. Und rätseln, wer der Mörder ist" (Tagesspiegel). Der ehemalige Großjournalist Michael Jürgs wird bis genau zur Bundestagswahl einen schreiben, und teasert ihn im Video so lustvoll an, dass Volker Herres und Thomas Bellut schon mit Hufen scharren dürften, um die Verfilmungsrechte zu ergattern. Das Mordopfer, das Jürgs ersonnen hat, ist "Joachim Freypen, Chef der rechten Nationalen Alternative ..." (Folge 1). +++
+++ Schwierige medien-/ netzpolitische Frage: Schadet oder nützt Geoblocking europäischen Film- und Fernsehproduzenten? Karoline Meta Beisel wägt auf der SZ-Medienseite differenziert ab. +++
+++ Bernd Buchholz, der von 1996 bis 2009 beim damals noch sehr wichtigen Verlag Gruner+Jahr arbeitete, zuletzt als Chef, und Mitglied der FDP ist, "wird als Wirtschafts- und Verkehrsminister" der schleswig-holsteinischen Jamaika-Koalition "gehandelt. Er ist im besten Ministeralter, kandidiert allerdings für den Deutschen Bundestag. Vor einem Eintritt in ein Kabinett Günther müsste sich Buchholz also gegen die Kandidatur entscheiden" (shz.de). +++
+++Streit bei ozguruz.org, also dem deutsch- und türkischsprachigen Oppositionsmedium, das das gemeinnützige, stiftungs- und spendenfinanzierte und (was den Plan, unentgeltlich auf Facebook sauberzumachen, betrifft) umstrittene corrrectiv.org mit-betreibt: "Die türkischen Journalisten würden von den deutschen Herausgebern 'ausgebeutet', schrieb [der ausgestiegene Mitarbeiter Hayko] Bagdat in einem aufgewühlten Beitrag auf Facebook. David Schraven, der Geschäftsführer von 'Correctiv', sagte dem Tagesspiegel, er sei 'total verletzt und traurig' über diese Vorwürfe, die er auf den Kulturschock, die Arbeitsbelastung und den psychologischen Druck zurückführe, unter dem die Emigranten stehen ..." +++
+++ Die oben erwähnte Sandra Maischberger hat den gestern ausgestrahlten "Mata Hari"-Film der ARD mit der (auch aus Heiko- Maas-Kontexten bekannten) Natalia Wörner produziert. "Nachdem Helmut Schmidt, der langjährige Hauptdarsteller ihrer Talks und Filme, weggestorben ist, wurde es vielleicht doch Zeit für ein weiblicheres Thema. Muss deshalb die Schragmüller - wenn auch damenhaft auf Spitze - so gierig rauchen?", lästerte Willi Winkler in der SZ. +++
+++ Eine Fernseh-Lichtgestalt der Kohl-Ära, Friedrich Küppersbusch, will der Tommy-Buhrow-WDR als Moderator nicht wieder auf den Sender lassen, wusste dieselbe zu berichten. +++
+++ Hätten Sie's gewusst? Gremienvorsitzendenkonferenzen gibt's nicht nur in der ARD, also bei den Landesrundfunkanstalten, sondern auch bei den Landesmedienanstalten. Da hat eine solche GVK entschieden, wer unter mehreren Bewerbern "den zweiten bundesweiten Multiplex für das Digitalradio DAB plus aufbauen" darf. Der, der sich als erster gemeldet hatte und "damit gewissermaßen die Ausschreibung initiiert hatte", war's nicht. Volker Nünning berichtet gewohnt kompetent bei medienkorrespondenz.de aus dieser wenig beachteten medienpolitische Nische. +++
+++ Gatekeeper sind Journalisten bekanntlich eher nicht mehr. Dafür müssen sich scharf bemühen, "Geheimnishüter der Leaks" zu werden, also ihre Informanten so zu schützen, wie es etwa Intercept kürzlich spektakulär nicht tat (Altpapier). Daniel Bouhs gab dazu nun Hinweise in der TAZ. +++
+++ Für den Tagesspiegel schätzte Aktham Suliman, der einst als der deutsche Al Dschasira-Korrespondent bekannt war, die aktuelle Lage des längst umstrittenen Senders aus dem aktuell umstrittenen Katar ein. +++
+++ Hier nebenan wird Jochen Arntz, Chef der Berliner Zeitung, zum Projekt zeitung-61.de, das "an die 61 Journalisten erinnern" will, "die 2016 in Ausübung ihres Berufes ums Leben kamen" (siehe natürlich auch Altpapier), interviewt. +++
+++ "Das Interessante ist ja, dass ich in den ganzen Tatort-Jahren kein einziges Mal von Zuschauern angesprochen wurde, dass Sarah Brandt Deutsche ist und ich aus der Türkei komme. Aber bei der Presse wurde ich immer wieder gefragt, warum ich denn Sarah Brandt heiße, wer die Idee hatte, ob es meine Idee war, warum ich denn eine deutsche Rolle spielen würde, eine Türkin hätte doch interessantere Facetten. Aha, sage ich dann: Das heißt, Sie finden deutsche Rollen langweiliger als türkische?" Das interessantese Sibel-Kekilli-Interview mit der nun ehemaligen "Tatort"-Kommissars-Darstellerin hatte der Standard. +++ Die Zwischenbilanz der nun beendeten "Tatort"-Saison 16/ 17 klappt Joachim Huber im Tsp. zu. +++
+++ Und seit wenigen Minuten online und lesenswert: das 90-seitige Arbeitspapier bzw. PDF der ehemaligen Spiegel Online-Netzwelt-Mitarbeiter Konrad Lischka und Christian Stöcker dazu, "wie algorithmische Prozesse den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen". Erschienen ist es bei der Bertelsmann-Stiftung, für die Lischka inzwischen arbeitet. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.