Wagnerianische Todesgeilheit

Wagnerianische Todesgeilheit
Die AfD Sachsen schließt einen Zeitungsreporter von ihrem Parteitag aus. Die ARD zeichnet nach, wie sich das Leben in Clausnitz entwickelt hat, seitdem das sächsische Dorf weltweit berüchtigt wurde. Correctiv kritisiert „kampagnenartige“ Angriffe auf die eigene Arbeit. Außerdem: das Oval Office als „Wackelkulisse einer schäbigen Dokusoap“; der Martin-Schulz-Gegner Gabor Steingart; das möglicherweise „aufgebauschte“ Thema Social Bots.

Die Bekanntheit des Fox-TV-Moderators Sean Hannity hält sich in Deutschland in Grenzen. Im Altpapier kam er bisher nicht vor - wobei es gewiss schlagkräftigere Indizien für die Eingangsthese gibt. Dass er hier nun doch auftaucht, liegt daran, dass er in der vergangenen Woche ein Interview mit Donald Trump geführt hat, das man durchaus lehrreich finden kann. Kay Sokolowsky (Abfall aus der Warenwelt) hat eine Betrachtung dieser bemerkenswerten Sendung, in der Hannity eine bisher kaum gekannte Form des Speichelsaufens performt, ans Ende eines Blogbeitrags gestellt, für den er hauptsächlich „Trumpology“-Analysen linker US-Journalisten zusammengestellt hat:

„Diese 50 Minuten purer Propaganda sind so grotesk und grausig, dieser Oberrechthaber wirkt so lächerlich und lumpig, die Beschränktheit jedes seiner Sätze ist so offenbar, dass ich zum ersten Mal seit der Inauguration nicht nur Sorgen, sondern Angst habe vor den kommenden Zeiten (…) Etwas vergleichbar Bizarres haben Sie aus dem Oval Office noch nie gesehen und gehört, nicht mal im Kino. Mit einem wie Drumpf als Hauptdarsteller wird sogar das Herzstück der Weltmacht zur Wackelkulisse einer schäbigen Dokusoap.“

Ich würde empfehlen, beim Interview, auf das u.a. auch The Daily Beast eingeht, ab Minute 38 reinzuschauen. Die von Sokolowsky erwähnte Angst wird sicherlich nicht gemindert durch die Nachricht, dass Trump den US-amerikanischen Jürgen Elsässer, also den einstigen Breitbart-News-Macher Stephen Bannon, zu einem ständigen Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat gemacht hat (Politico, Vanity Fair, Zeit Online). Die Flapsigkeit der Vossianischen Antinomasie im vorigen Satz ist i.Ü. als Versuch zu verstehen, die eigene Angst etwas abzudämpfen.

[+++] Um der gedrückten Stimmung aber gleich mal etwas entgegenzusetzen: Ein in meiner Filterblase am Wochenende häufig verbreiteter Text trägt die Überschrift „Wir können es uns nicht leisten, pessimistisch zu sein“. Franziska Schutzbach hat ihn in ihrem Blog Präzis und kopflos publiziert:

„Es ist ja nicht so, wie manche meinen, dass sich das so genannte ‚liberale Zeitalter‘ gerade jetzt dem Ende zuneigt. Eine solche Untergangs-Stimmung können sich vermutlich nur ‚Verwöhnte’ leisten, also diejenigen, die es in den letzten Jahren gewohnt waren, eine Stimme, Rechte, Zugang, Anerkennung, auch Geld, Arbeit usw. zu haben. Für viele hat das ‚liberale Zeitalter’ aber nie wirklich begonnen, oder nur begrenzt. Für Frauen aus der Arbeiterschicht, für People of Color, Geflüchtete, für nicht-heterosexuelle Menschen – und viele andere. Für sie gibt es nicht erst jetzt etwas zu beklagen, zu betrauern. Nicht erst, seit Trump gewählt wurde (…) Es ist ein Luxus, dass viele von uns sich erst jetzt mit dem ganzen menschenfeindlichen ‚Müll‘ konfrontiert wähnen.“ 

Warum, um nach diesem Schlenker auf Schutzbachs Überschrift zurückzukommen, Pessimismus derzeit die falsche Option ist, erläutert sie unter anderem mit Rückgriff auf Sebastian Haffners „Geschichte eines Deutschen“, in dem er die Entwicklung in Deutschland vor 1933 beschreibt. Ohne diese Zeit mit der heutigen „eins zu eins vergleichen“ zu wollen, schreibt Schutzbach: 

„Folgt man Haffner, strotzte das Bürgertum (in jener Vor-Phase des Nationalsozialismus) vor dieser perversen ‚Wollust der Selbstaufgabe‘, einer ‚wagnerianischen Todes- und Untergangsgeilheit‘, denn diese bot eine Tröstung (…) Haffner weiter: ‚(..) Das einzige, düstere Vergnügen, das ihnen geblieben ist, ist die schwelgerische Ausmalung der Furchtbarkeiten. Vielen von ihnen würde etwas fehlen, wenn sie dies nicht mehr hätten, und bei manchen hat sich die pessimistische Verzweiflung geradezu in eine Art Behaglichkeit umgesetzt.‘“

Dass Journalisten von Haffner etwas lernen können für den „Umgang“ mit Donald Trump, finde ich durchaus.

[+++] Der sächsische Landesverband jener Partei, die viel übrig hat für Donald Trumps Umgang mit Journalisten, hat am Samstag einen Journalisten der Sächsischen Zeitung vom Parteitag in Klipphausen ausgeschlossen (jenes Blatt in eigener Sache), dieser musste „in Begleitung von Ordnern und unter Beifall der Parteitagsbesucher“ den Saal verlassen (DJV-Sachsen-Blog). Peter Stawowy (Flurfunk Dresden) meint:

„Im mildesten Falle belegt der Vorgang, dass die AfD-Delegierten im Allgemeinen mangelhafte Kenntnisse von der Funktion einer Demokratie und im Speziellen von der Bedeutung der Parteien und der Pressefreiheit haben (…) Im schlimmsten Falle belegt der Vorgang, dass sich die AfD nicht auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt.“

Tino Moritz kommentiert in der Freien Presse aus Chemnitz:

„Der Parteitag, der kurz zuvor noch mit großer Mehrheit gegen den obligatorisch beantragten Ausschluss der Presse gestimmt hatte, schmiss mal eben einen anwesenden Redakteur der Sächsischen Zeitung aus dem Saal, nur weil sich ein Delegierter ans Mikro gestellt und abstrakt von ‚Hetzartikeln‘ gesprochen hat. Dafür gab es die Mehrheit, obwohl die meisten nicht einmal ansatzweise gewusst haben dürften, um was es überhaupt ging. Hinterher tat es manchen übrigens leid.“ 

Stawowy erwähnt noch, es sei „positiv“ anzumerken, dass es Gegenstimmen gab. Ob die Delegierten, die dafür waren, dass der Mann von der Sächsischen Zeitung im Saal bleibt, auch oder oder nur ein bisschen was für das Grundgesetz im Allgemeinen oder die Pressefreiheit im Besonderen übrig haben oder ob sie eher Verfechter der Any-promotion-is-good-promotion-Haltung sind - das wissen wir allerdings nicht, zumindest ich weiß es nicht. Wie ein gewisser Jens Maier abgestimmt hat, der nach der Veranstaltung den MDR als „Feindsender“ bezeichnete, weiß man auch nicht.

Mich würde ja noch interessieren, ob es unter den im Saal verbliebenen Journalisten Überlegungen gab, aus Solidarität mit dem rausgeschmissenen Kollegen einfach nach Hause zu gehen, aber ich befürchte, die Gruppe jener, die das ebenfalls interessiert, ist nicht allzu groß.

[+++] Bleiben wir in Sachsen: Die ARD zeigt in ihrer Reihe „Die Story im Ersten“ heute die Reportage „Der Bus, der Mob und das Dorf. Letzte Ausfahrt Clausnitz“, die nachzeichnet, was sich in besagtem sächsischen Dorf getan hat, seitdem dort vor einem Jahr ein Mob einen Bus mit Flüchtlingen mit Kopf-ab-Gesten und „Wir sind das Volk“-Gegröle begrüßte.

„Clausnitz wurde auch zum konkreten Beleg eines allgemeinen Gefühls, das viele in Bezug auf den Osten pflegen und dort speziell in Bezug auf die Sachsen. Diese seien nämlich wild und engherzig und auch sonst hässlich in vielen Farben“,

schreibt Cornelius Pollmer in seiner Rezension für die SZ. Er lobt den Film von Klaus Scherer und Nikolas Migut, „die ein Jahr lang immer wieder ins Erzgebirge gefahren sind, um den Ort bei seinen Wiederaufstehversuchen zu begleiten“: 

„Der Film bemüht sich, die Perspektiven sehr unterschiedlicher Menschen einzunehmen, die der Weltgeist in Clausnitz zusammengewürfelt hat.“

Und Thomas Gehringer (Tagesspiegel) schreibt: 

„Scherer und Migut stießen auf weit verbreitetes Schweigen. Dennoch ist ihnen eine differenzierte Reportage gelungen, die Clausnitz weder als besonders übles Nazi-Nest an den Pranger stellt noch schönrednerisch entlastet.“

Ich habe „Der Bus, der Mob und das Dorf“ für die Stuttgarter Zeitung besprochen (der Text steht derzeit nicht online). Ein besonders prägnantes Interview-Zitat stammt von einem Kenner des rechten Milieus in Clausnitz, der unerkannt bleiben will, weil er die Protagonisten persönlich kennt: 

„Seit der Wende blutet dieser Landstrich genauso aus wie viele andere auch, übrigens nicht bloß im Osten. Die Dummen und Alten bleiben hier. Und um Nazi zu werden, muss man eigentlich nur eins sein: dumm.“

[+++] Wesentlich häufiger rezensiert wird „Landgericht“, ein ZDF-Zweiteiler über einen während der NS-Zeit nach Kuba emigrierten jüdischen Richter namens Richard Kornitzer. Es ist die Verfilmung eines Bestseller-Romans von Ursula Krechel, der an wahre Geschichte angelehnt ist. Barbara Sichtermann (epd medien) schreibt:

„Der Roman weicht in manchen Aspekten von der gelebten Historie ab. So ist der Protagonist nach China und nicht nach Kuba geflüchtet, und er hatte es in der Fremde, wo er interniert wurde, längst nicht so gut wie der TV-Kornitzer auf Kuba. Doch derlei Abwandlungen sind der Fiktion gestattet, sowohl in der Literatur als auch in der Filmkunst, solange der Kern einer Geschichte, ihre innere Wahrhaftigkeit, gewahrt bleibt. Das ist bei ‚Landgericht‘ der Fall.“

Martin Doerry argumentiert dagegen im Spiegel (Ausgabe 4/17), der Unterschied zwischen den  „katastrophalen Zuständen“, denen der als Vorbild für die Fiktion dienende Jurist Robert Michaelis zumindest ab 1943 am realen Fluchtort Shanghai ausgesetzt war, und dem vergleichsweise ungefährlichen Kuba sei zu massiv, als dass man die Erfindung in Roman und Film als künstlerische Freiheit „entschuldigen“ könne.

„Immerhin" liefere die nach dem Ende des ersten Teils ausgestrahlte Dokumentation notwendige Korrekturen, bemerkt Doerry, und auch Harald Keller (Medienkorrespondenz) lobt, wenn auch mit Einschränkungen, „die nicht unproblematische, weil mit Szenen aus dem Spielfilm und also Erfundenem durchsetzte Dokumentation der Autorin Annette von der Heyde“, denn:

„Deutlicher als der fiktionale Zweiteiler zeigen die authentischen Dokumente die Dramatik des Lebens in der Emigration.“

Nikolaus von Festenbergs im Tagesspiegel formuliertes Lob, wir hätten es bei dem Zweiteiler mit einem „Fernsehereignis“ zu tun, das „eindrucksvoll neben einem Film wie ‚Unsere Väter, unsere Mütter‘“ stehe, klingt in meinen Ohren vergiftet, aber dafür kann der Autor ja nichts. „Ein gutes Stück unterhaltsamen Bildungsfernsehens, eine verdienstvolle Mischung aus eingängigem Drama und unaufdringlicher Seelenstudie“ hat Thomas Hahn (SZ) gesehen, während Lennart Laberenz (FAS) gar nicht zufrieden ist:

„Man (…) findet wenig, was einem die Figuren näher bringen könnte. Alle wirken oft wie bestellt und nicht abgeholt, nur lassen ihnen Kamera, Schnitt und Dramaturgie nicht einmal dafür genügend Raum. Und nebenbei verdünnt das ZDF die politischen Dimensionen der Erzählung zu ballaststoffarmem Entertainment (…) Fast könnte man denken, dass ‚Landgericht‘ eigentlich noch zum Weihnachtsprogramm hätte gehören sollen.“

In der heutigen FAZ (Link für Abonnenten) wiederum schreibt Martin Bernd Michaelis einen Brief an das Filmfigur-Vorbild Robert Michaelis: „Großvater, heute Abend läuft Dein Leben im Fernsehen!“

[+++] In der vorvergangenen Woche kurzzeitig ein heißes Thema: die für wenige Minuten bei diversen seriösen Medien kursierende Fehlmeldung, das Bundesverfassungsgericht habe die NPD verboten (siehe Altpapier). Jochen Stay greift in der Februar-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik nun die weitaus gravierendere Falschberichterstattung über ein Verfassungsgerichtsurteil auf, mit der sich zumindest meiner Wahrnehmung nach Medienkritiker bisher nicht befasst haben. Es geht um dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg und den Regelungen der Folgekosten der Atomkraft, gefällt Anfang Dezember. 

„Für die klagenden AKW-Betreiber ist das Urteil eigentlich eine krachende Niederlage. Doch die schräge mediale Darstellung verwandelte sie in einen Punktsieg im Kampf um die öffentliche Meinung“, schreibt Stay.

Warum es so kam, rekapituliert er in diesem für einen Euro zu habenden Artikel folgendermaßen:

„Die Verlesung der Urteilsbegründung dauerte ungefähr zwei Stunden. Doch schon nach wenigen Minuten gingen erste Meldungen über die Ticker der Nachrichten-Agenturen - und waren geprägt von Missverständnissen (…) Etwa bei dpa: ‚Konzernen steht angemessene Entschädigung für Atomausstieg zu. Das Bundesverfassungsgericht hat Klagen von Eon, RWE und Vattenfall stattgegeben. Die Bundesregierung muss sie entschädigen.‘ Irgendwo im Text stand dann noch die Zahl von 19 Mrd., die sich zwar nicht direkt auf das Urteil bezog, aber von vielen so gelesen wurde. AFP schrieb etwas später: ‚(…) Berichten zufolge könnte die Entschädigungssumme bis zu 20 Mrd. Euro betragen.‘ Zu diesem Zeitpunkt hatte eine RWE-Sprecherin in Karlsruhe zwar längst (…) eingestanden (…), ‚dass es dabei nicht um die Milliardenentschädigungen geht, die in den Medien so häufig kolportiert worden sind‘ (…) Doch es nützte nichts. Fast sämtliche Nachrichtenwebsites nahmen die Agentur-Meldungen auf.“

Während die erste falsche Meldung über das NPD-Urteil keinerlei Folgen hatte, war das in der Atomausstiegs-Sache ganz anders:

„Infolge der Berichterstattung schossen die Börsenkurse von Eon und RWE in die Höhe (…) Der Deutschlandfunk berichtete ab mittags den korrekten Sachverhalt, ließ aber immer wieder Politiker zu Wort kommen, die das Urteil nicht verstanden hatten, weil sie nur die Agenturmeldungen kannten. Bei Spiegel Online, taz und vielen anderen blieb die erste Meldung den Tag über unwidersprochen stehen (...) Bei einem Großteil der Bevölkerung blieb nach diesem Tag wahrscheinlich hängen: Das Abschalten von AKW ist rechtswidrig und kostet die Allgemeinheit viele Milliarden. Dieser Effekt resultierte sicherlich nicht aus politischer Absicht, sondern folgte schlicht aus der Inkompetenz bei den Agenturen und der fehlenden Zeit bei Online-Medien und Kommentatoren.“


Altpapierkorb

+++ Kampagnenartig wird versucht, unsere Arbeit zu stören“, berichtet David Schraven von Correctiv in eigener Sache. Dies täten unter anderem „Anhänger der neuen Rechten“, die „offensichtlichen Unfug“ des - Nicht schlecht, Herr Specht! - „ehemaligen Journalisten“ Roland Tichy nicht als Unfug zu identifizieren in der Lage seien. Den in einer Liga mit Tichy spielenden Michael Maier, hier inkonsequenterweise nicht als „ehemaliger Journalist“ bezeichnet, und den in einer ganz anderen Liga spielenden Spiegel attackiert Schraven ebenfalls, letzteren wegen eines offenbar unfeinen Artikels (vermutlich ist dieser gemeint) über die Brost-Stiftung, den Hauptfinanzier von Correctiv. Hinzu kommt: Seit dem Start von Özgürüz mit Can Dündar (siehe Altpapier) „greifen uns türkische Extremisten an. In der Zeitung Sabah wurde ein Foto veröffentlicht, in dem ich mit einem roten Kreis markiert werde. Als angeblicher Agent, der Terroristen unterstützt. Unsere Redaktion steht unter polizeilichem Objektschutz. Personenschützer gehen bei uns ein uns aus. Und das in Deutschland. Wie weit sind wir gekommen?“

+++ Ebru Tasdemir geht in der taz darauf ein, dass die türkische Regierung den Zugang zu Özgürüz in ihrem Land blockiert hat: „Auf der Facebook-Seite von Özgürüz diskutieren bereits Leser*innen aus der Türkei, wie die Blockade zu umgehen sei: ‚Hola programini yükle, almanyadan giri? yap sayfaya‘, schreibt der Nutzer As Se, also ‚Lad Dir das Programm Hola runter und gehe von Deutschland aus auf die Seite.‘ Der Nutzer T.S. schreibt: ‚Nutzt VPN!‘ Dass sie sich so gut auskennen, ist kein Zufall. Nach Angaben des Freedom of the Internet Report 2016 wurden in der Türkei 2016 mehr als 100.000 Webseiten geblockt.

+++ Eine Ergänzung zu dem am vergangenen Montag hier erwähnten, mittlerweile online frei verfügbaren FAS-Gespräch mit der viereinhalb Monate lang inhaftierten Schriftstellerin und Journalistin Asli Erdogan: Auch Oliver Mayer-Rüth, ARD-Korrespondent in Istanbul, hat sie interviewt, und zwar für seinen Videoblog „Orient-Express“. Erdogan betont hier gleich zu Beginn, dass das „Vergehen“, das sie hinter Gittern gebracht hat, in der Mitgliedschaft in dem "symbolischen Beratergremium" einer legalen Tageszeitung bestand.

+++ In der SZ vom Wochenende würdigt Olli Dittrich seinen langjährigen Weggefährten, den „Schildkröte“-Darsteller Franz „Piggi“ Jarnach, der am 16. Januar im Alter von 72 Jahren verstorben ist: „Ich habe bei Piggi oft gedacht: Wer so rumpelig und urgewaltig daherkommt, der schützt in Wahrheit eine feine, zarte Künstlerseele. Für den ist Angriff die beste Verteidigung (…) Und wenn man miterlebt hat, wie vorsichtig, fast demütig und verunsichert er zurückweichen konnte, sollte ihm jemand im falschen Moment zu nahe kommen oder ihm schlicht nicht ganz geheuer sein, dann hatte man eine Ahnung von diesem bunten, kreativen Kosmos in seinem herzlichen Wesen. Von diesem zarten, feinfühligen, verletzlichen Romantiker, der er eigentlich war.“

+++ Den bizarren Anti-Schulzismus des Handelsblatt-Muftis Gabor Steingart greift Jürgen Kaube in der FAZ auf. Steingart, so der Frankfurter Feuilletonchef, werfe dem SPD-Kanzlerkandidaten Schulz unter anderem vor, er „sei im Volk weithin unbekannt und habe nicht einmal die Zulassung zum Abitur geschafft. Wer aber gegen eine promovierte Physikerin antrete, müsse ‚eine Dachstube mit Innenausbau vorweisen können‘“.

+++ Nachkritiken zum Schulz-Auftritt bei "Anne Will" sind u.a. zu finden in der Stuttgarter Zeitung, im Tagesspiegel, bei Zeit Online und Spiegel Online.

+++ Weitere Beiträge zu 40 Jahre Emma (siehe Altpapier von Freitag): „Seit Bestehen der Emma ging es immer um die Hoheitsrechte über den Feminismus. Seitdem Missy und der Netzfeminismus der Emma den Alleinstellungsanspruch streitig machen, ist dieser Konflikt neu entbrannt. Und es wäre eine Unterschätzung, dafür den ‚Kampf der Generationen‘ verantwortlich zu machen. Es geht damals wie heute um politische Differenzen, die aber, weil Frauen beteiligt sind, leider meist untergehen“, schreibt Ulrike Baureithel im Freitag. Und Missy-Gründerin Stefanie Lohaus sagt gegenüber Bascha Mika (Frankfurter Rundschau): Alice Schwarzer tritt zu feministischen Themen ja gar nicht mehr in Erscheinung, nur noch im Zusammenhang mit Islam und Prostitution. Und in beiden Themenfeldern vertritt sie eine konservative Haltung und ist mit pauschalisierenden Aussagen zu Geflüchteten und gegen Political Correctness Stichwortgeberin für die Neue Rechte. Damit hat sie für mich jede Vorbildfunktion verloren.“

+++ Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs, hält laut Golem das Thema Social Bots „für fürchterlich aufgebauscht“. Das sagte er bei einer Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschätzung im Bundestag. „Wenn ich einen Effekt empirisch schwer nachweisen kann, würde ich mir als Wissenschaftler darüber Gedanken machen, wie groß dieser Effekt überhaupt sein kann. Dieser Unsinn, der über die Wahlmanipulation durch Social Bots jetzt verbreitet wird, wird nur durch eines überboten: Und das sind die politischen Reaktionen darauf“, sagte er dort ebenfalls. Dies wiederum zitiert der Tagesspiegel. Nicht zuletzt poltert Neumann im Interview mit konkret (Februar-Ausgabe): „Es wäre schon erstaunlich, wenn nach Jahrzehnten der Hetze und Verdummung, zielgerichteter Werbung im Internet und flächendeckender Wahlplakatierung nun ausgerechnet Social Bots wahlentscheidend sein sollten.“

+++ Ist die Schweiz „auf dem besten Weg, zum ersten Mal Internet-Sperren einzurichten“? Was „der Bundesrat und der Ständerat bereits verabschiedet haben“, könnte jedenfalls „die Tür aufstossen zu einer umfassenden Internet-Zensur“, meint die NZZ. Blockiert werden sollen demnach „ausländische Internetportale, die ohne Schweizer Konzession Geldspiele anbieten“. Diese Massnahme diene dazu, „die Schweizer Kasinos zu schützen“.

+++ Das neue bayerische Integrationsgesetz, das „nach einer 16-stündigen Marathonsitzung am frühen Morgen des 9. Dezember kurz nach 5.00 Uhr von den Abgeordneten der regierenden CSU beschlossen“ wurde und seit Anfang Januar gilt, enthält auch einen Passus, „der die Medien betrifft“, weiß die Medienkorrespondenz. Es handelt sich um Artikel 11 des neuen Gesetzes, der da lautet: „Der Bayerische Rundfunk und die nach dem Bayerischen Mediengesetz an der Veranstaltung von Rundfunk Beteiligten unterstützen im Rahmen ihres Programmauftrags die Integration. Die Angebote in Rundfunk und Telemedien sollen einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur leisten.“ Die MK zitiert dazu unter anderem die sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Martina Fehlner. Sie sagt: „Die Leitkultur als einen konkreten Programmauftrag in ein Gesetz zu schreiben, ist ein Eingriff in die Rundfunkfreiheit.“ Dass sich mit dem Passus dereinst das Bundesverfassungsgericht befassen wird, halte ich für nicht unwahrscheinlich.

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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