Fast könnte es etwas beruhigend wirken: Erstmals im laufenden Jahr sind die tagesaktuell diskutierten Medien-Themen weitgehend die gleichen, die auch am Vortag diskutiert wurden. Es geht ums Bild-Zeitungs-Interview mit dem künftigen US-amerikanischen Staatschef und den überraschenden Deal, den correctiv.org als "Faktencheck-Helferlein" (welt.de) mit Facebook einging.
Das Trump-Interview (AP gestern) am sinnvollsten und schönsten zusammen fasst die TAZ auf ihrer Titelseite.
Ansonsten wird es quer durch alle Mediengattungen und Ressorts mit einer Aufgescheuchtheit durchgenommen, die Donald Trump oder wen immer in seiner Entourage Deutschland interessiert – womöglich der nächste Millionär, dem der Berliner Botschafterposten versprochen ist –, freuen dürfte. Das Selbstbewusstsein der deutschen Öffentlichkeit konzentriert sich im Wesentlichen auf die Autoindustrie. Und sie (die Öffentlichkeit, sofern sie von der Autoindustrie zu trennen ist) reagiert mindestens so flott auf Tweets wie die US-amerikanische.
In die Medienmedien:
Trump "haut, nein, er twittert Sätze aus, bei denen deutschen Politikern und dem deutschen Publikum Hören und Sehen vergehen könnte. ... Trump spricht wie ein Dealer-Präsident. Seine Drohungen werden gleich via Skype-Interview mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel aufgefangen, auch diesen Aspekt, bei den Reaktionen vorne zu liegen, verpasst die 'Bild'-Truppe nicht. Montag ist 'Bild'-Tag. Und Kai Diekmanns Stunde",
fasst im Tagesspiegel Joachim Huber zusammen, der allerdings arg viel Diekmann-Respekt (der "und Trump haben für den Termin fast identische Krawatten und Anzüge in ihren Kleiderschränken gefunden ...") demonstriert. Das mit dem Sätze-Twittern trifft jedoch zu:
"'Ich dachte, ich würde es zurückschrauben, aber die Presse berichtet so unehrlich über mich - so unehrlich -, dass ich mich über Twitter äußere. Und es sind nicht 140 Zeichen, es sind jetzt 140, 280 - ich kann bing, bing, bing machen und mache einfach weiter, und sie veröffentlichen es, sobald ich es twittere.' Dies ist ein Pluspunkt des Gesprächs: Der Leser kann - in umfangreicher Länge und in deutscher Sprache - mitverfolgen, wie Trump frei assoziierend von Thema zu Thema springt und vor allem sich selbst und seine Leistung anpreist" (sueddeutsche.de)
Sicher ist es für Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft sinnvoll, jeden online oder gesprochen getwitterten Trump-Satz, der sie betreffen könnte, zügig zu analysieren. Ob es jedoch Medien hilft, allesamt sofort ausführliche Analysen inklusive der Frage, wie denn BMW am besten reagieren sollte, zu veröffentlichen (sogar in der TAZ), ist etwas anderes.
Weitere Stimmen zum Interview, "dass [sic] nicht gerade als Lehrbeispiel aus der Abteilung 'Knallhart nachgefragt' in die Mediengeschichte eingehen wird", hat meedia.de gebündelt. Und eine schöne Beobachtung über Kai Diekmann und seinen englischen Sidekick, der beim Interview-Making-of noch schlechtere Figur machte, notiert der Guardian:
Michael "Gove was in New York to serve as a cheerleader, to gloss over Trump’s inconsistencies and outright ignorance on assorted topics – 'intelligence takes many forms', Gove writes kindly – and to pose for a souvenir photograph in which both men give a thumbs up, a framed cover of Playboy just over Gove’s shoulder. (Note the contrast with Bild’s Kai Diekmann, with whom Gove shared the interview: in his photo with the president-elect, Diekmann’s hands remain safely in neutral.)"
Wie die europäischen Öffentlichkeiten reagieren und behandelt zu werden verdienen, wird nun wahrscheinlich im Trump Tower analysiert (und vielleicht nicht gleich veröffentlicht). Das Bing, bing, bing scheint grundsätzlich zu funktionieren. [Womit ich natürlich keine Suchmaschine bewerben möchte. Falls doch, würde ich duckduckgo.com empfehlen ...]
[+++] Erst mal abwarten, bis erste sogenannte Fake News auf Facebook "als dubios markiert" worden sind, lautet der Tenor zur correctiv.org-Initiative (AP gestern).
Mal wird er freudiger formuliert ("Die Richtung stimmt. Danke an die Kollegen bei Correctiv!", Hendrik Zörner im Blog der Journalistengewerkschaft DJV; "Wohl an, wenn damit auch der Bullshit, Unwahrheiten aller Art, aus dem Netz kommt", Markus Ehrenberg im Tagesspiegel), mal skeptischer. "Unser Kolumnist kann die Bedenken verstehen, rät aber, der Idee erst mal eine Chance zu geben", überschreibt wired.de Johnny Haeuslers Kommentar, der dann auch das für meinen Geschmack größte bereits bestehende Problem benennt:
"Dass Correctiv als gemeinnütziges Unternehmen nach eigener Aussage zunächst kostenlos für Facebook tätig wird, begeistert mich allerdings nicht gerade. Spenden- und Fördergelder für Dienstleistungen an eine der reichsten Firmen der Welt einzusetzen, erscheint mir verschwenderisch und unfair."
Deutliche Kritik am gemeinnützigen "willigen Helferlein" kommt im Welt-Artikel nicht nur von Autor Christian Meier ("Schon seit Langem nährt die Vorgehensweise von Facebook den Eindruck, dass sich Medien zumindest als Geschäftspartner nicht auf einer Augenhöhe mit den Kaliforniern befinden"), sondern auch von einem befragten Experten:
"'Medien sollten sich an dieser Initiative von Facebook nicht beteiligen', rät der Journalistikprofessor Volker Lilienthal gegenüber der 'Welt'. Die Aufgabe des Journalismus sei die Berichterstattung für die Öffentlichkeit, 'nicht das Säuberungsgeschäft für Facebook'. Das Internetunternehmen müsse das Problem grassierender Falschinformationen selbst in den Griff bekommen. Lilienthal, der an der Universität Hamburg lehrt und früher selbst Journalist war, warnt Medien davor, Etiketten wie Fake News zu verteilen."
Correctiv-Chef David Schraven entrollt indes unverdrossen seine eigene einerseits-erst-mal-abwarten-andererseits-in-die Hände-spucken-Agenda, im "Morgenmagazin" im Fernsehen (knapp fünf Minuten) wie in der Morgenpost. Da handelt es sich um die Berliner Morgenpost, die inzwischen eine Funke-Zeitung ist. Bei der Funke-Mediengruppe handelt es sich um die ehemalige WAZ-Gruppe, für die Schraven einst arbeitete und deren einstige Mit-Eigentümer correctiv.org zum Start üppig finanziert haben. Für die Morgenpost hat Schraven am Ende des ebenfalls kurzen Interviews ein Schmankerl dabei:
"Aber alleine werden die das nicht schaffen. Ich glaube, vor allem Regional- und Lokalzeitungen können eine noch wichtigere Rolle spielen, indem sie Falschmeldungen mit Faktenchecks widerlegen. Die sind nah dran und haben eine enge Verbindung zu den Lesern. Wenn zum Beispiel ein Vergewaltigungsvorwurf auf Facebook gepostet wird, kann das doch schnell nachrecherchiert werden. Und die Erkenntnisse können wieder über Facebook ausgespielt werden."
Und ein bisschen würde Facebook unter fehlenden Abonnenten und Anzeigen leidende Lokalzeitungen für solche Leistungen vielleicht auch bezahlen, wer weiß. Ob Medien mitmachen sollten, wie Schraven natürlich möchte, oder nicht, wie Lilienthal rät: Das dürfte noch eine spannende Diskussion werden.
[+++] Kurzer Themenwechsel: Welche Not Lokalzeitungen leiden, beschreibt Ulrike Simon eindrucksvoll am Beispiel der Berliner Zeitung (Altpapier) bzw. der Berliner Zeitung-en, die derzeit aus arbeitsrechtlichen Gründen (um möglichst einen "Betriebsübergang" zu vermeiden, der bisher Angestellten zu besseren Rechten verhülfe) an zwei Standorten hergestellt werden.
"Der Verlag will das als Zeichen für die attraktiven Arbeitsbedingungen verstanden wissen. Genauso gut lässt sich die hohe Zahl mit dem desolaten Arbeitsmarkt für Journalisten erklären" (horizont.net).
[+++] Zurück zum Thema der sog. Fake-News: FAZ-Feuilletonchef Jürgen Kaube bezeichnet das Correctiv heute als "eine Art Stiftung Warentest für Kommunikation":
"Die Bearbeitung amerikanischer Wähler durch Big-Data-gestütztes Marketing und russische Staatstrolle zum einen sowie zum anderen Leute, die irgendeinen niederträchtigen Blödsinn über Flüchtlingspolitik verbreiten, erscheinen manchem jetzt als Paradigmen gegenwärtiger Meinungsbildung. Ihm treten nun Projektemacher entgegen. Genauer: Sie meinen, dieser Meinungsmache mittels haarsträubender Desinformation durch Projekte entgegentreten zu können. Eine Art Stiftung Warentest für Kommunikation im Netz und auch sonst ist ihr Ideal",
Dann [Nachtrag am Nachmittag: inzw. frei online] legt er mit Argumenten zwischen der Fabel vom Hasen und dem Igel einer- und Niklas Luhmann andererseits dar, warum dieser Ansatz erfolglos sein werde. Auch interessant ist der Satz:
"Und wenn Juraprofessoren gar schreiben, Wahlen seien rechtswidrig, wenn sie nicht mehr (!) auf der Basis von Fakten entschieden würden, möchte man diese Formulierung sofort als lustigsten Kategorienfehler des Jahres nominieren ('Wiedervereinigung ungültig: Kohl war gedopt!', hieß es einst satirisch, 'Bundestagswahl illegal: Steuersenkungsversprechen gebrochen' wäre das Analogon)."
Ja, wo schreiben Juraprofessoren denn so etwas? Gestern in der FAZ tat das Rolf Schwartmann an derselben Stelle, vorn auf dem FAZ-Feuilleton, in seinem Gastbeitrag "So bekämpft man die Lüge im Netz", der u.v.a. einen "runden Tisch von Diensteanbietern (Facebook, Google, Twitter etc.), etwa unter Moderation einer staatlichen Stelle" vorschlug und das "Correktiv" wiederum begrüßte. Das Gemenge, das Schwartmann da ausmalt und den Deutschen Presserat auch noch beinhaltet, wirkt tatsächlich nicht unabenteuerlich. Aber die Binnendebatten in der FAZ sind nicht mehr, was sie mal waren.
Etwas älter, nämlich am Sonntag morgen veröffentlicht (und per "*Update" zwischendurch um die später bekannt gewordene Correctiv-Idee ergänzt), aber relevanter ist Julia Krügers ausführlicher Artikel auf netzpolitik.org, der sich gegen "ineffiziente und intransparente industrielle Selbstregulierung" ausspricht und die hierzulande immer weiter ausgeblendeten Aspekt, dass Facebook selbst Teil einen großen Problems darstellt, beleuchtet:
"Vernachlässigt wurde die Manipulation der Diskurse durch Facebook selbst, die über eine Verstärkung beliebter ('relevanter') Inhalte weit hinaus geht. Einer in Expertenkreisen breit diskutierten Studie zufolge ist von einer systematischen und äußerst intransparenten Reduktion der Vielfältigkeit der den Nutzern im Newsfeed angezeigten Inhalte auszugehen ... Durch die Förderung divergenter Diskursräume (...) verliert sich die gesellschaftliche Kooperation (...) in Unverständnis und Verwirrung. Sie bereitet den Boden für die Verstärkung extremer Weltsichten, Hatespeech und Fake News, lernen doch Algorithmen und Menschen durch Wiederholung."
+++ Wohin die Reise geht, lässt vielleicht erahnen, wenn man schmalbart.de (auf Deutsch über breitbart.com), breitbart.com (auf Englisch über schmalbart.de) und den SZ-Medienseiten-Artikel zum Thema liest. Die beiden Bart-Webseiten schrieben übereinander schon mal , obwohl weiter offen ist, "ob es Breitbart jemals in Deutschland geben wird... bislang gibt es kaum Hinweise darauf, dass die Betreiber ernsthaft daran arbeiten" (SZ). "Wir waren natürlich sehr gespannt, was Breitbart über Schmalbart schreibt. Der erste Gedanke beim Überfliegen: das ist doch eigentlich noch ganz okay. Auf den zweiten Blick ist dieser Beitrag aber ganz typisch für die 'Methode Breitbart' und nicht okay ...", schreibt Christoph Kappes bei schmalbart.de. Was breitbart.com über "Christoph Knappes" schreibt, klingt, als ob da jemand Deutsch verstünde und das Wortspielchen heimzahlen wollte. Und: "As the German federal election approaches later this year, the German establishment media, along with their counterparts in the U.S., have targeted Breitbart News. Accusations of 'fake news' have abounded and some, like The New York Times, have encouraged readers to hound advertisers on social media." "Schmalbart ist auch ohne klare Agenda schon ein Feindbild: Während des Treffens" der Unterstützer in Berlin, von dem die SZ berichtet, "gibt es einen Hackerangriff". +++
+++ Zurück zum Correctiv: Bei der ebenfalls am Montag angekündigten "Reporterfabrik"/ "Web-Akademie für Journalismus" aka Medienkompetenz-Volkshochschule ist "Reporterlegende" Cordt Schnibben, die dafür den Spiegel verließ (Standard, meedia.de) mit dabei. +++ "Für die Reporterfabrik geht Schraven davon aus, 'in den kommenden Wochen ausreichend Geld zusammenzuhaben'. In Rede stehen Spenden der Landesmedienanstalten, Stiftungen und Unternehmen. Die Gespräche laufen, sagt Correctiv ..." (Tsp., oben schon mal verlinkter Artikel). "Dem Vernehmen nach sollen auch Tech-Unternehmen aus den USA Geldmittel zugesagt haben" (meedia.de). +++
+++ Vom Prozess gegen ihren Ex-Mitarbeiter Sebastian Heiser, zuletzt in diesem Altpapier genannt, berichtet die TAZ. "Während die Staatsanwaltschaft die Motivation des Angeklagten als unklar bezeichnet, geht die taz davon aus, dass die Ausspähung" vor allem von Mitarbeiterinnen "privat motiviert war." +++
+++ Gestorben sind Mark Fisher mit 48 Jahren (SZ: "Der Brite ... war ein postmoderner Universalschreiber - Autor und Journalist, Popkritiker und Kulturtheoretiker"). Und Heinrich Senfft (Bettina Gaus in der TAZ: "Vielen Jüngeren wird der Name nichts mehr sagen – ein Hinweis auf das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit. Seit den 1960er Jahren und über Jahrzehnte hinweg war einer der bekanntesten deutschen Rechtsanwälte, spezialisiert auf Medienrecht, tätig für viele einstmals linksliberale Publikationen wie Zeit und Stern. Lebenslang ein Vorkämpfer für den Rechtsstaat. Damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht ..." Namen, die dann im Nachruf, so oder so, auftauchen, sind Hans Filbinger und Günter Wallraff). +++ Und Jean-Christophe Victor, der französische "Welterklärer" mit Landkarten aus der Arte-Sendung "Mit offenen Karten" ("Als der designierte US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf ankündigte, er werde eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten, nahm Victor dies zum Anlass, in seiner Sendung den Blick auf die Mauern und Grenzzäune in der Welt zu richten. Weltweit gebe es derzeit 70 solcher Zäune zwischen unterschiedlichen Ländern, sagte er, fast fünf Mal so viele wie zum Ende des Kalten Kriegs ...", schreibt Diemut Roether in epd medien. +++
+++ "Österreich ist Weltmeister bei Gratiszeitungen" (Standard). +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite geht es um die Buzzfeed-Frage (Altpapier vom Donnerstag), die Nina Rehfeld aus den USA betrachtet, und die Frage, ob Donald Trump Twitter retten kann (die Adrian Lobe anhand eines Guardian-Artikels behandelt). +++ Knapp wundert sich die FAZ über Die Zeit: "Die Eröffnungsfeierlichkeiten der Elbphilharmonie, deren Programmablauf streng geheim gehalten wurde, fanden am Mittwochabend statt. Da der politische Festredner aus Berlin, Joachim Gauck, sich witterungsbedingt um fast eine Stunde verspätete, mussten die Gäste im Foyer auf den Einlass warten bis zwanzig vor sieben. Und doch hatten, als die Türen des Saals noch fest verschlossen waren ... Nutzer der Zeit-App die Möglichkeit, schon in der Printausgabe der'„Zeit' vom Donnerstag zu blättern und einen Erlebnisbericht der Musikredakteurin Christine Lemke-Matwey zu lesen, der suggeriert, sie habe das Eröffnungskonzert als Einzige bereits hinter sich und live miterlebt". +++
+++ Die SZ-Medienseite vermeldet eine Personalie aus einer ZDF-Literaturshow. +++ Und porträtiert im guten alten Süddeutsche-Mädchen-lieben-dies-Jungs-lieben-das-Stil Luci van Org, die einst Popsängerin war und nun Folgen einer neuen Vorabend-Krimiserie schrieb. "'Ich schreibe mit Begeisterung über Leichenflecken oder recherchiere zu verschiedenen Arten der Kohlenmonoxidvergiftung', sagt Luci van Org. Für solche Vorlieben ist im deutschen Vorabendfernsehen jede Menge Platz, gemordet wird dort quasi im Schichtbetrieb". +++ Dieselbe Serie, "Wapo Bodensee", bespricht Harald Keller bei medienkorrespondenz.de ziemlich gnädig. Dort finden Sie auch den Fun-fact, welche überhaupt nicht am Bodensee ansässige ARD-Firma sie herstellt. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.