Achtung, dieser Freitag ist ein historischer Tag. Heute beginnt eine neue Ära. Ja, sie begann bereits gegen 9.00 Uhr, als auf dem Mainzer Lerchenberg die erste Sitzung der XV. Amtsperiode des ZDF-Fernsehrats eröffnet wurde - des allerstaatsfernsten ZDF-Fernsehrats der deutschen Mediengeschichte.
Regelmäßige Altpapier-Leser wissen natürlich, z.B. aus dem epd medien-Artikel "Staatsferne light", dass dieser Superlativ relativ und der neu gebildete Fernsehrat "nicht etwa so staatsfern wie möglich organisiert ..., sondern allenfalls so staatsfern wie nötig" ist. "Staatsferner als vorher. Aber auch nur genau so staatsfern wie unbedingt nötig", formuliert es uebermedien.de. Das heißt, die mitunter offenkundige Staatsschwere der ZDF-Aufsichtsgremien ist gerade so weit zurückgedimmt worden, wie es das Bundesverfassungsgericht am Ende eines langen Prozesses 2014 wenigstens forderte.
Die Mitglieder-Liste, die fernsehrat.zdf.de ("Der Fernsehrat vertritt die Interessen der Allgemeinheit gegenüber dem ZDF. Deshalb ist er kein Expertengremium, sondern so vielfältig wie die Gesellschaft selbst ...") zum Durchklicken ("Klicken Sie sich durch den Fernsehrat") anbietet, bietet am Freitagmorgen noch die Chance, sich die Mitglieder der abgeschlossenen, XIV. Amtsperiode zu vergegenwärtigen. Die Liste der neuen Mitglieder ist einstweilen nur als kaum gestaltete PDF-Datei verfügbar und noch nicht vollkommen vollständig. Medienjournalistische Aufbereitungen liegen aber bereits vor.
Ausgewählte neue Gremiums-Mitglieder stellt uebermedien.de in einem weiteren Beitrag vor - etwa Jenny Renner als "Vertreterin für 'LSBTTIQ' ..., das steht für 'Lesbische, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queere Menschen'", aber auch die bayerische Markus-Söder-Nachfolgerin (nicht als u.a. Landesentwicklungs- und Heimatminister, aber als Fernsehrats-Mitglied). Und Reinhard Klimmt, der zwar als Veteran der traditionsreichen (und im aktuellen Fernsehrat am stärksten vertretenen) Partei SPD bekannt ist, nicht aber als deren Vertreter, sondern als der der schönen Gewerke Kunst und Kultur entsandt wurde, exemplifiziert, warum die neue Staatsferne so light ist, dass Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiterhin leichtes Spiel haben.
Einen weiteren Neuzugang stellt exklusiv sueddeutsche.de vor: Leonhard Dobusch ist laut Mitgliedsliste "q) Vertreter aus dem Bereich 'Internet' aus dem Land Berlin". Etwa als netzpolitik.org-Autor war der gebürtige Österreicher mit der markanten Physiognomie manchmal auch im Altpapier vertreten. Nun will er
"das ZDF ermutigen, 'sich mal was zu trauen'. 'Ich bin für Mut und Experimente', sagt er. Sein erstes Experiment betrifft den Fernsehrat selbst. Die Mitglieder diskutieren bisher zwar öffentlich, aber eine Live-Übertragung oder Berichte in Echtzeit gibt es nicht. 'Ich habe im Gesetz nachgesehen, ob ich aus den öffentlichen Sitzungen twittern darf', sagt Dobusch. Aus seiner Sicht spricht nichts dagegen."
Allerhands Tweets kommen auf @leonidobusch schon herein (und haben es in sich). Schauen Sie mak vorbei beim Account, dem sogar der Star-Entertainer (und mutmaßlich auch künftig Star-Fernsehratssitzungs-Tagesordnungspunkt) @janboehm schon zurückfolgt.
Nicht nur solch frischer Kräfte wegen, sondern auch, weil der neue ZDF-Fernsehrat mit künftig 60 statt 77 Mitgliedern antizyklisch kleiner wird (anders als andere Rundfunkaufsichtsgremien, beim WDR und beim Deutschlandradio wächst die Manpower ...), scheiden außerdem bisherige Mitglieder aus. Den Veteranen des ZDF-Fernsehrats schlechthin, der nun geht, würdigt der Tagesspiegel, indem er ihn um einen Gastbeitrag bat.
"Mit dieser Überschrift, die mir von der Redaktion des Tagesspiegel vorgegeben war, habe ich ein Problem", schreibt der bisherige ZDF-Fernsehrats-Vorsitzende Ruprecht Polenz unter der Überschrift "Ich bekenne: Ich war ein Fernsehrat!". Anschließend hat er aber nicht mehr das geringste Problem, tief aus dem Schatzkästchen jenes Repertoires, das schon auf allerhand Gremienvorsitzendenkonferenzen gezündet haben dürfte und auch in der übrigen Öffentlichkeit das Bild der darin tagenden Gremlins (die Anekdote zu diesem Sprachbild referiert Polenz ebenfalls) prägte, noch einmal Perlen wie "Quote und Qualität müssen kein Widerspruch sein" hervorzuholen.
Es wäre nicht schlecht, wenn neue Mitglieder des ZDF-Fernsehrats eine gewisse, womöglich gar kritische Distanz zu dem Sender bzw. den Sendern entwickeln könnten, für die sie ja nicht zu werben brauchen, sondern die sie beaufsichtigen sollen. So etwas könnte dem insgesamt gut gemeinten Wortlaut der Rundfunkgesetze und Verfassungsgerichtsurteile wieder Leben einhauchen.
[+++] Wer auch nicht mehr dabei ist im neuen ZDF-Fernsehrat, berichtet der erste der beiden uebermedien.de-Artikel am Rande:
"Valdo Lehari jr., ... Verleger des Reutlinger 'General-Anzeigers' ... . Aber nun darf er nicht. 'Extrem kurzfristig und für uns überraschend' habe das ZDF Lehari 'aufgrund einer sehr formalen Auslegung des neuen ZDF-Staatsvertrags' abgelehnt, schreibt der BDZV. Der Grund: Lehari ist im Verwaltungsrat eines privaten Lokalradios. Und wer im Fernsehrat sitzen möchte, darf keine Amt bei einem anderen Sender haben, auch nicht in der Aufsicht, so steht es im Gesetz."
Wo Lehari jr. indes (in seiner Funktion als Vorsitzender des Verbandes Südwestdeutscher Zeitungsverleger VSZV) weiterhin dabei ist: im Vizepräsidium des Zeitungsverlegerverbands BDZV, und zwar unter dem neuen Star-Präsidenten: Zum Nachfolger nicht Hubert Burdas - der ist weiterhin Präsident des Zeitschriftenverlegerverbands VDZ - aber des kölschen Zeitungsverlegers Helmut Heinen beim BDZV wurde Mathias Döpfner gewählt.
Zwar "gab es bei vielen Verlegern dem Vernehmen nach durchaus Vorbehalte gegen den Springer-Chef, der sich mit Ausnahme der 'Bild' und des Renommiertitels 'Welt' mittlerweile von allen anderen Tageszeitungen getrennt hat" (horizont.net), doch "der BDZV verspricht sich von der Wahl dieses prominenten Präsidenten wohl mehr Einfluss auf Politik und Wirtschaft" (SZ-Medienseite).
[+++] Noch ein weiterer alter Bekannter aus lange vergangen scheinenden Zeiten, der einstige Leo-Kirch-Kumpel Dieter Hahn ist mal wieder öffentlich aufgetaucht. Und zwar auf der "bizarren Hauptversammlung der 'Fack ju Göhte'-Firma", wie Springers Welt berichtet.
Hahn ist mit, laut Wikipedia, Geburtsjahr 1961 zwar noch vergleichsweise jung. Aber in der Medienöffentlichkeit war er, in Fortsetzung der Kirch-Tradition, lange kaum präsent, obwohl er im Lauf der Prozesse wegen der Kirch-Konzern-Pleite gegen die in jede Menge teure Prozesse verstrickte Deutsche Bank zweifellos keinen schlechten Schnitt gemacht hat. Bei der "Fack ju ..."-Firma handelt es sich um die Constantin Medien AG, in der Film- und Fernseh-Produktion und Geschäfte mit Medienrechten an Sport vereint sind. Dagegen scheint Hahn zu sein:
"Geht es nach dem Aufsichtsratsvorsitzenden und größtem Einzelaktionär Dieter Hahn, ehemals rechte Hand von Medienmogul Leo Kirch, sollte sich Constantin Medien auf den Ausbau des Sportgeschäfts konzentrieren. Hahn wählte ein Beispiel aus dem Tierreich, um aus seiner Sicht den aktuellen Machtkampf darzustellen. Es gehe im Kern darum, 'dass einige Frösche versuchen, die Trockenlegung ihres Teiches zu verhindern, in dem sie es sich auf Kosten unseres Unternehmens über Jahre gemütlich gemacht haben'",
schreibt Gerhard Hegmann in der Welt (siehe auch faz.net, dwdl.de).
Zur Bizzarerie gehöre ein "anonymer Brief" von einer Investmentbank, durch den die mit Film/ Fernsehen befasste Gegenseite von Hahns Plänen erfahren habe. Doch so hoch es auch her ging - Gespür bewiesen die versammelten Aktionäre am späten Mittwoch:
"Gegen 23 Uhr wurde es dann dramatisch. Um die elektronischen Funk-Abstimmgeräte zu testen, wurden die Aktionäre zunächst in Probeabstimmungen gefragt, ob Fußballweltmeister Deutschland am 10. Juli in Paris auch Europameister wird, was jeweils mit einem Nein-Ergebnis endete."
Und das hat sich ja inzwischen herausgestellt.
+++ Wenn naturgemäß auf maximalen Profit schauende Aktionäre sogar Firmen wie z.B. Oliver Berbens Moovie (die ebenfalls der Constantin gehört) abstoßen möchten, um mit Sportrechte noch mehr Geld verdienen zu können, sagt das etwas über den überhitzten Sportrechte-Markt aus, das auch aus öffentlicher Sicht interessiert. Frische Zahlen über die Kosten der Bundesliga-Rechte ab 2017/18 hat die Medienkorrespondenz der erwartungsgemäßen Zustimmung des NDR-Rundfunkrats (also eines der ARD-Äquivalente zum ZDF-Fernsehrat) zum Kaufvertrag entnommen: "Die ARD zahlt für das neue Rechtepaket im Fernsehen ab der Saison 2017/18 pro Saison nach MK-Informationen eine Lizenzgebühr von netto 113 Mio Euro an die DFL. Hinzu kommen netto weitere 5,8 Mio Euro pro Spielzeit als sogenannte „Servicepauschale“ zur Beteiligung an den DFL-Produktionskapazitäten; auf beide Beträge ist zusätzlich Mehrwertsteuer zu zahlen. Die Gesamtsumme für die ARD beläuft sich dann also auf 119 Mio Euro (plus Mehrwertsteuer)". +++
+++ Der "mediale Hoffnungsträger der linken und säkularen Opposition" in der Türkei, der kürzlich erst auf (vergeblicher) Suche nach politischer Unterstützung nach Berlin gereiste Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar, "erklärte ... völlig überraschend mitten im Zuckerfest zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan seinen Rücktritt als Chefredakteur des unabhängigen Blattes – den er kurz darauf wieder in Frage stellte", berichtet Frank Nordhausen in der Frankfurter Rundschau. +++
+++ Inzwischen frei online: Anne Fromms TAZ-Beitrag zum neuen ZDF-Fernsehrat: "Vieles wird besser, aber nicht alles gut". U.a. äußert sich Tabea Rößner von den Grünen, die u.a. kritisiert, dass "kleinere Parteien ... kaum vertreten" sind. +++
+++ Nachrufe: einen langen, ausgeruhten und lesenswerten auf Götz George hat für die Medienkorrespondenz der Autor einer Götz-George-Biografie, Torsten Körner, geschrieben. +++
+++ Gerade gestorben ist Wolfram Siebeck. Er "konnte unvergleichlich unter den Dingen leiden und machte daraus federleichte Texte" (Claudia Tieschky, SZ). +++ "Und falls Sie im Gedenken an ihn heute Abend einen Schluck Wein trinken mögen, denken Sie daran: Nur der Beste ist gerade so gut genug" (im Tagesspiegel-Checkpoint). +++
+++ Die FAZ-Medienseite füllt fast vollständig ein gekürztes Kapitel aus Lutz Hachmeisters Buch "Hannover - Ein deutsches Machtzentrum". Es geht um "Harald Wiehe", der in den 1970ern bei der "Celler Loch"-Affäre führend mitmischte, eigentlich mit Vornamen Hans-Jürgen hieß und "in Wirklichkeit ein ehemaliger 'Spiegel'-Redakteur, in den hannoverschen Anfangsjahren des Magazins (1947 – 1952) ein wertvoller Recherchekader für Rudolf Augsteins machtpolitisch ambitioniertes Blatt" war. Was dann auch zum "bis heute größtmögliche Scharmützel in der westdeutschen Geschichtswissenschaft", dem Reichstagsbrand von 1933 und seiner publizistischen Aufbereitung vor allem seit den 1950ern führt. +++
+++ Die SZ-Medienseite ist vielleicht nicht mehr ganz, was sie mal war, aber zumindest eine zuverlässige Pressestelle für Netflix. +++ Außerdem stellt sie Frank Buschmann sowie Mehmet Scholls Fachbegriff "Gehirnschluckauf" vor. +++
+++ "Als ich Aust in seinem Büro bei Springer fragte, wo wir uns wohl zu seinem 75. Geburtstag treffen würden, drehte er jedenfalls seinen Kopf zum Fenster und deutete auf die Baustelle, dorthin also, wo Springer einen Neubau plant": Zu Stefan Austs 70. Geburtstag vor einer Woche holt Ulrike Simon in ihrer Madsack-/RND-Medienkolumne noch einiges aus ihrem gut sortierten Nähkästchen. +++
+++ Und "inhaltsgetriebene Markenerlebnisse", bzw. in voller Schönheit der Formulierung: "umfassende Leistungen im Bereich inhaltsgetriebener Markenerlebnisse" gehören zu den Geschäftsideen der neuen Gruner+Jahr/ Bertelsmann-Corporate Publishing-Tochter namens Territory. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.