Die Weltenöffner

Die Weltenöffner
Eine Süddeutsche Zeitung lässt sich nicht von Angela Merkel zum Geburtstag gratulieren. Dafür hat sie BMW und XXX Lutz. Gerichte widmen sich heute dem Pressegrosso und der Sicherheit unserer Daten auf US-amerikanischen Facebook-Servern. Wer Journalisten angreift, muss den Rechtsstaat spüren. "Hitler", die Event-Serie. Wer bekommt heute das Auto-Telefon?

Erst mal checken, ob sich in den 52 Seiten irgendwo ein Merkel-Grußwort versteckt hat. Nein? Puh, da hat die Süddeutsche Zeitung aber Glück gehabt, dass Sie nach dem Weser-Kurier und dem Tagesspiegel nicht auch noch die Standard-Zeitungsbeglückwünschung der Kanzlerin („Zum Gratulieren gibt es allen Grund. Nur wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschien die Erstausgabe...“) auftragen muss (siehe Altpapier).

Wie das Zitierte schon andeutet, schreiben wir das Jahr 70 nach der vermeintlichen Stunde Null, und so feiern dieser Tage viele Zeitungen ihren Geburtstag, und heute ist es die SZ aus München, wo es offenbar selbst 1945 etwas gemächlicher zuging als in Bremen oder Berlin.

Zur Feier des Tages hat man sich eine dicke Beilage gegönnt, in der man dem großen Bogen folgt, den ihre Titelseite vorgibt: Oben eine Abbildung der Erstausgabe, unten ein Text von Kurt Kister, überschrieben mit „Was kommt“.

„Ich gehöre, ein erster persönlicher Einschub, der Generation an, für die Zeitung ,eigentlich’ ein gedrucktes, eher unhandliches Tages-Buch ist. Sicher, ich habe auch immer Zeitung gelesen, um mich zu ,informieren’, um zu erfahren, was ich bis dahin nicht wusste, was los war zwischen Giesing, Berlin und Buenos Aires. Die Süddeutsche aber würde ich, läse ich sie nicht aus beruflichen Gründen seit langer Zeit, lesen, weil ich gern lese. Lesen lässt, so wie Musikhören, Bilder im Kopf entstehen, Gedanken, Ärger, Wohlgefühl, Zustimmung, Ablehnung. Nichts öffnet Welten so weit wie das Lesen, egal ob auf einer bedruckten Seite oder auf einem Bildschirm. Die Zeitung gehört zu den Weltenöffnern“,

heißt es da, und das ist doch ein schöner Einstieg in eine Kolumne, die sich mit Zeitungen befasst und dabei mehr als genug Lesestoff bietet.

Nur eins noch, bevor es richtig losgeht: Wer gratuliert denn der SZ, wenn es Angela Merkel nicht ist? Um alleine die ganzseitigen Gratulanten in der überregionalen Sonderausgabe zu nennen: BMW, Who’s perfect, die Einrichtungshäuser Segmüller, Kare, Höffner und XXX Lutz, Erdinger, Hirmer, Saturn, KW:AG und Audi.

Das wünschte man sich doch, es wäre jeder Tag Geburtstag.

[+++] Auf der SZ-Medienseite widmet man sich heute einem Thema, das ein wenig mehr nach Vergangenheit als Zukunft des Journalismus klingt (auch wenn in diesem Bereich weiterhin das Geld verdient wird, schon klar): dem Pressegrosso. Vor dem Bundesgerichtshof wird heute in dritter Instanz der Streit verhandelt, den der Bauer-Verlag führt, um in Zukunft nicht mehr mit dem Bundesverband Pressegrosso, sondern den Großhändlern direkt verhandeln zu können. Bauer möchte die Preise drücken; die Gegenseite sieht so die Chancen kleiner Verlage auf dem Markt und somit die Pressevielfalt in Gefahr.

„Wie die Sache beim BGH ausgehen wird, ist schwer zu prognostizieren. Die Sache ist juristisch knifflig. Es geht, kurz gesagt, um die Frage, wie viel Vertrauen man beim Pressevertrieb in die Kräfte des freien Marktes haben darf. Das OLG geht davon aus, dass die rund 70 Grossisten zumindest potenziell untereinander im Wettbewerb stehen – obwohl sie, bis auf vier Doppelgrossos, die Vertriebsgebiete fein säuberlich untereinander aufgeteilt haben. Es sei nicht ersichtlich, was sie – fiele das zentrale Verhandlungsmandat des Pressegrosso – daran hindern sollte, ihre Absatzmöglichkeiten auch in anderen Gebieten auszuschöpfen, argumentiert das Gericht. Die Richter offenbaren hier einen gewissen Marktoptimismus; dass dadurch die Pressevielfalt leiden könnte, vermögen sie nicht zu erkennen. Entscheidend für den Ausgang des Verfahrens wird sein, wie der BGH das Verhältnis zwischen den deutschen Sonderregeln für den Grossovertrieb und der europäischer Wettbewerbsfreiheit justiert“,

meint Wolfgang Janisch, der zudem erklärt, dass heute noch keine Entscheidung fallen müsse.

Auf der Website des Bundesgerichtshofs erfährt man lediglich, dass der Bundesgerichtshof mal eine neue Website gebrauchen könnte.  

[+++] Dass es Pegida nicht nur immer noch gibt, sondern dass die Bewegung mit steigenden Flüchtlingszahlen auch wieder mehr Zulauf gewinnt und ihre Anhänger die so-called „Lügenpresse“ nicht länger nur verbal angehen, stand im Altpapier zuletzt am Mittwoch. Nun hat diese Entwicklung DJV, MDR und Zeitungsverleger zu einer gemeinsamen Erklärung bewogen:

„Die Aufputschung von teilweise tausenden Anhängern der Bewegungen mit den Rufen ,Lügenpresse’ ist nicht nur für alle Medienvertreter unerträglich. Sie beschädigt die Demokratie, schafft eine Stimmung der Verunsicherung in der Bevölkerung und provoziert Handlungen bis hin zum Einsatz von Gewalt. Zeitungsverleger, die Journalistenverbände und Mitteldeutscher Rundfunk fordern die Politik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen daher auf, dem Spuk endlich entschieden entgegen zu treten. (...) Wer Journalisten angreift und verletzt, muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zur Verantwortung gezogen werden. Die tätlichen Angriffe der letzten Zeit sollten für die politisch Verantwortlichen in den drei Bundesländern Anlass sein, den Umgang  mit Pegida-Veranstaltungen sowie ähnlichen Gruppierungen gründlich zu überdenken.“

Nun ist das eigentliche Problem am Pegida-Gedankengut ja nicht seine feindliche Haltung gegenüber Journalisten im Speziellen, sondern die Ablehnung aller, die montags anderes zu tun haben, als durch Dresden zu marschieren, etwa nach dem Höllenritt über das Mittelmeer einen Baumarkt als neue Heimat anzuerkennen.

In welche Handlungen diese Ablehnung im Allgemeinen münden kann, findet sich, wenn man kurz „Brand“ und „Flüchtlingsheim“ googelt. Ein paar Beispiele aus dem journalistischen Umfeld hat Uta Deckow vom MDR zusammengetragen (dafür muss man jedoch den Text weiter lesen als bis zum wahrlich unpassendem Judenstern-Vergleich gleich am Anfang).

[+++] Der Vollständigkeit halber sei hier noch kurz erwähnt, wo sich die Pegidasche Bildsprache zuletzt an ungewohntem Ort wiederfand: im „Bericht aus Berlin“, der Angela Merkel verschleiert und den Reichstag beminarettiert präsentierte.

„Als Vorbild dient ein ikonenhaftes Plakat der Staatsfreunde von Pegida. (...) Die ARD kopiert also von den Besten. Sie will weg von ihrem Graubrot-Image, hin zu den Menschen auf der Straße. Die brauchen starke Bilder, die wollen Emotionen und simple Botschaften. Seht her, wenn noch mehr Flüchtlinge kommen, dann muss unsere Kanzlerin bald ein Kopftuch tragen und der Reichstag wird islamisiert“,

kommentiert Paul Wrusch in der taz. Die verantwortliche Redaktion teilte per Facebook mit, man freue sich über die Aufmerksamkeit, sei sich aber keines Fehlers bewusst:

„Natürlich war es auch das Ziel, mit dieser Grafik Aufmerksamkeit zu schaffen und zu polarisieren. Wir halten jedoch auf Grund unseres journalistischen Selbstverständnisses diese zugespitze Darstellungsform für legitim. Jegliche Unterstellung, wir würden islamfeindliche Propaganda betreiben, weisen wir entschieden zurück.“

Weil wir Journalisten sind und wissen, was wir eigentlich sagen wollten, geht das schon in Ordnung? So schöne Argumentationen finden sich sonst nur im Tagesschau-Blog.  

[+++] Bevor wir gleich zum Altpapierkorb kommen, müssen wir noch rasch darüber sprechen, was herauskommt, wenn sich Bernd-Stromberg-Gedächtnisbartträger an Buzzfeed-Methoden versuchen: „,Schärfen Sie Ihre Säge’: Zehn Gründe, warum Sie am nächsten Kongress teilnehmen sollten“ lautet der bezaubernde Post, den der Kollege Robin Rittinghaus für kress.de verfasst hat.

Ja, natürlich, bei Punkt 9 musste ich weinen, und das nicht nur, weil das eh schon schräge Sprachbild mit der Säge aus Punkt 1 wieder aufgegriffen wurde

(„Eine stumpfe Axt wird einen Baum nicht annähernd so effizient fällen, wie eine frisch geschliffene. Nach Kongressen werden Sie mit neuen Ideen und Herangehensweisen zurück in Ihr Büro kommen und die Arbeit effektiver und effizienter fortsetzen können. Seien Sie nicht der Holzfäller, der den Baum mit einer stumpfen Säge zu fällen versucht, während die Konkurrenz ihn in der Hälfte der Zeit fällt, weil dieser seine Säge geschliffen hat - oder die Kettensäge nutzt, die die bei dem letzten Live-Event präsentiert wurde.“).

Aber schon bei Punkt zwei habe ich heftig mit den Kopf auf die Tischplatte schlagen wollen, weil ich so tolle Tipps zuletzt bekam, als die Bravo mich noch in Annäherungsversuchen an den Schwarm unterrichtete. Voilà:

„Natürlich bietet Ihnen nicht jede Konferenz die Möglichkeit, die Idole Ihrer Branche persönlich kennenzulernen, doch die Chance erhöht sich gewaltig, wenn Sie sich am selben Ort aufhalten. Manchmal reicht schon ein geschossenes Selfie mit einer Person, die Sie beeinflusst hat oder eine gemeinsame Geschäftsidee, um Sie zu Ihrem nächsten Mentor zu führen. Nicht selten kommen Kontakte zustande, weil jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der einen guten Draht zu jemandem hat, der Ihnen weiterhelfen kann.“

Ich weiß leider nicht, was ich fetten soll, es ist einfach alles großartig.


Altpapierkorb

+++ Ein anderes Urteil, mit dem heute gerechnet wird, ist das des Europäischen Gerichtshofs, von dem Sie in diesem Altpapierkorb schon einmal gehört haben. Geklärt werden soll, ob die Daten europäischer Facebook-Nutzer auf US-amerikanischen Servern sicher sind. (Nachtrag: Sind sie nicht, sagt der EuGH.) Simon Hurtz erklärt das bei sueddeutsche.de noch einmal ausführlich. +++

+++ Nico Hofmann dreht „Hitler“, die Event-Serie in zehn Teilen, und das Ganze soll ab 2017 bei RTL laufen (die Postillonisierung der Mediennachrichten schreitet voran). Ganz neu ist die Meldung nicht, aber nun stehen die Drehbücher vor dem Endsieg und die Franzosen haben sich schon die Rechte gesichert und Meedia berichtet, indem es die Pressemitteilung zu so unglücklichen Sätzen verkürzt wie „Jede Episode der Serie konzentriert sich dabei auf ein Kapitel aus Hitlers Leben und deckt die Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und des Holocausts ab.“ Falls Sie weitere Infos lieber aus anderer Quelle beziehen: Auch der Standard berichtet. +++

+++ Eine Serie, die schon heute beim Bezahl-Sender TNT-Serie startet, ist „Weinberg“. „Dass deutsche Sender und Produktionsfirmen keine erstklassigen Fernsehserien herzustellen in der Lage seien, diese schon für ein Naturgesetz gehaltene Seltsamkeit wird durch einen herrlich düsteren und schrägen Genre-Sechsteiler über Gewalt, Riten und Paranoia in der lieblich-schaurigen Winzerhölle des Ahrtals widerlegt“, schreibt Oliver Jungen auf der FAZ-Medienseite. Rezensionen gibt es auch in der SZ, beim Kölner Stadtanzeiger und von der dpa (Hamburger Abendblatt). +++

+++ Die zweite Serie der FAZ-Medienseite ist „Deutschland 83“, das bereits in den USA lief, und zwar mit überraschend großem Erfolg, wie Nina Rehfeld berichtet. +++

+++ Als Journalist in den 1980ern war zwar manches besser, aber auch nicht alles gut. Denn nur, wer die wichtigste Geschichte recherchierte, bekam das Autotelefon. Wer diesen Satz verstehen und ein wenig mit Nik Nietkammer in Erinnerungen schwelgen möchte, kann das bei der Medienwoche tun. +++ Wo sich zudem Nick Lüthi anschaut, wie sich der Constructive Journalism im Praxistest macht. +++

+++ Ein paar Zahlen aus Medienhäusern gefällig? Konrad Lischka hat den Erlös von Medienfirmen je Mitarbeiter ausgerechnet und in sein Blog gestellt, während Martin U. Müller einen Statista-Tweet ausgegraben hat, der den Wert vom Springer-Neuzugang Business Insider (Altpapier) auf dem Medienmarkt einordnet. +++

+++ Falls jemand die vergangenen Monate in einem Erdloch zugebracht haben sollte: Die fünfte Staffel „Homeland“ wurde in Berlin gedreht. Ja, genau, das „Homeland“ und das Berlin, und nach nur gefühlt 29.400 Berichten über diesen Sachverhalt ist die erste Folge der Staffel nun am Sonntagabend US-amerikanischer Zeit ins Fernsehen gekommen, sowie zu Facebook, wo man sie komplett anschauen kann. Was einen erwartet, schreibt der Tagesspiegel. +++

+++ Vor ein paar Wochen hat die NZZ einen Relaunch gewagt, und bei kress.de darf jetzt jeder (im Sinne von Lesern und Designern) mal sagen, wie er das findet. +++

+++ Zum Schluss noch eine Personalie, die man zum Beispiel bei DWDL, Meedia oder @wblau nachlesen kann: Wolfgang Blau bleibt nicht länger Doch-Nicht-Chefredakteur beim Guardian, sondern wechselt als Chief Digital Officer zu Condé Nast International. +++

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder. 

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