Der Generalbundesanwalt als nützlicher Idiot des Verfassungsschutzes

Der Generalbundesanwalt als nützlicher Idiot des Verfassungsschutzes
Auch heute geht es um den Vorwurf des Landesverrats gegenüber den Kollegen von Netzpolitik. Es ist zum Lehrstück über die Rolle von Demokratie und Rechtsstaat im 21. Jahrhundert geworden.

Jede Institution hat ein Eigeninteresse am Schutz vor Verrat. So etwa der ADAC vor der Aufdeckung von Skandalen. Nur ist dieses Eigeninteresse kaum im Sinne aller Autofahrer, selbst wenn der Verband diese in der Öffentlichkeit zu vertreten meint. Das geht den Geheimdiensten nicht anders. Sie schützen die Bürger dieses Landes, aber deren Interessen sind trotzdem nicht identisch mit dem Eigeninteresse von Geheimdiensten. Sich selbst mit dem Gemeinwohl zu verwechseln, ist einer der prägnantesten Fehler von Institutionen. Das erlebt man jetzt schon seit vergangenen Donnerstag in der Justizaffäre um den Landesverratsvorwurf gegenüber Netzpolitik. Der Verfassungsschutz will sich vor Verrat schützen, benutzt den Generalbundesanwalt mittels einer Anzeige, nur damit es ihm schließlich wie dem ADAC bei seiner Wahl zum Auto des Jahres ergehen wird. Die Institution wird der eigenen Hybris zum Opfer fallen: Sich mit dem Gemeinwohl verwechselt zu haben. Insofern stellt die Süddeutsche Zeitung in dieser Justizaffäre die richtige Frage:

"Warum sich alle Beteiligten derart verheddert haben, ist unklar."

+++ Die Antwort ist einfacher als man denkt. Weder Politik, noch Sicherheitsbehörden haben die Folgen der Digitalisierung verstanden. Mit dem Etikett des Terrorismusverdachts erlebten wir in den vergangenen 15 Jahren eine beispiellose Verschiebung des Machtgleichgewichts im demokratischen Rechtsstaat zugunsten der Sicherheitsbehörden. In der Onlinekommunikation findet man bis dahin ungeahnte Möglichkeiten zur Informationsgewinnung. Jeder Mensch hinterlässt digitale Spuren, selbst wenn er noch nicht einmal das Internet benutzen sollte. Die Geheimdienste in totalitären Staaten wären vor Neid erblasst, wenn sie davon im 20. Jahrhundert eine Ahnung gehabt hätten. Sie können Persönlichkeitsprofile entwickeln, Netzwerke entschlüsseln und das bis in die letzten Fasern der Privatsphäre hinein. Dafür braucht man noch nicht einmal mehr die klassischen Instrumente der Geheimdienste: Post- und Fernmeldeüberwachung oder die Rekrutierung informeller Mitarbeiter aus dem persönlichen Umfeld von Verdächtigen. Das beschränkte sich damals aus logistischen Gründen auf Tatverdächtige. Selbst die hypertrophe ostdeutsche Staatssicherheit hätte nicht jeden DDR-Bürger überwachen können. Das hat sich geändert. Vor allem hat sich der Standort der Sicherheitsbehörden verändert. Heute geht es in der allgegenwärtigen Terrorismusfurcht um Prävention. Die Aufklärung von Verbrechen reicht nicht mehr: Sie müssen schon vorher verhindert werden. Dadurch entsteht jener Generalverdacht, der in Rechtsstaaten (noch) nicht die Polizei und Justiz dominieren darf. Aber die Geheimdienste finden hier als Informationsagenturen ein vorher kaum vorstellbares Betätigungsfeld. Nichts anderes machten die Enthüllungen von Edward Snowden deutlich. Darin ist der Machtzuwachs der Geheimdienste zu finden. Sie gefährden die Unschuldsvermutung und treffen damit den Kern demokratisch verfasster Gemeinwesen.

+++ Wie jede Institution will sich auch der Bundesverfassungsschutz nicht in seinen Möglichkeiten beschneiden lassen. Mit der Generalklausel als Leerformel, die Bürger zu schützen, sieht sich deren Präsident Hans-Georg Maaßen hinreichend legitimiert, obwohl der NSU das Versagen dieses Geheimdienstes deutlich gemacht hatte. Die parlamentarische Kontrolle wird zur Bedrohung, weil auf diesen Weg die Öffentlichkeit über deren Arbeit informiert wird, so Maaßens Argument. Dabei ist nur so zu gewährleisten, dass den Geheimdiensten wirksam Grenzen gesetzt werden. Allein das unterscheidet Rechtsstaaten von Demokratien. Es bleibt eben nicht alles geheim, was die Sicherheitsbehörden als solches deklarieren.

Mit der Anzeige beim Generalbundesanwalt und der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens hat Maaßen die Justiz zum Hilfsorgan seines Apparates degradiert. Wenn eine staatliche Institution wie der Verfassungsschutz eine solche Anzeige fabriziert, ist das als ein hoheitlicher Akt zu werten. Generalbundesanwalt Harald Range wurde mit der Eröffnung des Ermittlungsverfahrens zum nützlichen Idioten des Verfassungsschutzes. Eine Weigerung wäre gleichbedeutend mit einem Konflikt zwischen staatlichen Institutionen gewesen. Deshalb ist diese These aus dem Blog von Roland Tichy grotesker Unsinn.

„Der Bundesjustizminister hat als neutrale Aufsichtsbehörde nicht das minimalste Recht, sich in die Ermittlungstätigkeit der Bundesanwaltschaft einzumischen. … . Wie der Bundesjustizminister selbst wissen ließ, habe er dem Bundesanwalt „seine Zweifel mitgeteilt“. Damit liegt faktisch zumindest eine vorsätzliche Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Anwaltschaft vor – selbst dann, wenn diese „Mitteilung“ juristisch nicht als Dienstanweisung zu werten sein sollte und nur vom Empfänger als solche verstanden werden musste.“

Das Gegenteil ist richtig. Der Bundesjustizminister hätte den Generalbundesanwalt nicht nur seine Zweifel mitteilen lassen müssen, sondern ihn durch eine Anweisung zur Ablehnung der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens schützen müssen. Davor die Justiz zum Büttel des Geheimdienstes zu degradieren. Den Generalbundesanwalt in dem Kampf um das bornierte Eigeninteresse des Verfassungsschutzes nicht zu dessen nützlichen Idioten werden zu lassen. Es gibt in solchen Fällen immer eine Verantwortung der Politik. Sie ist keine heilige Jungfrau, die mit der Idee der unbefleckten Empfängnis argumentieren könnte. Die Politik allein ist am Ende dafür verantwortlich, ob der Rechtsstaat noch funktioniert. Ob den Geheimdiensten wirksame Grenzen gesetzt werden können oder eben nicht. Deswegen war auch die Kritik am Generalbundesanwalt in der NSA-Affäre nie stichhaltig gewesen. Hier sollte die Justiz in gleicher Weise für politische Interessen instrumentalisiert werden. Nur kann der Generalbundesanwalt keine außen- und sicherheitspolitischen Grundsatzentscheidungen treffen. Für die Folgen von Snowdens Enthüllungen über die NSA muss die Politik die Verantwortung übernehmen. Niemand sonst.

+++ Aber erst durch den schwersten möglichen Vorwurf des Landesverrats an kritische Publizisten wird die Justiz von einer neutralen Instanz zum Mittäter gemacht. Wenn der Generalbundesanwalt nicht gegen die NSA ermittelt, aber gegen die beiden Kollegen von Netzpolitik, ist das als ein politisches Statement zu verstehen. Die Neutralität der Justiz wäre damit aufgehoben. Deshalb hat die sonntägliche Erklärung von Range erhebliches Gewicht. Die Nennung von Verdächtigen in der Anzeige des Verfassungsschutzpräsidenten suggeriert den Handlungszwang für den Generalbundesanwalt. Er hätte jetzt ermitteln müssen, so das Argument.

Tatsächlich ist es lediglich ein Hinweis auf die politische Verantwortung des Bundesjustizministers und des Bundesinnenministers. Der Erstere hätte den Generalbundesanwalt vor dem Verfassungsschutz schützen müssen. Der Bundesinnenmister als Dienstherr den Verfassungsschutz vor sich selbst. Beide den Rechtsstaat vor der Insubordination von Maaßen gegenüber Recht und Gesetz. Tatsächlich muss das Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Es ist mehr als nur eine Bedrohung der Pressefreiheit. Es bedroht den Rechtsstaat, wo die Justiz eines nie werden darf: Sich zum nützlichen Idioten degradieren zu lassen. Hans-Georg Maaßen sollte übrigens zurücktreten.


Altpapierkorb

+++ Im Tagesspiegel findet man übrigens heute Morgen die Frage, warum der Bundesjustizminister dem Generalbundesanwalt keine Weisung zur Einstellung des Verfahrens erteilt habe. Dafür wusste der Bundesinnenminister von nichts. Maaßen habe zwar die „Staatssekretärin Emily Haber von den Anzeigen in Kenntnis gesetzt, diese ihr Wissen aber nicht an den Minister weitergegeben. Haber sei angesichts hoher rechtlicher Hürden nicht davon ausgegangen, dass es zu einem Ermittlungsverfahren gegen die Journalisten kommen werde, hieß es zur Begründung aus dem Innenministerium.“ Da fragt man sich schon, welche Relevanz das Bundesinnenministerium solchen Anzeigen zubilligt. Wenn sie wegen der hohen rechtlichen Hürden wirkungslos bleiben, hätte man darüber den Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes informieren müssen. Oder sah man in Maaßen lediglich einen jener Querulanten, die ihren Mitmenschen mit sinnlosen Anzeigen das Leben schwermachen? Immerhin wäre das eine originelle Beschreibung des gegenwärtigen Dienstverhältnisses.

+++ In der Medienkorrespondenz unternimmt Lutz Hachmeister einen Blick auf die Strukturbedingungen der digitalen Gesellschaft. Wie lässt sie sich sich beschreiben? Hachmeister wirft einen kritischen Blick auf das „intellektuell hoffnungslos-provinzielle Berlin“: „Man kann nun versuchen, das Konzept einer „digitalen Gesellschaft“ von zwei Seiten her zu erretten. Zum einen eher vereinstechnisch, mehr in Richtung der „Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ oder der „Freunde der italienischen Oper“. So gibt es im intellektuell hoffnungslos provinziellen Hauptstadt-Berlin den Verein „Digitale Gesellschaft e.V.“ und die Website „netzpolitik.org“, die sich kenntnisreich um Themen wie „Störerhaftung“, unbedingte „Netzneutralität“ oder „Vorratsdatenspeicherung“ kümmern. Darüber sollte man sich nicht über Gebühr lustig machen; in allen politischen Feldern gibt es Konsumentenorganisationen, die sich berechtigterweise gegen die traditionellen Interessen etablierter Konzerne und Verbände wehren. Schon in der Weimarer Republik versuchten etwa die „Arbeiter-Radiovereine“, gegen die staatliche und medienindustrielle Vereinnahmung eines hoffnungsvollen neuen Massenmediums demokratischer Verständigung Front zu machen.“

+++ In Hachmeisters Schlussfolgerung geht es um die soziologische Naivität im Umgang mit der Digitalisierung: „Abgesehen vom soziologischen Kategorienfehler könnte es also sein, dass die „digitale Gesellschaft“ auch technologisch und ökonomisch rückständiger ist, als es ihre Evangelisten annehmen. „Gesellschaft“ wird sich mithin für geraume Zeit, wenn man diesen Begriff überhaupt weiter operationalisieren will, über die technologische Empirie hinaus durch „soziologische Differenz“ auszeichnen, gleichsam durch einen sozialen, politischen und publizistischen Mehrwert.“

+++ Ganz profane Probleme hat jetzt dagegen die Bundesanwaltschaft mit der Digitalisierung: Ihre Internetseite wurde gehackt. In der Medienkorrespondenz geht es dafür um eine andere Seite des technischen Fortschritts: Wann wird das UKW abgeschaltet? "Um DAB plus zu fördern, wäre es auch denkbar, ein Datum festzulegen, an dem UKW abgeschaltet wird. Das fordert beispielsweise Deutschlandradio-Intendant Willi Steul seit langem, nach dessen Meinung der Umstellungsprozess durch eine solche Maßnahme beschleunigt würde. Doch dass ein solches Abschaltdatum von der Politik – in Absprache mit den Markteilnehmern – in näherer Zukunft rechtsverbindlich festgelegt werden wird, ist nicht zu erwarten. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) etwa ist inzwischen der Meinung, dass es, um den Umstieg zu bewerkstelligen, nicht mehr um ein UKW-Abschaltdatum gehen muss, sondern um einen Kriterienkatalog. Bis vor einiger Zeit hatte die KEF von der ARD und vom Deutschlandradio stets verlangt, ihr mitzuteilen, wann die Anstalten die UKW-Verbreitung beenden wollen. .

+++ Ein Hinweis auf unsere Provinzialität könnten auch die schlechten Einschaltquoten des polnischen Spielfilms „Warschau 1944“ sein. Dafür funktioniert aber die Selbstreflexivität im Mediensystem. Bei Kress findet man etwas zu Plasberg und dessen Umgang mit seinen Auftraggebern.

+++ Dafür ist der Axel Springer Verlag mit der Entwicklung von Politico zufrieden. Dagegen hat turi eine Vermutung, wer in Zukunft gegen die FAZ und das Handelsblatt anzutreten gedenkt.

+++ Über den Unterschied zwischen Werbung und Kunst findet man etwas in der FAZ. „Zwei Entwicklungen sind für den Siegeszug des Content-Marketings zentral: Einmal die Krise der konventionellen Werbung seit den späten achtziger Jahren, der zunehmende Überdruss der Konsumenten an wuchernden Reklamebeilagen und Werbeblöcken in den Massenmedien. Und, entscheidender, das Aufkommen der digitalen Kultur und des „Web 2.0“, das eine fundamentale Neubestimmung dessen herbeigeführt hat, was „Öffentlichkeit“ heißt. Die Verfügungsgewalt über Medien liegt heute bekanntlich nicht mehr in der Hand ganz weniger, sondern bei jeder Privatperson, jedem Verein, jeder Firma. … . Nun hat diese Verzahnung eine neue Dimension erreicht: Die Warenhersteller produzieren ihre redaktionelle Medienöffentlichkeit einfach mit.“ Was beim Generalbundesanwalt und dem Verfassungsschutz aber zum Glück anscheinend noch nicht funktioniert.

+++ Was jetzt auch nicht mehr fehlt? 70 Jahre Frankfurter Rundschau. Herzlichen Glückwunsch auch von uns!

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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