Zeit sparen durch Nicht-Googeln

Zeit sparen durch Nicht-Googeln
Was Sascha Lobo mit starkem Hammer in Koblenz klöppelte und was er Angela Merkel in den Mund legt. Was die Internetschickeria so treibt. Was der Marmorgeist von Leipzig will. Gegen welche G-Words die EU-Kommission nun vorgehen möchte und was einer ihrer Kommissare von Herzen hasst. Sowie was Wolf Schneider rät.

Was in Berlin, so zwischen Mitte und Kreuzberg, beim "Klassentreffen der deutschen Internetschickeria" bzw. derem "Coming-of-Age ..." (Zitatquelle weiter unten) vielleicht ein bisschen vermisst wurde, vielleicht auch gerade gar nicht, fand gestern nachmittag im kurfürstlichen Schloss zu Koblenz statt. Dorthin hatte Sascha Lobo, der die rituelle Rede zur Lage der Nation auf der diesjährigen Republica bekanntlich nicht halten wollte, sich für einen Vortrag vor "Mitgliedern und ausgewählten Gästen" des Industrie- und Dienstleistungsverbands Rheinland-Rheinhessen e.V buchen lassen.

"Mit starkem Hammer und feinem Meißel klöppelt Lobo verbal jenes Gebilde frei, das ständig vor uns hockt und doch nicht in Gänze fassbar ist: die Digitalisierung ...",

berichtet die örtliche Rhein-Zeitung. Soweit ist der Artikel noch frei online zu haben, viel länger nicht, da diese RZ ja einer der nicht allein verbalen Pioniere des zahlungspflichtigen Onlinejournalismus ist. Man kann ihn sich per via SMS zugeschickter TAN für 50 Cent freischalten lassen; das funktioniert sehr gut. Lobo verriet in Koblenz keine Geheimnisse, die er anderswo noch niemals ausgeplaudert hat, er sprach etwa vom

"Plattform-Kapitalismus, wie er es nennt. 'Die Wirkung ist vergleichbar mit der Globalisierung.' Alle wirtschaftlichen Bereiche werde das verändern - etwa wenn der Dienst Uber das Taxigewerbe überflügelt, indem er Dritten per App ermöglicht, sich eine Mitfahrgelegenheit von A nach B mit ein paar Euro 'oder einem Glas Honig' bezahlen zu lassen."

Es lohnt sich aber doch, den halben Euro zu investieren, schon wegen des erfrischenden Hauchs von Bratwurstjornalismus, den echte Großstadtzeitungen, auch wenn sie alles andere als besser als die Rhein-Zeitung sind, nicht hinkriegen:

"Und wie zum weiteren Beweis nahm Lobo am Ende das Taxi nach Frankfurt, ganz traditionell bestellt über die Veranstaltungsorganisation. Bis Uber und Co., automatisierte Autos und flächendeckendes schnelles Internet auch in Koblenz und Umland Verbreitung finden - am Mittwoch war der Zeitpunkt dafür noch nicht."

Wenn Sie nicht zahlen mögen. Hier spiegelt ein Instagram-Foto unentgeltlich die frühklassizistische Kurfürstlichkeit des Schlosses wider. Hier spendet SPON wie jede Woche gratis Lobo-Lesestoff, der quasi doch eine Rede zur Lage der Nation ist, bloß eine uneigentliche. Lobos "Angela Merkels ehrliche Regierungserklärung" lässt in gewohnt ausgesuchten Sprachbildern wie

"Die meisten Bundesbürger würden einen beliebigen Paragrafen des Grundgesetzes für billigeres Benzin hergeben. Und wir eben auch."

und

"Wenn Sie sich über die Totalüberwachung so heftig aufregen würden wie über einen Bahnstreik, hätten wir längst alle Hebel in Gang gesetzt",

außer dem bekannten und nachvollziehbaren Verdruss darüber, dass das, was in den eigenen Milieus und Filterblasen viele mit Recht aufregt, in anderen, größeren Milieus und Filterblasen nur wenige aufregt, auch durchblicken, dass Lobo sicher mit dem Zug von Koblenz nach Frankfurt gefahren wäre, wenn dieser Tage Zugfahren möglich wäre.

[+++] Der Begriff "Kurfürst" steht für das, was Deutschlands Medienlandschaft auch in der Gegenwart so schillernd macht: Föderalismus. Damit rasch nach Leipzig, wo gestern der Medienkongress namens Medientreffpunkt endete (evangelisch.de-Meldung). Dort sei der  "Geist von Leipzig" ausgerufen worden, berichtet die DPA (infosat.de) von der "sogenannten Elefantenrunde":

"Angesichts der wachsenden internationalen Konkurrenz müssten die Medienanbieter in Deutschland ihre Grabenkämpfe beenden und - gemeinsam mit der Politik in der Medienregulierung - einen Konsens anstreben. 'Wir müssen uns dringend zusammenfinden', sagte der ARD-Vorsitzende und NDR-Intendant Lutz Marmor in Leipzig und bezog dies auch auf die Verleger. Julian Geist, Konzernsprecher bei ProSiebenSat.1, hatte zuvor beklagt: 'Wir haben ein großes Talent, uns gegenseitig zu zerfleischen'."

Unmittelbar mit diesem Julian Geist ist der "Geist von Leipzig" also nicht identisch, vielleicht ließe sich, um auch den ARD-Vorsitzenden zu würdigen, vom Marmorgeist sprechen. Wahrscheinlich wird aber niemand lange davon sprechen. Seitens der Verlage gibt Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite schon mal Kontra: Wenn Lutz Marmor

"zu diesen 'Grabenkämpfen' den Streit um die App der 'Tagesschau' und die Kritik an dem undurchsichtig finanzierten Rechercheverbund von NDR, WDR und 'Süddeutscher Zeitung' zählt, hat das mit den Privatsendern herzlich wenig zu tun. Sie sind ohnehin saturiert. ... Mit der textlastigen 'Tagesschau'-App und dem Rechercheverbund hingegen tangiert der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Belange der freien Presse. 210 Euro Rundfunkbeitrag ziehen ARD und ZDF von jedem Zahler pro Jahr ein. Das sind 210 Euro, mit denen der Presse Konkurrenz gemacht wird und die geschätzte Leser für Zeitungen oder Zeitschriften nicht aufwenden und sich diese im Zweifel gar nicht mehr leisten können."

Und weil Hanfeld weiß, wie das Debatten-Business funktioniert, steht direkt daneben auf der von ihm verantworteten FAZ-Medienseite ein großer Gastbeitrag des SWR-Justitiars Hermann Eicher ("federführend für die Belange des Rundfunkbeitrags in der ARD"), der eigentlich kaum Interesse verdiente. Die Überschrift "Bei uns wächst kein Geld auf den Bäumen" reagiert auf diesen FAZ-Gastbeitrag aus dem März (siehe auch Altpapier) und die Illustration dazu. Der sehr ARD/ ZDF-kritischen Studie des wissenschaftlichen Bundesfinanzministeriums-Beirats hält Eicher aber entgegen:

"Ausgerechnet die wirtschaftlich zunehmend unter Druck geratene Presselandschaft mit ihren unübersehbaren Refinanzierungsschwierigkeiten und Konzentrationstendenzen in Deutschland soll Vorbild für die künftige Rundfunkversorgung in Deutschland sein?"

 Das ist natürlich Wasser auf Hanfelds Mühlen. Es könnte Eicher aber auch auf die Füße platschen, denn im Vergleich mit den Zeitungen, die ihr Internetangebot kaum finanziert kriegen und manchmal von Gelegenheits-Lesern 50 Cent gespendet bekommen, wachsen die Rundfunkbeitrags-Einnahmen enorm verlässlich sozusagen doch auf Bäumen. Was natürlich nicht gegen öffentlich-rechtlichen Rundfunk spricht, aber für weiterhin eher schärfer werdende Diskussionen darüber, was davon alles bezahlt wird, sorgen dürfte.

[+++] Keine Ahnung, ob's stimmt, aber:

"Allerdings ließen die Vermarkter auch keinen Zweifel daran, dass mit Nachrichtensites renditeseitig generell nicht viel Staat zu machen sei. So mache Chefkoch.de, das innerhalb der vergangenen drei Jahre die bereits zuvor hohen Umsätze und Erlöse verdoppelt habe, laut Arne Wolter 'mehr Ergebnis' als 'Bild.de, Spiegel Online, Welt.de und Sueddeutsche.de zusammen'",

berichtet meedia.des Georg Altrogge vom Pressegespräch über die allerneueste Gruner + Jahr-Strategierevolution.

[+++] Was der "Geist von Leipzig" wohl meinte: gemeinsam gegen Google & Co zu argumentieren, statt sich in jeder Elefantenrunde in im Vergleich marginale Grabenkämpfe verstricken zu lassen.

"Google ist nicht allein großes gemeinsames Feindbild vieler Medienmacher. 'Geoblocking' ist das zweite G-Word von öffentlichen wie Privatsendern",

schreibt der Standard, der inzwischen das wohl beste deutschsprachige Zeitungs-gestützte Online-Medienressort produziert. Ob Fernsehsender nicht aber eher für Geoblocking sind, weil ohne das sie für Rechtekauf mehr Geld ausgeben müssten, wäre eine Frage. Jedenfalls ist das Konzept der EU-Kommission für den "digitalen Binnenmarkt" in Europa raus, auf ec.europa.eu auch mit sounddesigntem "#TeamJunckerEU"-Power-Video präsentiert.

Andrus Ansip, der estnische, Günther Oettinger vorgesetzte Kommissar für digitalen Binnenmarkt, "soll Geoblocking 'von ganzem Herzen hassen'" (Standard) und hat sich nun "gegen den Geoblocking-Freund Oettinger durchgesetzt" (Spiegel Online, das die "guten Vorsätze" für "in der Praxis schwierig umzusetzen" hält). Der Standard meldet am Morgen noch, dass die Kommission auch einen älteren Verleger-Wunsch, der die Mehrwertsteuer betrifft, erfüllen möchte.

Etwas seltsam, was für eine kleine Rolle dieses weitreichende Konzept in deutschen Medien spielt.

[+++]  "Günther Oettinger, zuständig für digitale Themen, ist der prominente Anti-Star der Veranstaltung",

schreibt nun Bastian Brinkmann im schön unaufgeregten SZ-Feuilleton-Bericht über das "Coming-of-Age der Szene, die sich in ihren ersten Jahren in kleinen Räumen am Alexanderplatz traf und die inzwischen überall dort vertreten ist, wo man sich ein Smartphone leisten kann", also die Republica. Das heißt nicht, dass Oettinger dort gewesen (und, wahrscheinlich:) eingeladen worden wäre.

"Sie ist die vielleicht am besten dokumentierte Konferenz Deutschlands, weil viele der Teilnehmer fotografieren, twittern und bloggen, was ihnen so einfällt, auffällt oder gefällt. Die Veranstalter schicken eine Schulterkamera auf die Bühne, die großen Vorträge gibt es im Livestream und auf Youtube, an der Decke fliegt eine Kamera an einer Schiene übers Publikum. Dazu kommen dann die vielen Dokumentationen von Hunderten Autoren, die über die Konferenz berichten. Niemand kann alle Fotos der Re:publica anschauen, niemand kann alle Artikel darüber lesen."

Also sollte man auch nicht tun, als hätte man selbst den Überblick. Eine Auswahl aus #rp15-Berichten klassischer Medien folgt aber gleich noch im Altpapierkorb.


Altpapierkorb

+++ Erst mal muss die Überschrift erklärt werden: "Gesprächspartner, die immer erst googeln müssten, seien ihm gegenüber schon im Nachteil, 'weil ich durch Nicht-Googeln Zeit spare'". Das sagte Wolf Schneider zu David Denk, der ihn heute auf der SZ-Medienseite porträtiert. Wobei Nicht-Googeln nicht immer geboten ist: "Wer noch nicht mal erkenne, dass er googeln müsste, 'der verbreitet Unsinn'", sagt Schneider auch, er selbst sei "entsetzt über den Rückgang der Weltkenntnis". Wolf Schneider wird an diesem Donnerstag nun also 90 Jahre. Seine Karriere "macht ihm so schnell keiner nach – das macht ihm wohl nie mehr jemand nach. Journalistenkarrieren wie die von Wolf Schneider werden heute nicht mehr hergestellt. Der Mann ist ein Stück Pressegeschichte" (SZ). Herzlichen Glückwunsch jedenfalls. +++

+++ #rp15: Youtube sei inzwischen "behäbig, selbstgefällig und auch ein bisschen 'out' in der jungen Zielgruppe", hat zeit.de aus einer Veranstaltung mitgenommen. +++ Der Tagesspiegel hat LeFloid (siehe zuletzt dieses Altpapier) gesehen und auch von Youtube-Skepsis gehört: "Durchwachsene Erfahrungen mit Engagement in sozialen Netzwerken hat die Artenschutzorganisation WWF gemacht. Während sich Twitter zum Verbreiten von Online-Petitionen und Facebook zum Teilen von Tigerbabybildern eigne, sei man auf Youtube lange praktisch unauffindbar gewesen, sagt WWF-Sprecher Marco Vollmar. Denn das Kürzel steht gleichzeitig für eine US-amerikanische Wrestlingliga ..." +++ Der Standard hat bei Netflix-Chef Reed Hastings (Altpapier gestern) offenbar konkreter nachgefragt: "Pläne für deutschsprachige Eigenproduktionen hat er derzeit nicht".  +++ Wiederum der Tsp. fand die "Mitglieder der russischen Aktivistengruppe Pussy Riot reichlich deplatziert" auf der Republica: "Marija Aljochina kicherte, weil sie das Wort 'Youtube' nicht aussprechen konnte. Nadeschda Tolokonnikowa kicherte, weil sie mit der Hand einen Luftballon weggestoßen hatte ...". Die gesamte Veranstaltung findet das Blatt aber doch gut: "Politik ist das Netz, das Netz ist Politik. re:publicas 'Finding Europe' nutzt dieses Potenzial." +++ Und Andrea Diener berichtet bei faz.net vom Auftritt von Vertreterinnen der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA. +++

+++ Der "Lebensbereich", den das Land Berlin künftig (politikfern!) im ZDF-Fernsehrat besetzen kann, heißt "Internet". Das hat den Piraten Simon Weiß veranlasst, mal beim Regierenden nachzufragen, wie die Besetzung vor sich gehen soll ... +++

+++ "Die Idee dazu hatten .... drei junge Journalisten -  Michael Hartlep, Jan Schneider und Dominik Wurnig - , die das Medieninnovationszentrum Babelsberg förderte, bis schließlich auch das ZDF auf sie aufmerksam wurde", berichtet die SZ-Medienseite über lobbyradar.de. Der Tsp. berichtet auch. "Es ist eher ein Stück aus der Kategorie Data Porn und hat mit Journalismus nur bedingt zu tun", findet datenjournalist.de Lorenz Matzat. +++

+++ Der Aufruf (liberation.fr) französischer Journalistinnen gegen die "schlüpfrigen Paternalisten" (Jürg Altwegg übersetzte für die FAZ) aus der Politik ist auüerdem auch Tsp.-Thema. +++ Indes empfiehlt die TAZ mehr oder weniger ("Eppert eher der nette Sozialarbeiter als der knallharte Journalist") Thorsten Epperts heutige ZDF-Neo-Sendung "Wie sexistisch sind wir?" +++

+++ Und beleuchtet, wie die britischen Zeitungen mit der heutigen Wahl umgehen. +++

+++ Auch viel Streit um Fernsehsport. Die FAZ-Medienseite berichtet von FIFA-Vorwürfen gegen die ARD/ WDR-Doku "Der verkaufte Fußball". +++ Und faz.net vom Rechtsstreit zwischen einem britisch-amerikanischen "Vollkontakt-Kampfsport"-Veranstalter und deutschen Medienwächtern. +++ Und NDR-Zapp (Text & Video) vom Videostreit im bayerischen Amateurfußball ... +++

+++ Die Geo Epoche-Kritik Eckhard Stengels, die wir hier gestern aus der FR verlinkten, steht nun auch im Tsp. ("Der Autor arbeitete zu Zeiten des 'Buback-Nachrufs' als freier Journalist in Göttingen, auch für den Tagesspiegel"). +++

+++ Die Formulierung "Facebook und IBM wollen ihre Kundendaten kombinieren, um Werbung besser zu personalisieren" hat sueddeutsche.de gleich aus der Pressemitteilung eines der genannten Unternehmen rüberkopiert. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite kritisiert Michael Hanfeld dann noch Josef Haslinger ("Es ist kein gutes Zeichen, dass prominente Autoren der Verleihung eines Preises für Meinungsfreiheit an 'Charlie Hebdo' in New York nun aus Protest ferngeblieben sind. Mit dem Preis ehrt die amerikanische Sektion des Schriftstellerverbands PEN schließlich nicht Mohammed-Karikaturen an sich, sondern eine Zeitschrift, die das Recht beansprucht, solches als Ausdruck der Meinungsfreiheit zu tun. Das hat leider auch der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Josef Haslinger, nicht verstanden ..."). +++

+++ Und der FAZ-Feuilleton-Aufmacher "Das Leben ist so einfach und grausam" stammt von einem prominenten Gastautoren ("Wladimir Putin ist Präsident der Russischen Föderation. Sein Text ist auf der Website der russischen Zeitschrift 'Russkij Pioner' erschienen"). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

 

 

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