Ein neues Feuerwerk der Reflexhaftigkeiten rund um die Haushaltsabgabe. 520 Gremiengremlins bekommen Post (ein Plädoyer für die Sieben-Tage-Regel). Außerdem: Richter Buske im Blickpunkt fast der Weltöffentlichkeit.
Ein klassisches Thema der traditionellen Medienberichterstattung schießt wieder nach vorn, ein Thema "von unvergänglicher Schönheit", wie Michael Hanfeld in einem seiner beiden frei online verfügbaren faz.net-Beiträge scherzt: die früher gern, formal zu Unrecht, so genannte GEZ-Gebühr.
Die Bild-Zeitung berichtete gestern in ihrem kostenpflichtigen Online-Premiumsegment, dass ARD und ZDF (sowie das aus Platzgründen oft weggelassene Deutschlandradio) dank der neuen Haushaltsabgabe noch mehr Mehreinnahmen verzeichnen als bislang bereits bekannt war.
"Dass die bisherige Prognose überschritten wird" (sueddeutsche.de), "dass die tatsächlichen Einnahmen wohl deutlich über den Prognosen liegen werden" (dwdl.de/ EPD), dass "man ...davon ausgehen" dürfe, "dass die Prognose deutlich überschritten werde" (faz.net), hat Horst Wegner, der Geschäftsführer der nicht zu häufigen öffentlichen Äußerungen neigenden Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs von ARD und ZDF (KEF), deren jüngste Pressemitteilung in wenigen Wochen ein Jahr alt werden wird, mehreren Fragestellern bestätigt. "Die Zahl von 1,5 Milliarden Euro, die die 'Bild' in den Raum geworfen hatte, wollte er aber nicht bestätigen." Ordentliche Bestätigung sei im KEF-Turnus in vierzehn Monaten zu erwarten, könnte freilich vorab an reichweitenstarke Medien durchgestochen werden.
Mit solcher Nichtbestätigung einher geht aber, alte Journalisten-Faustregel, das Nicht-Dementieren. Wie man die stattliche Zahl lesen muss, dröselt Hanfeld in seinem Bericht "Dürfen es 1,5 Milliarden mehr sein?" (seinem Kommentar über die "Mehrmehrmehreinnahmen"? Eher sind beide Beiträge beides ...) auf:
"Nicht nur 1,15 oder 1,2 Milliarden Euro mehr sollen es in der laufenden Gebührenperiode sein, sondern sogar 1,5 Milliarden Euro. Diese Summe muss man, verteilt auf vier Jahre, zu den 7,5 bis rund acht Milliarden Euro, die ARD und ZDF im Augenblick zur Verfügung haben, hinzurechnen."
Beziehungsweise, langjährige Beobachter wissen das, müssen die Mehreinnahmen ja "unangetastet gesammelt werden" (dwdl.de), da das weitere Antasten zusätzlich zur bereits beschlossenen 48-centige Abgabensenkung, über die sich alle Abgabenzahler ab April freuen können, noch beratschlagt werden muss. Beziehungsweise, muss der Beitrag nicht doch weiter abgesenkt werden, wie die KEF sowieso geraten hatte (Tagesspiegel)?
Alle Ideen, die jedes Mal kurz neu zirkulieren, wenn das zeitlose Thema Rundfunkabgabe wieder auftaucht, sind wieder da, von der Privatsender-Lobby VPRT ("Spielraum sollte nun für Werbereduzierung genutzt werden"), von der Journalistengewerkschaft DJV, die für Journalisten, vor allem angestellte, lobbyiert. Vor diesen Hintergründen ist ein Kommentar des Werber-Mediums horizont.net interesant, in dem Roland Pimpl eine weniger beachtete Schlaufe der Diskussion Revue passieren lässt:
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums (das bekanntlich überhaupt nicht für Rundfunk zuständig ist), in dem "die Damen und Herren Professoren" u.a. fordern, die Öffentlich-Rechtlichen sollten "ihr Angebot auf das konzentrieren, was die Privatsender nicht liefern", wurde von zwei Gremien des Hessischen Rundfunks (also zwei von sehr vielen Rundfunkanstaltengremien, die außerhalb der Welt der Rundfunkanstaltengremien wenig ernst genommen werden) scharf kritisiert. Es führte außerdem zu einem vergleichsweise scharf formulierten Schreiben der Mainzer Ministerpräsidentin an den Bundesfinanzminister, und es führte zu diversen Lobbyäußerungen. Pimpl erwähnt am Ende seines Artikels wiederum den DJV:
"Der DJV-Vorsitzende Michael Konken witterte 'marktliberale Thesen', die den 'öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Grabe tragen' wollten. Doch auch Konken tut hier nur das, was er tun muss: Seine Klientel, die Journalisten, vor den Unbilden des Marktes und vor weiteren Einsparungen zu schützen, auf dass eher mehr Geld als weniger ins System umverteilt werde."
Was Konken und der DJV tagesaktuell, also zur Bild-Zeitungs-lancierten neuen Milliardensumme, raushauten:
"'Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann seinem Informationsauftrag auf Dauer nur gerecht werden, wenn er eher mehr als weniger in den Journalismus und die Journalisten investiert.' Spekulationen über eine weitere Absenkung der Rundfunkgebühr durch die Ministerpräsidenten liefen diesem Ziel zuwider."
Eher öfter als seltener eher mehr als weniger zu fordern, schon weil die Tendenz, was Personalkosten betrifft, klar zu eher weniger als mehr geht, und weil im Allgemeinen sowieso niemand drauf achtet (außer eben, es steht groß in der Bild-Zeitung), und auf der anderen Seite genau so umgekehrt zu agieren: Das sind Teile des Feuerwerks der Reflexhaftigkeiten, das immer dann abgeschossen wird, wenn es um öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht, und das zur unglaublichen Verkrustung sämtlicher Diskussionsstränge beiträgt.
####LINKS#### [+++] Wo Teile des vermutlich ziemlich reichlich überzählig auflaufenden Geldes nicht zu Unrecht hinfließen könnten, steht auf Michael Hanfelds FAZ-Medienseite. Auch den Beitrag "Alles online, alles gratis?" hat er selbst verfasst, auch der nimmt eine lange, zähe und an Ergebnissen arme Debatte wieder auf, die ein emsiger Lobbyverband aufrecht erhält. Nachrichtlicher Anlass: "Die insgesamt 520 Rundfunkräte der ARD und Fernsehräte des ZDF bekommen nun alle auf einen Schwung Post", und zwar von der AG Dok. Es geht darin um die Sieben-Tage-Regel, die von Aficionados des Internets oft und auch aktuell (und natürlich, auch, mit Recht) kritisiert wird:
"Die Sendungen seien von den Beitragszahlern finanziert, dann sollten sie auch zu jeder Zeit zu sehen sein, nicht nur bei der Erstausstrahlung auf dem Bildschirm. Ist dem etwas entgegenzusetzen? Ist es, sagt die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, in der freischaffende Filmjournalisten und Dokumentaristen zusammengeschlossen sind: Die Sender zahlen den Urhebern nämlich nichts dafür, sie finanzieren die Filme nicht einmal voll durch. Die unbegrenzte Verfügbarkeit von Dokumentarfilmen, Features und Reportagen im Internet sei nichts anderes als eine weitere 'Ausplünderung der deutschen Produktions- und Kreativwirtschaft' ... Die Rechnung, welche die AgDok aufmacht ist eine, die die Sender gern unter den Tisch fallen lassen. Es beginnt damit, dass dokumentarische Programme von den Sendern gar nicht voll finanziert würden. Dies gelte - quer gerechnet für ARD, ZDF, die dritten Programme, Arte und 3sat - für 64 Prozent der Programme. Besonders unrühmlich falle Arte mit einem Anteil von 81 Prozent nicht voll finanzierter dokumentarischer Filme auf."
Das heißt, die restliche Finanzierung sollen die Produzenten auf dem theoretisch unbegrenzten freien digitalen Märkten erwirtschaften, was in der Praxis erst recht kaum möglich ist, wenn ihre Filme unbegrenzt zur freien Verfügung stehen.
Kenner kennen natürlich auch diese Argumente. Zuletzt wahrscheinlich im November '14 hatte Thomas Frickel von der AG Dok bei carta.info darüber geschrieben. Auch diese Diskussion befindet sich in einer Endlosschleife, freilich einer, die "in der Nahrungskette des Fernsehens ganz unten" (Hanfeld) rotiert.
+++ Gestern in Hamburg stand Google, der sympathische Datenkrake vor dem Oberlandesgericht - genau dem, dem der nicht unbekannte Richter Andreas Buske (vorsichtiger Link zu buskeismus.de) vorsteht. Dem Verhandlungsvrelauf nach müsse Google "wohl bald Filter in seine Suchmaschine einbauen, damit rechtswidrige Sexfotos von Ex-Formel-1-Funktionär Max Mosley in den Suchlisten nicht mehr angezeigt werden", berichtet Christian Rath in der TAZ. Es handelt sich, bereits in der Berufung, um eines von drei Verfahren, die Mosley international gegen die Suchmaschine anstrengte. +++
+++ "Das Bangladesch der Verlage"? "Online": nur eine der Pointen in der frischen Kriegsreporterin-Reportage der TAZ ("Was bin ich froh, dass ich nicht via Flachbildschirm berichte, sondern auf Holz"), in der es überdies um Ulrike Simons Haar geht. +++
+++ Zurück zum blutigen Ernst: Auf der SZ-Medienseite hat Tomas Avenarius wenig Hoffnung auf Begnadigung des (unter anderem) zu 1000 Peitschenhieben verurteilten saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi: Der Innenminister sowie Prinz, denn "in diesem Land sind alle Spitzenpolitiker Prinzen", sei "bekannt für Härte gegenüber Aktivisten, Dissidenten und Freigeistern" und "durch den Thronwechsel noch mächtiger geworden." +++ Andrea Böhm berichtet bei zeit.de über Journalistenmorde der ISIS-Terroristen und den ägyptischen Al-Dschasira-Prozess ("Zum anderen wagte erstmals ein arabisches Land, westlichen Journalisten den Schauprozess zu machen ...") +++ Dass das arabischsprachige Al-Dschasira-Programm durch "islamistischen Duktus" "einen Zuschauerrückgang um 86 Prozent - von 43 auf 6 Millionen" erzielt habe, berichtet die NZZ. +++ Vom türkischen Prozess gegen die niederländische Journalistin Fréderike Geerdink berichtet Frank Nordhausen (u.a. FR). +++
+++ Von mit Reklame für einen Nazi-Onlineshop verknüpften "Todesdrohungen gegen Journalisten" aus Dortmund berichten die betroffenen Ruhrbarone. +++ Dass Sebastian Weiermann Felix Huesmann Anzeigen erstatteten, berichtet newsroom.de.
+++ Warum einer (neulich hier erwähnten) Lightbeam-Analyse des Online- Magazins Das Filter zufolge "ausgerechnet das britische Investigativ-Flagschiff Guardian" beim Tracking die Nase vorn hat, fragte sich die TAZ: "Auf Anfrage der taz sagte Guardian-Digitalchef Wolfgang Blau, er habe die Liste zur Verifizierung an Fachkollegen gegeben", schreibt Quentin Lichtblau. +++
+++ Vermutlich kein Mitglied der AG Dok: die Firma UFA Fiction. Wie es zu der auf Youtube zu sehenden Kooperation mit bild.de kam ("Hautnah werden daher für rund drei Monate die Krisenreporter Paul Ronzheimer, Klatschreporterin Dora Varro und Fußballreporter Kai Psotta begleitet. 'Mit ihnen decken wir unsere drei Kernbereiche News, Show und Sport ab', betont Julian Reichelt"), beschreibt einfühlsam-spannend newsroom.de: "Dann der Einfall, dass die spannendsten Geschichten das Leben schreibt - eine Idee, die Regisseur und Produzent Nico Hofmann ('Unsere Mütter, unsere Väter') überzeugte, der übrigens ... " +++ Um Bülend Ürük und den Ehrentitel der "Wühlmaus" entspann sich übrigens, einer womöglich nicht so zutreffenden Spiegel-Personalien-Meldung newsroom.des wegen, gestern eine kleine soziale Medienmedien-Debattenschlaufe. +++
+++ Die FAZ-Medienseite lobt ansonsten zwei öffentlich-rechtliche Fernsehsendungen: den heute abend im RBB gesendeten Dokumentarfilm "Verlorene Ehre - Der Irrweg der Familie Sürücü" (Matthias Deiß und Jo Goll "haben ihren mehrfach ausgezeichneten Film von 2011 noch einmal aktualisiert": "Selbstbewusst geben die Brüder Auskunft über ihr ungebrochenes Verständnis von Macht, gewalttätiger Erziehung und Familienehre. Keine Reue hat in diesem geschlossenen Weltbild Platz, kein Mitgefühl: Es sei richtig gewesen, Hatun zu richten, weil sie gemacht habe, was sie wollte. ... Einer der Brüder schwärmt inzwischen für die IS-Terroristen", schreibt Regina Mönch). +++ Und den ARD-Spielfilm "Der blinde Fleck", "der im vergangenen Oktober schon bei Arte zu sehen war": "ein moderner, streckenweise ziemlich rasant geschnittener Polit-Thriller mit dokumentarischem Anspruch". +++
+++ "... Da wirkt es angesichts der Lobbygetriebenen Aussagen von Günther Oettinger fast schon wie eine Entschuldigung, wenn sein Vorgesetzter Kommissar Andrus Ansip einen Gastkommentar von Tim Berners-Lee mit flammenden Plädoyer für Netzneutralität veröffentlicht" (netzpolitk.org über Entwicklungen in der politischen Einschätzung der Netzneutralität in den USA und der EU). +++
+++ Andrea Voßhoff, neulich (Altpapier) mit einer kleinen Datenschutzregung verblüffende Bundesdatenschutzbeauftragte, scheint diesen Posten behalten zu wollen, obwohl sie dank Katherina Reiche Bundestagsabgeordnete werden könnte (ebd.). +++ "Voßhoff ... möchte dieses Amt behalten und es nicht zugunsten eines Abgeordnetenmandats aufgeben. Mithin wird die CDU die Mandat nicht nachbesetzen können. Angesichts der Größe der Unionsfraktion, der zurzeit 311 der 631 Bundestagsabgeordneten angehören, und der überwältigenden Mehrheit der großen Koalition scheint die Unionsführung darauf verzichten zu wollen, Voßhoff zu bedrängen" (FAZ, S. 2). +++
+++ "Zug um Zug lassen sich die Redaktionen Entscheidungs-Kompetenzen abnehmen, bis ihnen am Ende der Status einer besseren (Text-)Putzkraft bleibt oder sie - im besten Falle - in festangestellte Autorenpools umgewandelt werden": Da geht Wolfgang Michal dem täuschenden "Veredelungscharakter" des "medizinisch angehauchten Terminus" Kuratieren nach. +++
+++ Der Tod Ben Wettervogels zieht Berichte nach sich. "'Mit Bestürzung haben wir heute morgen vom Tod unseres ehemaligen Kollegen Ben Vogel erfahren. Wir sind tief betroffen. Leider konnte die Zusammenarbeit mit ihm als Wettermoderator im vergangenen Jahr nicht fortgesetzt werden", sagte Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF", berichtete ZDFs heute.de. +++ "Zu Hintergründen oder Details dieser Entscheidung äußerte sich der Sender auf Anfrage des Tagesspiegels" und anderer "nicht" (Tsp.). +++ "Wenn Ben Wettervogel, gebürtig Benedikt Vogel, im ZDF-Morgenmagazin, in dem er nach Anfängen beim Radio seit 2005 die Vorhersage präsentierte, vor die Wetterwand trat, konnte man ihm ansehen, dass er das Dilemma, einerseits seriös Fakten vermitteln zu wollen, andererseits aber zur Launigkeit verdonnert zu sein, nie wirklich lösen konnte" ("Dade, Haho", also wohl: Denk & Hoff auf der SZ-Medienseite). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.