Jetzt Aktien kaufen!

Jetzt Aktien kaufen!

Michael Hanfeld knöpft sich Ingo Zamperoni vor, Pep Guardiola sucht den Maulwurf, und die Öffentlich-Rechtlichen kennen keine Lesben. Außerdem auf der Agenda: das Verschwinden eines deutschen Publizisten in Ägypten und eine Nachbetrachtung zur Causa Mollath.

Es kommt nicht oft vor, dass Artikel auf den Meinungsseiten der Tageszeitungen sehr persönlich werden. Heute gibt es dafür einen Anlass. 

„Wir wollen ihn wiederhaben“,

schreibt Caroline Fetscher im Tagesspiegel. Es geht um „einen der profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum“ (Welt), der hierzulande bekannt wurde „durch die Fernsehsendung ‚Entweder Broder‘, die er zusammen mit dem Publizisten Henryk M. Broder bestritt“ (Berliner Zeitung), es geht also um den deutschen Staatsbürger Hamad Abdel-Samad, der am Sonntag offenbar in Kairo gekidnappt wurde

„Er soll in Kairo spurlos ‚verschwunden‘ sein. Das ist nicht nur dort ein bedrohliches Synonym für „vermutlich entführt“. Und in diesem Fall leider sehr realistisch. Mit jugendlich glücklichem Lächeln, nahezu euphorisch, hatte der 1972 geborene Deutsch-Ägypter den arabischen Frühling in Kairo begrüßt. Genauso leidenschaftlich war dann sein Zorn auf die Pervertierung der Revolte, als sie in den Islamismus mündete. (...)“,

schreibt Fetscher, die in ihrem Text auch die oben erwähnte TV-Sendung „Entweder Broder“ sehr lobt („großartiger Roadmovie“)

„In Ägypten stießen seine Schriften auf heftige Kritik, da er sich darin zum Atheismus bekannte. Für viele religiöse Muslime ist dies ein Tabu“,

weiß die Berliner Zeitung. Die FAZ geht auf Morddrohungen „radikaler Prediger“ ein, und Fetscher schreibt:

„Unerträglich der Gedanke, dass er in den Händen von islamistischen Psychopathen sein könnte.“

Wobei der Begriff „Psychopathen“ der persönlichen Betroffenheit geschuldet sein könnte. In ihrer Schlusspassage nimmt Fetscher Bezug auf Abdel-Samads Atheismus:

„Vom Himmel wollte Hamed Abdel-Samad sich verabschieden. Von der Erde will er das gewiss nicht.“

Damit das nicht passiert, sind auch Politiker im Einsatz: „Der Krisenstab des Auswärtigen Amts hat sich eingeschaltet“ („Kulturzeit“/3sat)

####LINKS####

[+++] Da uns im Altpapier die harten Brüche nicht fremd sind, folgt jetzt ein Ausflug ins Heitere: Michael Hanfeld echauffiert sich auf der FAZ-Medienseite über „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni, der neulich im Zusammenhang mit der CDU ein in diesem Zusammenhang sehr verdächtiges Nine-Letter-Word zu verwenden wagte, nämlich „Ideologie“:

„Eine ‚Ideologie‘ hatte die Union eigentlich nie (wie wär’s mit ‚Werte-Kanon‘ oder nüchterner: ‚politisches Programm‘, Herr Zamperoni?) und hat sie im Augenblick schon gar nicht mehr, zumindest keine eigene. Sie wird ihr vielmehr von der SPD geliefert, über deren Stöhnen und Ächzen ob der sich abzeichnenden großen Koalition wir seit Wochen im Minutentakt informiert werden, während die Union es fertigbringt, als Wahlsieger wie eine Splitterpartei zu erscheinen, die ihre Forderungen (außer der nach der Maut), ob des großen Glücks, mitregieren zu dürfen, an der Garderobe abgegeben hat.“

Könnte eigentlich auch vom großen Politikberater Dr. Ulf Poschardt stammen. Von Hanfeld wissen wir ja, dass er stets bereit steht, todesmutig die Ungeheuerlichkeiten aufzudecken, die im öffentlich-rechtlichen Milieu tagtäglich geschehen. Aber dass er auch prädestiniert ist, die CDU zu retten, war bisher weniger bekannt. Der Satz „Eine ‚Ideologie‘ hatte die Union eigentlich nie“ ist schon ziemlich köstlich, er allein tröstet darüber weg, dass der gute alte Begriff „Rotfunk“ hier nicht auftaucht.

Online hat die FAZ heute eine auch nicht gerade ideologiefreie Frühkritik zu „Hart aber fair“ im Repertoire. „Null Zinsen – was tun gegen die große Geldschmelze?" lautete das Thema dort gestern. Patrick Bernau, der Wirtschaftsressortchef der FAZ-Online-Redaktion, hat sich die Sendung angeschaut, deren „Ausgangspunkt“ angeblich ein FAS-Artikel war, und in der auch die Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht mitwirkte:

„Wagenknecht stellte fest, dass nicht alle Sparer die Dummen seien. Sondern dass einige auch jetzt noch gutes Geld verdienten, weil sie ihr Geld nicht nur in Versicherungen und Tagesgeldkonten gesteckt hätten, sondern auch in Aktien und Fonds. ‚Auf den Kapitalmärkten boomt es ja‘, stellte Wagenknecht zu Recht fest. Dann erzählte sie einmal mehr, dass das nur den Reichen nütze - und keiner erkannte, dass die Reichen ein Erfolgsmodell vorleben, mit dem auch Durchschnittssparer ihr Geld viel besser anlegen könnten.

Heißa, hat man je zuvor eine derart nutzwertige Talkshow-Rezension gelesen?

[+++] Langsam dem Ende zu neigt sich die SZ/NDR-Serie „Geheimer Krieg“. Am Montag sind, etwa hier, Artikel darüber erschienen, dass in den vergangenen Jahren Forschungsgelder des US-Militärs an hiesige Hochschulen geflossen seien. Thomas Wiegold setzt der „gewissen Aufregung“, die diese Beiträge auslösten, in seinem Blog Augen geradeaus entgegen, dass natürlich auch hiesige Militärs solche Finanzierungswege nicht fremd sind. Ein paar Unterschiede gibt es, aber die sprechen nicht gegen die USA:

Geheimer Krieg hin oder her: Die USA machen ihre Aufträge (nicht nur die Forschungsaufträge) öffentlich.“

Außerdem liege „die Höhe der Pentagon-Aufträge unter der des deutschen Verteidigungsministeriums“, schreibt Wiegold, wobei er auf Zahlen aus der Bundespressekonferenz zurückgreift.

Andererseits: Ein Experte, der deutschen Journalisten implizit versichert, dass sie ihren Patriotismus nicht über Bord werfen müssen („Alles, was von der Bundeswehr finanziert wird, ist Friedensforschung“), der findet sich schnell. Der Tagesspiegel etwa hat einen gefunden (letzter Absatz)

Eine Person, über die man im Zusammenhang mit dem nord-/süddeutschen Themenschwerpunkt „Geheimer Krieg“ in den nächsten Tagen in den deutschsprachigen Medien gewiss noch (bzw. wieder) einiges lesen wird, ist Jeremy Scahill, läuft doch in der ARD in der Nacht von Donnerstag auf Freitag seine Dokumentation „Schmutziger Krieg“. Jetzt schon lesen kann man ein Scahill-Porträt in The Independent. Als „rebel fighter in the global war against journalism“ wird Scahill dort gepriesen.

[+++] Wem bereits heute Abend nach Dokumentationen im Fernsehen ist, der hat eine sehr große Auswahl. Der Tagesspiegel bespricht ausführlich „The Big Eden“, „die bisher wohl gründlichste Auseinandersetzung mit dem Berliner Playboy, Immobilienbesitzer, Lebemann, Überalldabei“ Rolf Eden:

„(Der Regisseur Peter) Dörfler, auch Autor von Edens Biografie, hat sogar die Familie bis nach Haifa besucht, hat ziemlich viele Ex-Frauen undfast ebenso viele Kinder ausgefragt. Und das Resultat, das nicht einmal geschönt wirkt: Eden ist wohl tatsächlich dieser clevere, ewig optimistische Glückspilz, oberflächlich, exhibitionistisch, großzügig. Einer, der sich sein Leben lang am Kleine-Jungs-Traum festhalten durfte, und dem das Leben offenbar nie eine Rechnung geschickt hat.

Später am Abend gibt es dann unter anderem noch „eine bemerkenswert unsentimentale Dokumentation“ (SZ, Seite 31) über das „Wetten, dass ...?“-Unfallopfer Samuel Koch zu sehen - sowie den RBB-Film „Kirche, Pop und Sozialismus", den Rüdiger Rossig in der taz bespricht:

„Aus der Doku kann man eine Menge lernen. Zum Beispiel dass etablierte Kirchenbürokratien - ähnlich dem Urchristentum - Kirchen zu Räumen der Zusammenkunft machen können, wenn sie von staatlichen Subventionen befreit und stattdessen unter Druck gesetzt werden. Und bei der Gelegenheit wieder Pastoren hervorbringen, die diesen Titel auch verdienen.“


ALTPAPIERKORB

+++ Den „wachsenden Frauenmachtanteil bei Print-Leitmedien“ auf kurzweilige wie informative Idee visualisiert hat gerade die Organisation Pro Quote. Der Tagesspiegel berichtet über die Aktion.

+++ Wenn es bei den Öffentlich-Rechtlichen um homosexuelle Themen geht, ist in der Regel von Schwulen die Rede, aber nicht von Lesben. Und wenn über solche Themen diskutiert wird, dann tun dies entweder Heteros oder schwule Männer, aber keine lesbischen Frauen. Eine entsprechende Statistik hat der Blog Karnele parat.

+++ Spiegel Online widmet sich in zwei Beiträgen (hier und hier) der „Maulwurf-Affäre“, die gerade mindestens tout München beschäftigt. Es geht darum, dass ein Spieler des FC Bayern (oder ein anderer Insider) gegenüber der Bild-Zeitung hochbrisante Äußerungen des Bayern-Trainers Pep Guardiola aus Geheimtrainings oder Mannschaftssitzungen („Das Umschalten ist eine Katastrophe!") ausgeplaudert haben soll. Interessant ist natürlich die Frage, warum jemand aus dem inner circle es nötig hat, sich als IM fürs Boulevard zu verdingen, bzw. warum das Verhältnis zumindest einer Person zu einer Zeitung so eng ist, aber darum geht es in den Artikeln zum Thema (noch) nicht.

+++ Nicht nur was für Linguisten: Der Punkt ist offenbar auch nicht mehr das, was er mal war. Wer „unser simpelstes Satzzeichen“ in einer digitalen Textnachricht verwendet, sollte wissen, was er tut. The New Republic klärt auf.

+++ Mit dem Genre Drohnenjournalismus befassen sich Rainer Stadler (NZZ) und die New York Times. Anlass sind mithilfe von Drohnen entstandene Bilder von den Zerstörungen des Taifuns auf den Philippinen.

+++ Neues aus der Abteilung winterbäuerliche Metaphorik: „Ganz langsam steht (...) auch der Besatzung des Raumschiffs Spiegel eine unsanfte Landung in den Niederungen des Medienumbruchs bevor“ (meedia.de). Zu den Hintergründen siehe Altpapier vom Montag.

+++ Der bisher eher selten aufgeworfenen Frage, was der Medienumbruch eigentlich für Obdachlose bedeutet, widmen sich Charlotte Parnack und Viola Schenz (SZ) in einem Interview mit Birgit Müller vom Hamburger Straßenmagazin Hinz & Kunzt, das in diesen Tagen seinen 20. Geburtstag feiert: „Auch an Straßenmagazinen dürfte der Online-Trend nicht vorbeigehen.“ - „Natürlich nicht. Wir sind schwach, was junge Leser anbelangt. Auch wir müssen den Sprung ins digitale Zeitalter wagen.“ - „An einer Hinz-&-Kunzt-Website würde der Verkäufer auf der Straße nichts verdienen. Bedeutet die Digitalisierung das Ende der Straßenmagazine?“ - „Wir hoffen, dass wir über die Webseite junge Leser gewinnen, die dann die Zeitung kaufen. Fakt ist, dass alle Straßenmagazine überlegen, wie sie ins nächste Zeitalter kommen: Was, wenn keiner mehr gedruckte Zeitungen liest? Was, wenn die bargeldlose Gesellschaft verwirklicht ist? In angloamerikanischen Ländern haben Leute heute oft kein Bargeld mehr dabei.“

+++ Dietrich Leder blickt in seinem „Journal der Bilder und der Töne“ für die Funkkorrespondenz auf eine Tagung des Netzwerks Recherche in Köln zurück. Besser gesagt: auf eine Podiumsdiskussion zum Fall Mollath, in der sich die Antipoden der Berichterstattung bekriegten. Leder beschreibt auch, wie diese Fronten überhaupt entstehen konnten: „Wer (psychiatrische) Gutachten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit anfordert, wird aus ihnen stets das Gefährdungspotenzial herauslesen und dementsprechend reagieren. Wer an ihnen zweifelt, sieht im Gefährdungsgedanken eine öffentliche Hysterie walten, die Sicherheit über alles und also auch die Menschenrechte stellt. Dieser thematische oder politische Chiasmus wird von einem medialen überkrönt. Um für eine Medienkampagne zu taugen, muss die betreffende Person mehr positive als negative Züge tragen, darf nur Opfer und nicht Täter sein. Sie wird zum Helden stilisiert, was prompt die Gegenseite animiert, nach dunklen Stellen und Seiten zu suchen, den Täteraspekt zu betonen und den Opferstatus eher nebenbei anzufügen. So produzierten beide journalistischen Lager entgegen ihrer Überzeugung, ein umfassendes Bild zu zeichnen, zunächst einmal nichts als eine Kippfigur, in der die Öffentlichkeit das sehen konnte, was sie wollte.“

+++ Heike Hupertz (FAZ) warnt anlässlich eines neuen Films mit Alexandra Neldel, der „Quotenheiligen von Sat.1“: „Wer Kussfilme mit Softpornoanleihen nicht schätzt, wird an ‚Die verbotene Frau‘ wenig Spaß haben.“ Was Tilmann P. Gangloff und Rainer Tittelbach grundsätzlich von Kussfilmen mit Softpornoanteilen halten, entzieht sich unserer Kenntnis. Dass sie die Sache anders sehen als Hupertz, überrascht allerdings nicht.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

weitere Blogs

In einer Kirche hängt links neben dem Altar ein Schild mit der dreisprachigen Aufschrift No pasar - Überholverbot - no passing
In Spanien gibt es ein Überholverbot am Altar.
G*tt ist Körper geworden. Was für eine Gedanke! Birgit Mattausch geht ihm nach.
Heute erscheint der sechste und vorerst letzte Beitrag unserer Themenreihe Polyamorie. Katharina Payk fragt: Wo kommt Polyamorie im Kontext von Kirche und Pfarrgemeinde vor?