Arge Junges Fernsehen

Arge Junges Fernsehen

Bunt, schnell, schrill - beziehungsweise: kleine Medienaufregung um einen katholizismuskritischen Videoclip, der in einer öffentlich-rechtlichen Fernsehnische doch nicht gezeigt wurde. Umso gespanntere Erwartung der neuen Friedrich-Küppersbusch-Show. Außerdem: die allerneueste WAZ-Kabale.

Dass es Fernsehsendungen gibt, die man wirklich nicht zu gucken braucht, wissen alle, die gelegentlich noch selbst fernsehen. Wieviele es davon auch in den vielen öffentlich-rechtlichen Programmen gibt, ist vielleicht sogar ein spezielles Problem des deutschen Fernsehens.

Dass aber namhafte Beteiligte solcher Sendungen in anderen Fernsehsendungen (die man ebenfalls nicht zu gucken braucht) sitzen und ausdrücklich von ihren eigenen Sendungen abraten, das ist spektakulär neu. "Das hatte selbst Stefan Raab noch nicht erlebt" (Tagesspiegel).

Schließlich lebt eine große Menge Fernsehsendungen vor allem davon, dass bei ihnen die Protagonisten anderer Fernsehsendungen gastieren und für ihre jeweils anderen Sendungen Werbung machen. Selbst in die fürchterliche NDR-Sendung "DAS" kommen trotz des Katja Riemann-Interviews immer noch Gäste (heute übrigens ein ganz ganz Großer des Polit-Talkshow-Zirkus).

Am Dienstagabend aber bei Stefan Raab, dem in der Summe seines bisherigen Lebenswerks vermutlich allergrößten Sendezeitfüller des deutschen Fernsehens, distanzierte sich die Comedienne (WDR) bzw. Komikerin (EPD) bzw. Kabarettistin (ein Medienethiker) bzw. der "Comedy-Shootingstar" (Einsfestival) Carolin Kebekus aufsehenerregend von ihrer neuen Sendung im vom WDR verantworteten Digtitalnischenkanal Einsfestival, und zwar mit den Worten "Brauchen Sie nicht gucken. Ist völlig verstümmelt. Ich möchte mich von der Sendung distanzieren". Sie tat das, weil aus dieser Sendung kurzfristig ein kirchen- bzw. katholizismuskritischer Musikvideo-Clip gestrichen worden ist. Das Problem schildert der Evangelische Pressedienst hier nebenan so:

"Das umstrittene Video, das weiterhin im Internet auf YouTube zu sehen ist, zeigt Kebekus als rappende Nonne, die sich als 'Bitch des Herrn' bezeichnet, wie sie ein Kruzifix leckt. Die Komikerin äußerte in dem Beitrag unter anderem Kritik am Zölibat, am Ideal der Jungfräulichkeit und an einer auf Hierarchie und Gehorsam ausgerichteten Struktur der katholischen Kirche."

Das Video hat inzwischen wohl jeder gesehen, der sich dafür interessieren könnte, schon weil während ihres Auftritts in Raabs Show ausführlich auf Kebekus' Youtube-Kanal hingewiesen wurde (und auf ihre aktuelle CD und ihre nächsten Live-Auftritte, sodass sie insgesamt doch gut auf ihre Werbekosten gekommen sein dürfte). Die kleine Medienaufregung, die sich daraufhin schulmäßig abspielte, bringt am besten der wie Raab und der WDR in Köln ansässige Mediendienst dwdl.de auf den Punkt. Bzw. auf zwei Punkte. Der erste läuft darauf hinaus,

"dass am Ende aller Aufregung ein wenig PR für die Premiere einer zensierten neuen Show übrig bleibt. Allerdings auf Kosten eines mutlosen WDR, der mit dieser Sendung bei Einsfestival gerne jung und provokant sein wollte - solange man niemandem auf den Talar tritt."

Der zweite folgte als leichte Aktualisierung des ersten, weil doch etwas verblüffte, nämlich wie schnell die PR-Strategie aufgegangen sein könnte:

"Der WDR hat der Komikerin mit seiner nachträglichen Änderung der Einsfestival-Sendung unfreiwillig einen Gefallen getan und ihr einen einfachen Ausstieg aus dem Spartensender-Dasein ermöglicht. Bei RTL könnte die für ihren direkten und derben Humor bekannte Kebekus die Lücke füllen, die Cindy aus Marzahn nach ihrem Wechsel zu Sat.1 hinterlassen hat. Nur humortechnisch natürlich."

Weitere Farbtupfer der Medienaufregung im Schnelldurchlauf: Der Kölner Stadtanzeiger befragte einen Medienethiker (und Christian Schicha sagte u.a.: "Meiner Meinung bewegt sich Frau Kebekus ganz klar im Bereich der Satire. Ihr Beruf ist Kabarettistin, und sie hat die Aufgabe, für sie relevante Dinge anzusprechen und der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten"...). "Darf man den Gekreuzigten einfach ablecken?" fragt bild.de im Rahmen der Klickstrecke und zeigt Kebekus beim Ablecken des Gekreuzigten. Der Beitrag trägt inzwischen die Überschrift "Versteht Jesus Christus keinen Spaß?". Die Süddeutsche bemerkte, dass "Kebekus!", so der originelle Titel der Einsfestival-Sendung, trotz allem "den ganzen Mittwoch ... der Tagestipp auf der Website von Einsfestival" war. Dazu anzumerken, dass die Sendungs-Beschreibung ("Es wird bunt, es wird schnell, es wird schrill. ...") auf der flippig designten Einsfestival-Webseite wahrscheinlich ja längst in der aktuellen Form von der Gremienvorsitzendenkonferenz abgesegnet worden ist und daher nicht einfach so geändert werden konnte, würde den Rahmen der Berichterstattung in Richtung Satire verlassen.  

Und bei der WAZ, um die es gleich noch geht, könnte sich entgegen der ausdrücklichen Empfehlung der Künstlerin jemand die Show tatsächlich angesehen haben. Zumindest schreibt Jürgen Overkott (derwesten.de):

"Am Mittwochabend sollte die Kebekus-Show ohne den umstrittenen Kirchen-Rap ausgestrahlt werden. Auch in der Mediathek der ARD wird der Beitrag fehlen. Ein Ersatz für die Kirchen-Satire gab es nicht. Die Sendung fiel schlicht kürzer aus. Ein Ersatz für die Kirchen-Satire gab es nicht. Die Sendung fiel schlicht kürzer aus."

Sic sic sic, wäre eigentlich nachzutragen, andererseits wäre es schade um den Rhythmus. Inzwischen sind die Fehler behoben.

Bleibt die Frage, ob der der coole Jugendsender WDR, der bekanntlich gerade drauf und dran ist, mit dem Intendanten Tommy Buhrow durchzustarten (der übrigens in Raabs Plauderei mit Kebekus auch vorkommt, jedoch ganz ohne Gags à la "Tom Boring"; die TAZ-Kriegsreporterin scheinen Raabs Gagschreiber nicht auf dem Schirm zu haben...), auch noch anders reagierte als nur durch die Kürzung der Sendung.

Jawohl, mit einer Presseerklärung und mit noch einer, reichhaltiger illustierten.

"Der WDR steht für Liberalität und Toleranz. ... Das bedeutet auch, die religiösen Überzeugungen der Bevölkerung zu achten. Nach eingehender redaktioneller Diskussion und rechtlicher Prüfung durch unser Justiziariat haben wir uns daher entschieden, das Video nicht auszustrahlen",

wird darin Jochen Rausch, "1LIVE-Programmchef und beim WDR zuständig für die AG Junges Fernsehen", zitiert. Dieser Jochen Rausch schaut auf dem großen (und vergrößerbaren) Foto mit angemessenem, durchaus sympathischem Ernst in die Kamera, was einen formidablen Kontrast zum Foto der "Comedienne" ergibt, die ebenfalls sympathisch in die Kamera schaut, aber enorm entspannt...

####LINKS####

[+++] Pardon, zurück zu den Inhalten. Dass Jochen Rausch von der "AG Junges Fernsehen" selbst auch nicht mehr der Allerjüngste ist, fällt freilich ins Auge. Auch insofern stellt sich eine spannende Anschlussfrage, auf die gerade nicht einmal Google Antwort weiß, da diese AG eine bislang nicht ins Licht irgendeiner Öffentlichkeit gerückte Geheim-Institution des mächtigen WDR zu sein scheint (oder müsste man "Arge Junges Fernsehen" googlen?) Die Frage jedenfalls: Ist diese AG/ Arge auch für die gespannt oder gespannter erwartete, neue WDR-Produktion "Tagesschaum" zuständig?

Ein Randaspekt wäre die Frage, ob der Medienjournalist Stefan Niggemeier sozusagen vom Regen in die Traufe wechselte, als er sich kürzlich vom Spiegel (der ja eben auch oft ein medienjournalistisches Thema ist) verabschiedete und erst mal ausgerechnet in die avantgardistische Fernsehunterhaltungsabteilung des WDR ging.

Wobei der Star der Fernsehsendung, an der irgendwo in den gewaltigen, Kölns Innenstadt quasi umsäumenden Büroburgen des WDR, gearbeitet wird, natürlich Friedrich Küppersbusch ist, auch nicht mehr jung, aber womöglich mit einem Satireverständnis gesegnet, das im heutigen öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf Probleme stoßen könnte. Andererseits sieht Rausch aus, als könnte er mit Küppersbusch... Wer jedenfalls schon heute in größten Worten empfiehlt, sich ab kommendem Montag "Tagesschaum" anzugucken, und das auch mit einem Youtube-Ausschnitt aus dem Fernsehens des letzten Jahrtausends illustriert, ist Altpapier-Autor Matthias Dell im Freitag.
 


Altpapierkorb

+++ Innovationsmotor Nordrhein-Westfalen: Heute beginnt, ebenfalls in Köln, das Medienforum. Eine kuratierte Veranstaltungsübersicht hat Carta, das eine Veranstaltung sogar mitveranstaltet. +++

+++ Innovationsmotor Nordrhein-Westfalen: Gerade hatte ich gestern hier einen Teilverkauf des Zeitungszombies Westfälische Rundschau als "neueste WAZ-Kabale" bezeichnet, da ging schon eine noch neuere und spektakulärere durchs Netz, "eine Kapitulationserklärung eines Verlags" (meedia.de), nämlich die postalische Ankündigung an einen Teil der Abonnenten: "Bedingt durch unvermeidliche Logistikänderungen können wir Ihnen Ihre Zeitung ab dem 1. Juni 2013 leider erst am nächsten Werktag nach dem Erscheinungstag zustellen". Mehr stand vorher im diesem Facebook-Auftritt. Im knappen Bericht der Süddeutschen findet sich heute die rare Formulierung, dass eigentlich ja "alle Verlage ... seit Jahren daran [arbeiten ], der digitalen Konkurrenz ein trotzdem möglichst wenig veraltetes Produkt entgegenzusetzen".  +++

+++ Kürzlich war Mediendialog in Hamburg. Ein Carta-Beitrag Thomas Stadlers lenkt den Blick auf einen SPON-Beitrag des Grünen-Netzpolitikers Malte Spitz, der sich gegen eine in Hamburg vom dortigen Landesvater Olaf Scholz (SPD) wandte: "Netzpolitik darf nicht Ländersache werden", lautet Spitz' sehr unterstützenswerte Forderung. +++

+++ "Bei den deutschen Online-Medien tut sich derzeit einiges", hat Marin Majica beobachtet und bringt in der Berliner Zeitung die Bezahlstrategie der Bild-Zeitung, den Relaunch bei Spiegel Online, den geplanten Start der deutschen HuffPo und sogar das golem.de-Angebot an Blogger konzise unter einen Hut. +++ Allein mit dem Spiegel Online-Relaunch unter visuellen Gesichtspunkten hat sich Norbert Küpper befasst (newsroom.de). +++ Das "mittlerweile schon wieder ikonisch gewordene Nachrichtenbild", das die Buddies Kai Diekmann und Philipp Rösler beim Umarmen zeigt, hat Georg Seeßlen im Freitag zum Anlass eines großen Stückes über Springers Strategie sowie das Silicon Valley genommen. +++

+++ Überraschend weit nach Westen blickt die Berliner Zeitung: nach Belgien, wo der staatliche Netzbetreiber Belgacom ARD und ZDF "aus dem Programm genommen" und durch RTL und Sat.1 ersetzt hat, was überraschend viel Protest auslöste. +++

+++ Schöne Beobachtungen hat Eckart Lohse für faz.net bei der vollen Dröhnung Thomas de Maizière angestellt, die ARD und ZDF gestern abend boten: "Erst trat de Maizière von 22 Uhr an in der ARD-Sendung 'Farbe erkennen' auf und ließ sich von Ulrich Deppendorf und Thomas Baumann dazu befragen, was denn bei der Drohen-Nichtbeschaffung falsch gelaufen sei. Kaum war die Viertelstunde vorbei, ging es im ZDF bei 'Was nun?' weiter. Peter Frey und Bettina Schausten stellten die Fragen noch einmal. Doch so sehr sich die Chefredakteure und Studioleiter auch bemühten, die Antworten des Ministers waren nicht nur ähnlich, sondern zum Teil wortgleich..." +++

+++ Was wiederum state of the art ist: "Die Menschen müssten sich daran gewöhnen, dass man in der vernetzten, so transparenten Welt nur eine einzige authentische Persönlichkeit sein könne, sagt er. Früher hätten Politiker in einem Raum etwas anderes gesagt als im nächsten, und dort wieder etwas anderes als auf der Straße". Das einer der guten Ratschläge, die Michael Slaby, dem der Ruhm vorauseilt, Obamas Wahlkampfberater gewesen zu sein, der Süddeutschen (S. 33) bei "einer Begegnung" "im Wohnzimmer von William Moeller, dem amerikanischen Generalkonsul in München" zukommen ließ. Slaby war offenbar auf der Durchreise nach Berlin in München. +++

+++ Zur Flut: Die FAZ-Medienseite schildert den Einsatz von Netzwerken bei den Hilfsaktionen ("Es gehört wohl zu den Absurditäten des sozialen Netzwerks, dass dort dann Meldungen auftauchen, die 'Lisa Müller gefällt 'Das Hochwasser 2013'' lauten - und wahrscheinlich stolpern darüber aber nur diejenigen, die in den trockeneren Teilen Deutschlands ihre Timeline durchklicken..."). +++ "Die Flut war 2002 für Gerhard Schröder die Wahlkampfwende - zu einem Zeitpunkt, als er die Wahl schon verloren glaubte": Da remixt Michael Spreng die Legende, die er am Montag bei Frank Plasberg performte bei Carta. "Der Unterschied zu 2002 aber ist: Merkel hätte kein Flut gebraucht, um die Bundestagswahl zu gewinnen". +++ Und David Denk (TAZ) exerziert eine Stilkritik an Hotte Seehofer. +++

+++ Auch Felix Dachsel ist wieder in der TAZ vertreten, und zwar mit einem Bericht aus Istanbul ("Das Internet ist nur die technische Möglichmachung einer antiautoritären Kommunikationsstruktur, die nicht auf die Protestaufforderung einer Partei, einer Gewerkschaft, eines Anführers wartet"). +++

+++ "Der Onlinekonzern Google hat im vergangenen Jahr 18,2 Millionen Dollar (vierzehn Millionen Euro) für Lobbying ausgegeben. Damit liegt Google unter den zehn Unternehmen, die am meisten für Lobbying ausgeben, noch vor dem Rüstungshersteller Lockheed (15,3 Millionen Dollar) und weit vor Microsoft (acht Millionen)..." Das hat die FAZ-Medienseite der Webseite opensecrets.org entnommen. +++ "Google-Topmanager" Eric Schmidt gab der Angela Merkel unter den Zeitungen (Ines Pohl), also der Wochenzeitung Die Zeit ein Interview (Vorabmeldung). +++

+++ Einen engagierten Aufruf für Medienjournalismus in Zeitungen hat aus aktuellen Anlässen Hendrik Zörner von der Journalistengewerkschaft DJV verfasst: Medienjournalismus dürfe nicht "wie das fünfte Rad am Wagen" behandelt werden. +++

+++ Fernsehkritik: "Eine Art von Künstlichkeit bleibt, ein interessanter Reiz. Es sieht anders aus als Fernsehen. Weniger gebührenweich", lobt Claudia Tieschky in der SZ etwas enigmatisch den Arte-Film "Die Frau von früher", der auf einem Bühnenstück Roland Schimmelpfennigs basiert. +++ "Tiefpunkt des Fernsehkunstsinns", würde Daniel Haas (FAZ) dagegen sagen. +++ Einen besonders dümmlichen Artikel widmet die Bild-Zeitung der Tatsache, dass Wotan Wilke Möhring wegen seines ARD-"Tatort"-Engagements eines reihenmäßigen Krimi-Engagements im ZDF verlustig ging: "Die Folge sind weniger gute TV-Krimis – für dieselben hohen TV-Gebühren..." +++ "Nur zwölf der 101 besten Serien wurden in Schwarzweiß gedreht. Zur Hälfte ist die Bestenliste mit Schöpfungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts gefüllt (Platz 7: 'Mad Men', Platz 9: 'The Wire'), siebzehn Serien stammen aus dem aktuellen Programm (Platz 48: 'Homeland')..." - Patrick Bahners beglossiert auf der FAZ-Medienseite kurz die Fernsehserien-Bestenliste der Writers Guild of America (siehe auch BLZ/ DPA). +++

+++ Und einer der besten deutschen Fußballspieler der letzten Jahrzehnte, dessen Abschiedsspiel gestern das MDR-Fernsehen übertrug, zählt leider immer noch zu den pressearbeitsmäßig schlecht beratenen Prominenten, berichtet die TAZ. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

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