Rauf aufs Korn

Rauf aufs Korn

"Immer öfter" zieht sich das Fernsehen selbst durch den zuvor eigens angerührten Kakao. Wir versuchen uns heute hier aus gegebenem Anlass namens Olli Dittrich an einer Parodie der schnellen Fernsehkritik. Artes Programmdirektor hat früher Videospiele entwickelt und wird doppelt gewürdigt. Der Spiegel sagt tschüss. Und die re:publica beginnt.

Olli Dittrichs neue Sendung "Frühstücksfernsehen", in der er das Frühstücks- und sonstige Sitzmoderatorenfernsehen persifliert und die heute, natürlich spät (23.30 Uhr), in der ARD läuft, ist eine super Sache, da sind sich die einigen Onlinefernsehkritiker absolut zahlreich.

Ha! Denkste, Puppe, wir haben es gemerkt: Natürlich handelt es sich bei den vielen Texten um Fernsehkritikparodien, parodistische Meisterwerke, mit denen Olli Dittrich höchstselbst die Fernsehkritiker durch den zuvor eigens angerührten Kakao zieht.

Der beliebte Verwandlungskünstler persifliert in den vielen Onlinefernsehkritiken zu seiner neuen Sendung "Frühstücksfernsehen" präzise und detailverliebt das ganze Genre der Onlinefernsehkritik!!!!

Den dominierenden Ton gibt er vor mit der Pressemitteilung, die der WDR – es ist wirklich alles täuschend echt – selbst herausgegeben hat: "Er gilt als bedeutendster Verwandlungskünstler der Gegenwart, seine Kunstfiguren sind legendär", schreibt Dittrich da als WDR über Dittrich.

Diesen Jargon greift er dann in vielen Kritiken auf, die er über sich verfasst hat: "Olli Dittrich (56) hat mehrfach Fernsehgeschichte geschrieben." Seine "Kunst, in tausend verschiedene Rollen zu schlüpfen ist legendär – und das treibt er in seiner neuen Show 'Frühstücksfernsehen' auf die Spitze."

Seine Sendung ordnet er in eine Reihe weiterer TV-Formate ein, die immer öfter, wenn nicht noch öfter, stattfinden: "'Kalkofes Mattscheibe', 'Switch reloaded', die 'heute-show' – immer öfter parodiert sich das Fernsehen selbst." Dittrich schreibt in einer präzise ausgefüllten Rolle als Boulevardkritiker auch, was er darin tut: "Dittrich nimmt alles aufs Korn: von den Moderatoren und Magazinbeiträgen über Berichte aus Politik und Gesellschaft." Also: "Alles Dittrich, oder was?" Nein, nicht alles: "Mit von der Partie sind Cordula Stratmann und prominente Gäste." Ja, wirklich: "Mit von der Partie sind Cordula Stratmann und prominente Gäste." Und siehe da: "Mit der wunderbaren Cordula Stratmann an seiner Seite läuft Olli Dittrich in dieser Medienparodie in zahllosen Rollen und Verkleidungen zu absoluter Hochform auf. Er erweist sich einmal mehr als ein hoch präziser Feinmechaniker des Humors."

Das Altpapier findet: absolut legendäre Fernsehschnellkritikkakaoziehpersiflage von unserem Olli Dittrich (Foto: WDR)!

Aber "im Ernst" (Kai Diekmann): Dittrichs Sendung, die nach dem heute ausgestrahlten Piloten ob der freundlichen Resonanz in die Produktion einer ersten Staffel des Unterhaltungs-Juwels münde, wie DWDL am Wochenende meldete, ist wirklich sehenswert. Und diverse Texte darüber sind nicht insgesamt so – hätten wir die zwei Wörter auch noch untergebracht – unfreiwillig komisch wie die hier rausgepickten Blüten. Bemerkenswert über die Sendung hinaus ist die Möglichkeitsinflation der harschen und doch affirmativen Kritik, die sich mit einem Parodieformat wie "Frühstücksfernsehen" verbindet. "Es ist normal, die Verrücktheit der Fernsehnormalität zu zeigen, während sie gleichzeitig unverändert weiter besteht", behaupte ich zum Beispiel in der kommenden Ausgabe des Freitag zum Thema.

Weitere "Frühstücksfernsehen"-Kritiken neben den oben bereits verlinkten: die aus der SZ, die am Freitag hier schon zitiert, aber mangels Link noch nicht verlinkt worden war. Die aus dem Tagesspiegel. Und die aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (derzeit nicht frei online). Und weil wir gerade bei Texten über Satire-u.ä.-Formate sind: Der Tagesspiegel stellte am Wochenende Stefan Sichermanns Postillon vor, und auch den Zeit-Text über die "Heute Show" kann man derzeit online frei lesen.

+++ Etwas völlig anderes: Dass der NSU-Prozess heute nicht mehr in erster Linie als Medienevent thematisiert wird, sondern aus anderen Gründen – Prozessbeginn – auf den Titelseiten steht, ist dringend zu begrüßen. Die FAS wäre aber keine Sonntagszeitung, wenn sie nicht noch eine Perspektive fände, auch das mediale Gewese um die Berichterstatterplatzvergabe nochmal neu zu thematisieren. Der München-Korrespondent Albert Schäffer schrieb einen Brief an den Vorsitzenden Richter, einen Brief, den man wegen einiger Angriffe bei Bedarf als das beleidigte Schreiben eines im Losverfahren nicht gezogenen Mediums verstehen könnte, aber nicht muss. Liest man noch einmal die umfassende Gesamt-Tombola-Berichterstattungs-Schau des Altpapier-Kollegen Matthias Dell, merkt man allerdings: Der Brief ist vor allem in der Form neu – inhaltlich ist er die Fortsetzung der bisherigen FAZ-Kommentare zum Thema; es fällt auch wieder der Begriff "Farce". Trotzdem lesenswert.

####LINKS####

+++ Die Süddeutsche Zeitung macht ihre Medienseite heute mit einer Geschichte auf, die die taz am Samstag hatte: der bimedialen Verdrahtung von Arte – "dieser Kanal hat seit Jahresbeginn einen Programmchef, der früher Videospiele entwickelt hat", schreibt Claudia Tieschky (SZ, derzeit nicht frei online): Alain Le Diberder. Und der eine Strategie vorgegeben hat, die "Galaxie Arte" heiße. "Nichts funktioniert mehr getrennt nach Sendeschema, Website und Abruffernsehen – alles läuft jetzt über sogenannte Themenplattformen."

Jürn Kruse, taz:

"Jeder im Haus Arte soll nun multimedial arbeiten und denken. Das wird keiner Vier-Mann-Kapelle names Onlineredaktion mehr überlassen. Das Netz ist zu einem seriösen Übertragungsweg neben Kabel, Satellit oder Antennenfunk geworden. Die Zeit des Herumprobierens mit diesem verrückten Internet ist vorüber. "

Die SZ lässt dabei ausführlich Diberder zu Wort kommen:

"Er redet davon, dass die digitale Welt nicht mehr die von Papas PC ist, sondern die der mobilen Geräte, Smartphones und Tablet Computer, der schnellen ADSL-Zugänge in Frankreich und des Connected TV in Deutschland, die das Internet auf den Fernsehschirm bringen. Die Leute, die das heute nutzen, sagt Diberder, sind keine 'Digs' mehr, keine Freaks, sondern vielleicht sogar schon etwas älter. Bei Arte glaubt man das, und die Jungen, die man über das Netz erreicht, hat man auch gerne."

Wobei Jürn Kruse sich allgemein und damit auch alle Leser fragt, ob das mit der Online-Fernseh-Verschaltung wirklich so funktioniert, wie man es sich gerne einreden lässt – Stichwort "Second Screen":

"Wenn ein paar Tausend Menschen sonntags zwischen 20.15 und 21.45 Uhr eine Nachricht mit dem Hashtag #Tatort twittern, gehören sie unter den insgesamt elf Millionen Zuschauern zu einer verschwindend kleinen Minderheit."

Es bleibt also, das ist ja das Schöne, kompliziert.


ALTPAPIERKORB

+++ Will der Focus von München nach Berlin ziehen? Laut newsroom.de fürchten das Mitarbeiter. Genährt würden die Befürchtungen vom "massiven Ausbau der Berliner Repräsentanz"; die Meldung steht auch in der SZ +++

+++ Die Berliner Zeitung beklagt, der Fall des Uli Hoeneß drohe "zum Geheimverfahren zu werden": Angeblich, zitiert die Berliner aus der BamS, "soll der Bayern-Präsident bereit sein, eine Freiheitsstrafe auf Bewährung sowie die Zahlung einer hohen Strafe zu akzeptieren. Sollte ihm die Einigung gelingen, wird die Öffentlichkeit nie erfahren, was Hoeneß überhaupt getan hat". Es sei denn, die Hoffnung bliebe, er sagte es der Zeit +++

+++ Keine markanten gedruckten Vorschauen auf die heute startende re:publica, aber eine Netzpolitikbetrachtung bei Carta mit entsprechendem Verweis +++

+++ Gleich zwei Abschiedsmeldungen aus dem Spiegel: Eine steht in der "Hausmitteilung" und ist eine späte Verabschiedung der alten Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron – versehen tatsächlich mit einem Lob für den Stern: "Wenn Redaktionen und Verlage ihre Chefredakteure wechseln, geht das selten so elegant vonstatten wie zuletzt beim 'Stern', wo zwei Chefredakteure ihren Nachfolger einarbeiteten. Etwas ruppige Tage haben jedenfalls wir beim Spiegel hinter uns." Einer der stellvertretenden Chefredakteure, Klaus Brinkbäumer, schreibt: "Ich möchte an dieser Stelle etwas nachholen, wozu wir während jener ruppigen Tage leider nicht kamen: Im Namen der Spiegel-Redaktion möchten mein Kollege Martin Doerry und ich uns bei Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron für 25 beziehungsweise 21 Jahre höchsten Einsatzes und für die großartige Zusammenarbeit bedanken." +++ Und eine heißt "Ausmitteilung", steht im Blog des Spiegel-Autors Stefan Niggemeier, der darin seinen Abschied vom Spiegel ankündigt – eine Personalie, die es auch in einige andere Medien geschafft hat +++

+++ Die Spiegel-Medienmeldung der Woche lautet, dass Oliver Pocher seriöse Formate für das ZDF ausprobiere: Test-Talkshows (siehe mit ein wenig mehr Drumherum auch SZ. Nachricht beendet. Jetzt der Kommentar: Das fehlte gerade noch +++ Ebenfalls im Spiegel: Die Fernsehjournalistin Sonia Mikich gibt ein Interview zur Ökonomisierung der deutschen Krankenhäuser und bringt dabei eine Formulierung unter, die natürlich dringend hierher gehört: "Mikich kritisiert die Ärzteserien in der ARD. 'Ich verüble meiner ARD tatsächlich sehr, dass sie diesen süß parfümierten Hirnschiss mitmacht (..,). Diese Arztserien stabilisieren ein Bild der Klinik als sterile Welt, in der alles gut läuft, wo ein Arzt ein Heilsbringer ist und man sich vertrauensselig ausliefern kann. Das halte ich für falsch'" +++

+++ Im Fernsehen: "Tod in den Bergen", der montags fast obligatorisch besprochene 20.15-Uhr-Film des ZDF wird von der FAZ heute nicht gelobt +++ Besser kommt die zweite Staffel von "Add a Friend" weg, die bei TNT anläuft (taz, TSP) +++ Und der Tagesspiegel bespricht außerdem die Doku "Wir Kriegskinder" (ARD, 0 Uhr) +++

Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.

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