Bert Brechts bester Schüler

Bert Brechts bester Schüler

Der Bundestag heißt jetzt Ergo, dapd heißt jetzt HQTA, und wir alle sind ein bisschen Schavan. Die Hauptthemen sind heute aber der Tod Wolfgang Menges und der bevorstehende Tod der Newsweek-Print-Ausgabe. Außerdem auf der Agenda: Wer nur etwas vom Netz versteht, versteht auch davon nichts. Auslandsjournalismus ist wie Städtetourismus. Frauenzeitschriften sind frauenfeindlich.

Wenn Experten auf eine Frage antworten, dass sie sie in der gewünschten Form nicht beantworten können, ist das angesichts der vielen vermeintlichen Alleswisser, die so unterwegs sind, erst einmal sympathisch. Würdigen wir also mal den Politologen Ivan Krastev, mit dem sich Andrian Kreye für das SZ-Feuilleton über Transparenz unterhalten hat. Auf Kreyes Frage, ob Transparenz „vor allem ein Thema der Jugend“ sei, sagt sein Interviewpartner:

„Darauf habe ich noch keine Antwort gefunden. Sicherlich verstehen die Digital Natives das Internet als Demokratie (...) Es ist allerdings keine liberale, sondern eine libertäre Generation, weil das Internet libertär ist. Und viele dieser jungen Bewegungen sind defensiv. Sie verteidigen zum Beispiel die Freiheit des Internets. Wenn man tiefer schürft, sieht man, dass sie den Status Quo verteidigen.“

Obwohl der Begriff „Digitale Natives“ nicht unproblematisch ist: Dass die lautstarken Internetfreiheitverteidiger - für die sich die Formulierung „Wer nur etwas vom Netz versteht, versteht auch davon nichts“ aufdrängt, also eine Abwandlung eines Hanns-Eisler-Satzes, auf die ich im Altpapierkorb noch einmal zurückkommen werde - keineswegs die Absicht haben, die Gesellschaft zu verändern, kann nicht oft genug betont werden.

Transparenz, sagt Krastev dann auch noch, sei

„nur ein Motor der Depolitisierung und ein Instrument, um Vertrauen zu managen, statt Vertrauen zu schaffen (...) Es gibt nichts Verdächtigeres als eine Regierung, die so tut, als sei sie transparent.“

[+++] In diesem Sinne völlig unverdächtig ist der Deutsche Bundestag, der mit dem Hinweis auf eine vermeintliche Urheberrechtsverletzung gerade netzpolitik.org attackiert, weil der Blog ein 2008 vom Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments erstelltes Gutachten veröffentlicht hat. Das trägt den Titel „Rechtsfragen im Kontext der Abgeordnetenkorruption", es geht also darum, dass es äußerst geschäftstüchtigen Parlamentariern hier zu Lande so gut geht wie ähnlich geschäftstüchtigen Zeitgenossen im Sudan, in Saudi-Arabien und Syrien, aber schlechter als jenen in Afghanistan, Gabun und auf den Marschallinseln.

Der Wall-Street-Journal-Blog „Die Seite Drei“ bemerkt dazu:

„Tatsächlich ist der Bundestag nicht die erste Organisation, die mit dem Verweis auf das Urheberrecht Berichterstattung verhindern möchte. Zuletzt hatte die Ergo-Versicherung dem Handelsblatt juristische Mittel angedroht, weil es einen internen Ermittlungsbericht der Versicherung zur Prostituierten-Affäre in einer App zum Download angeboten hat. Das Urheberrecht wird so zu einer Waffe in der Schlacht um die Meinungshoheit – und damit missbraucht. Denn eigentlich soll der Schutz geistiger Produkte dazu dienen, Kreativen Anreize zu geben, schöpferisch tätig zu werden. Dass das Ergo- oder Bundestag-Gutachten aus künstlerischen Motiven erstellt wurde, kann aber kaum als Grund für den Rückgriff aufs Urheberrecht herangezogen werden.“

[+++] Wenn Politiker in der Kritik stehen wegen eines (vermeintlichen) Fehlverhaltens, zu dem es im Alltag von Journalisten eine entfernt ähnliche Entsprechung zu geben scheint, begeben sich ja immer mal wieder ein paar Geistesgrößen in die Bütt, die dann dekretieren, Journalisten mögen sich doch bitte erst mal „an die eigene Nase fassen“. Definitiv nicht in diese Albernheiten-Kategorie gehört der durch die Schavan-Debatte (siehe Altpapier) inspirierte Text Petra Sorges für Cicero Online, in dem es um Copy-&-Paste-Journalismus geht, also sozusagen um Schavanismus im Journalismus:

„Der Grat zwischen der (erlaubten) Verbreitung von Tatsachen und der (verbotenen) Übernahme eines Werkes ist nirgendwo schmaler als im Journalismus. Es ist in der Branche zum Beispiel völlig üblich, bereits veröffentlichte Fakten zu einer lesenswerten Erzählgeschichte zu verweben. Würde der Autor für jedes recherchierte Einzelstück die Fundstelle nennen, wäre der Text nicht mehr genießbar, ein Wust an Quellenangaben (...) Die erlaubte Weiterverbreitung gerät aber dann in eine Grauzone, wo aus aufwendig recherchierten Exklusivgeschichten schnelle Berichte gestrickt werden, ohne etwa im Netz einen Link zu setzen oder auf die Nachrichtenagentur hinzuweisen. (...) Manchmal sind die Tricksereien aber viel subtiler – ein Halbsatz hier, eine Idee da. Oder eine verwaschene Übersetzung aus einem ausländischen Leitmedium. Manchmal wird die Übernahme gekennzeichnet, um nach Zitatende umso hemmungsloser abzuschreiben zu können; schließlich hat man seine Pflicht ja erfüllt. Am Ende ist dann für niemanden mehr sichtbar, woher die Textteile tatsächlich entnommen wurden.“

[+++] Neben der Causa Schavan wird noch eine andere größere medienbetriebliche Debatte der letzten Tage weitergedreht: die neoparadiesische Busengrapschskandal (siehe unter anderem dieses Altpapier). Der Tagesspiegel macht eine Beschwerde der Autorin Antje Schrupp und anderen beim ZDF-Fernsehrat zum Thema. Katrin Schuster (Vocer) ist aufgefallen, dass es den Macherinnen des Druckerzeugnisses Glamour überhaupt nicht aufgefallen zu sein scheint, „dass sich Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf vor knapp zwei Wochen ziemlich - um's mal vorsichtig zu formulieren - daneben benommen haben“.

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Schuster erinnert auf diese Weise noch einmal daran, dass Frauenzeitschriften frauenfeindlich sind. Weshalb man, wie Schuster, natürlich besser von „sogenannten Frauenzeitschriften“ reden sollte. Was die Autorin

außerdem wundert: dass alle nun so überrascht scheinen ob des Zynismus der Sendung ‚neoParadise‘. Als habe sich der sogenannte Witz von Joko und Klaas nicht immer schon auf die billige Seite derjenigen geschlagen, die gegen die Windmühlen der von ihnen selbst erfundenen ‚politischen Korrektheit‘ kämpfen.“

Einen ähnlichen Ansatz, die Causa Joko & Klaas in einen größeren medialen Kontext einzuordnen, verfolgte kürzlich auch der Blog Shehadistan.

[+++] Ein nicht ganz unwesentliches Motiv in den Nachrufen auf Wolfgang Menge ist die natürlich nicht völlig unberechtigte Klage darüber, dass das Fernsehen mal besser war als es derzeit ist. Michael Hanfeld schreibt auf der FAZ-Medienseite:

„Seine ehemaligen Mitstreiter, einstige und amtierende Intendanten, rühmen, er habe Maßstäbe gesetzt. Doch sollten sie sich auch fragen, warum wir von der Art Fernsehen, das Menge prägte, heute kaum noch etwas sehen.“

Silke Burmester schreibt in der taz über den Mann, der „Ekel Alfred“ und „Motzki“ schuf, die Talkshow „III nach 9“ prägte, als öffentlich-rechtliche Talkshowmoderatoren noch nicht die Deppen der Medienbetriebs waren, und zuletzt, wie es in einem FAZ-Porträt von 2008 hieß, „kaum noch Fernsehen guckte“:

„Er (war) ein gesellschaftlicher Seismograf, und nach heutiger Vorstellung sogar mutig. Und das ist es vielleicht, was neben der großen Achtung, die einem im Zusammenhang mit seinem Tod wieder bewusst wird, am meisten bewegt: Einer wie Wolfgang Menge hätte heute, wo in den Öffentlich-Rechtlichen die Angst das Programm macht, kaum eine Chance.

Im Tagesspiegel  betont Harald Martenstein, Menges Einfluss reiche über das Fernsehen hinaus:

„Der Drehbuchautor Wolfgang Menge ist, es klingt immer noch ein bisschen überraschend, wenn man es ausspricht, tatsächlich einer der in Deutschland einflussreichsten Künstler der letzten Jahrzehnte gewesen, einer, der den Zeitgeist der 70er und 80er Jahre mitprägte.“

Regine Sylvester ergänzt in der Berliner Zeitung:

„Er konnte (...) auf vielen Hochzeiten tanzen: ein Theaterstück, ein Roman, vier Krimis, acht ‚Tatorte‘, 22 Folgen ‚Stahlnetz‘, zehn Kinofilme, zwei Bücher über chinesische Küche, ein Ratgeber, ‚Der verkaufte Käufer‘ über Manipulation in der Konsumgesellschaft.

Uwe Kammann, Direktor des Grimme-Instituts, verwendet in seinem Nachruf eine etwas aus der Mode gekommenen Redewendung:

„Menge (...) warf nie in platter Manier mit der Wurst nach dem Schinken.“

Willi Winkler formuliert da in der SZ wesentlich knackiger und bezeichnet den Verstorbenen als „besten Schüler Bert Brechts“. Aus der Jüdischen Allgemeinen erfahren wir zu Menge schließlich noch Überraschendes:

„Dass der (...) Erfolgsautor jüdische Wurzeln hatte, war in der bundesdeutschen Öffentlichkeit so gut wie nicht bekannt. Menge selbst verdrängte das Thema: ‚Ich weiß keinen Anlass, bei dem ich es hätte sagen sollen. Man sagt doch auch nicht, ich bin Katholik.‘

[+++] Noch nicht tot ist die Print-Ausgabe des Magazins Newsweek, doch das Sterbedatum ist schon bekannt: der 31. Dezember. Aber mit digitalem Paid Content soll es weitergehen. Die Mail mit dieser Nachricht, die die Chefredakteurin Tina Brown an die Belegeschaft verschickte, ist im Tumblr-Blog von Newsweek zu finden. Außerdem äußern sich unter anderem das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik, die New York Times in ihrem Mediadecoder-Blog, Poynter und The AtlanticJörg Häntzschel zeigt sich in der SZ (Seite 35) von Browns Worte „Wir verwandeln Newsweek nur, wir sagen nicht Good-Bye“ wenig überzeugt: „Was soll sie schon sagen?“ Häntzschel kritisiert zudem:

„Die 1933 gegründete Newsweek, das zeigt die vergleichsweise gute Verfassung des Konkurrenzblatts Time, scheiterte auch an sich selbst.“

Ausführlich zu diesem Aspekt äußert sich der Journalismus-Professor Dan Kennedy in seinem Blog Media Nation:

„I’m sure you’ll be reading and hearing a lot about how newsweeklies like Newsweek have been left behind by the Internet and a changing culture. But I think that’s demonstrably untrue. Years ago, there were three big newsweeklies: Time, Newsweek and U.S. News & World Report. There still are, only now the competitors to Time are The Economist and The Week. No, there’s no longer a place for three general-interest newsweeklies doing exactly the same thing. But The Economist and The Week succeed by serving different niches and different audiences.“

Speziell in den Kommentaren zu Kennedys Beitrag wird deutlich, dass die Entwicklung bei Newsweek wohl auch einiges mit der Unfähigkeit Tina Browns zu tun hat.

[+++] Sehr instruktiv - gern genommene Formulierung in dieser Kolumne, falls das noch niemandem aufgefallen sein sollte - ist das Interview, das der Tagesspiegel mit der Reporterin und Buchautorin Charlotte Wiedemann über eurozentrischen Journalismus und dessen „Hautfarbe“ geführt hat:

„Frau Wiedemann, wir haben im Zeitalter der elektronischen Medien unendlich viele Möglichkeiten, uns zu jeder Zeit über das Geschehen am anderen Ende der Welt zu informieren? Wissen wir heute mehr über die Welt als früher?“

„Ich vergleiche den Auslandsjournalismus mit dem Städtetourismus: Zwar kann man heute so billig wie nie zuvor in alle europäischen Hauptstädte reisen, aber dort steht man dann vor den gleichen Bekleidungs- und Coffeeshop-Ketten wie zu Hause. Ebenso übersehen wir, dass wir über die vielen Informationskanäle nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Weltgeschehen serviert bekommen und der Blickwinkel sehr oft derselbe ist. Zusätzlich wird diesen Info-Schnipseln eine Eindeutigkeit verliehen, die das Geschehen meist gar nicht hat. Wir müssen wieder lernen, Mehrdeutigkeit und Unübersichtlichkeit zu ertragen.“

+++ Gut anschlussfähig ist da eine etwas altväterlich fromulierte, aber nicht unsymapthische Passage aus einer von universal-code.de dokumentierten Rede des früheren „heute-journal“-Leiters Wolf von Lojewski:

„Wir leben nun einmal in einer Zeit der schnellen, einfachen Antworten. Alles Komplizierte hat es schwer. Platon hatte gut reden, als er seinen Schülern dozierte: Du kannst nicht denken, wenn Du es eilig hast! Er hatte die Gnade einer viel, viel früheren Geburt. Heute ist es nicht nur schwer, allzeit die Wahrheit aufzuspüren und zu belegen. Es ist auch schwer für komplizierte Wahrheiten, das große Publikum zu finden.“


ALTPAPIERKORB

+++ Keine schlechten Kontakte zur Polizei in Thüringen haben offenbar die MDR-Journalisten Ludwig Kendzia und Axel Hemmerling, ersterer ist sogar mit einem Polizisten bei Facebook befreundet. Diesem Beamten wird nun „die Verletzung von Dienstgeheimnissen vorgeworfen, ein Delikt, auf das bis zu einem Jahr Haft oder Geldstrafe steht“, wie Christian Rath in der taz berichtet. Es habe „bei der Thüringer Polizei seit 2009 mindestens acht Fälle von Geheimnisverrat an Medien“ gegeben, „sechs Mal war dabei Kendzia involviert, zwei Mal Hemmerling.“

+++ Wer nur etwas vom Netz versteht, versteht auch davon nichts - das steht oben schon, aber wenn in einem Netzwertig-Artikel darüber, dass Twitter den Account einer in Niedersachse verbotenen Nazi-Organisation blockiert hat (siehe auch taz, The Atlantic Wire), allzu oft der Begriff Zensur auftaucht, muss es halt an dieser Stelle noch einmal stehen.

+++ Die Frage, ob FAZ-Herausgeber Berthold Kohler einen Kommentar zur Asylpolitik bei einer nicht verbotenen braunen Organisation „abgeschrieben“ habe, wirft ein faz.net-Leser auf. In Kohlers findet man tatsächlich das Klischeetextbausteinprogramm; „sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge“, „Überflutung“ undsoweiter (via @ring2).

+++ meedia.demeldet, dass die dapd-Holding jetzt HQTA heißt, und der AFP-Geschäftsführer Clemens Wortmann weist (bei Twitter) darauf hin, und im hier kurz erwähnten Anwesen des dapd-Investors Peter Löw eine Stelle frei ist.

+++ Was mich an der u.a. von meedia.de überbrachten Nachricht, dass der bisher fünffache G+J-Chefredakteur Stephan Schäfer künftig nur noch zweifacher Chefredakteur ist, dafür aber bei zwei Titeln, bei denen er nun nicht mehr Chefredakteur ist, Herausgeber wird, und nicht zuletzt täglich von 9 bis 12.45 Uhr als Geschäftsführer einer ganzen Verlagsgruppe malocht, vor allem stört, ist, dass sie so öde ist, dass mir dazu nichts Witziges einfällt.

+++ Das Magazin New Statesman hat von seiner aktuellen Ausgabe eine PDF-Version in Mandarin produziert und will damit chinesische Zensoren austricksen. Einer der größten deutschen Mediendarlings, der Kunstschaffende Ai Wei Wei, ist als Gastredakteur mit von der Partie.

+++ Die New York Times expandiert 2013 nach Brasilien, berichtet das Nieman Journalism Lab.

+++ Das Grimme-Institut wird neu ausgerichtet - und bekommt mehr Geld, schreibt die Funkkorrespondenz. Die rot-grüne Regierung in NRW wolle „ihre finanzielle Unterstützung für das Institut deutlich ausbauen. Von zuletzt 500 000 Euro (2011) soll der Betrag auf 2 Mio Euro im Jahr 2013 steigen. (...) Wenn das Land künftig einen Millionenbetrag an Grimme überweist, dann wächst zwangsläufig die Abhängigkeit des Instituts vom Land und dessen Geldern.“

+++ „Dem Wunsch aus der Politik nach einem Jugendkanal im Fernsehen wollen ARD und ZDF gern gemeinsam nachkommen“, vermeldet die FAZ von einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie Tutzing, wo die Intendanten Ulrich Wilhelm (BR) und Thomas Bellut (ZDF) auf dem Podium hockten. Etwas andere Vorstellungen hat wohl, falls wir diese Pressemitteilung nicht falsch verstehen, der ARD-Programmbeirat, der sich gerade dafür ausgesprochen hat, „die programmliche Kompetenz der ARD-Digitalkanäle EinsPlus und einsfestival zu konzentrieren, um ein attraktives und innovatives Jugendprogramm auszubauen“.

+++ „Im Erdinger Moos bekommen Schulversager eine letzte Chance, doch noch einen Abschluss zu schaffen“, und darüber läuft heute ein nach Ansicht Michael Bitalas (SZ, Seite 35) sehr guter Dokumentarfilm. Den „versteckt“ der Bayerische Rundfunk allerdings bei BR-alpha.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.

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