Wie man damit umgeht

Wie man damit umgeht

Ein trostloser Tag oder es warum es so schwer ist, sich gegen den dauerperformten Zynismus zu wappnen: Thomas Gottschalk, öffentlich-rechtliche Sportreporter, Bild, Lothar Matthäus.

Harald Staun hat in der FAS von gestern (Seite 31) die verdienstvolle Aufgabe übernommen, den geballten Unsinn zu protokollieren, den öffentlich-rechtliche Sportreporter Angestellte in den Mixed-Zonen der Fußballeuropameisterschaft als Fragen formulieren.

Mit dabei ist naturgemäß der Dietmar-Teige-Klassiker nach dem letzten deutschen Gruppenspiel:

"Die deutsche Mannschaft ist jetzt in der Favoritenrolle. Wie gehen sie damit um?"

Die Unterzeile der Transkribtion –

"Warum sollten Fußballreporter gute Fragen stellen, wenn sie doch nur dumme Antworten bekommen? Das Protokoll einer Kapitulation"

– lässt zwar offen, wie Staun die Henne-Ei-Frage angesichts der Werbewand beantworten würde: Ob Fußballspieler nach Spielen tatsächlich nur Plattitüden äußern beziehungsweise das Spiel nacherzählen (und sie deshalb keine "guten Fragen" verdient haben). Oder ob die Fragen einfach so dämlich sind, dass darauf irgendwie wie sinnvoll zu antworten, unmöglich ist.

Auch wenn man den Glauben nicht aufgeben möchte, dass es Fragen geben könnte, die so interessant wären, dass Fußballspieler nach Spielen darauf nicht mit den Standards des Medientrainings reagieren würden (beim Dänemark-Spiel etwa die nach der Intention von Özils Pass, der für Klose zu ungenau ist und den Bender erläuft).

Was für den Zuschauer bleibt, ist so oder so Medienverdrossenheit: Ein faszinierender Gegenstand wie die Fußball-EM wird heruntergehurt auf ein Drumherumrauschen, das andauernd belanglos-selbstausgedachte "Geschichten" erzählen will und sich gegen Kritik mit der Ausrede "Unterhaltung" schützt.

Immerhin wundert man sich angesichts des FAS-Fragen-Katalogs, wie weit das Meinen und Sagen auseinanderklaffen müssen bei Menschen wie Dietmar Teige. Glaubt der wirklich, dass das, was er da macht, etwas mit Journalismus zu tun haben könnte? Oder ist einem das, was irgendwann mal Interesse für einen Beruf motiviert haben könnte, ab dem Moment egal, in dem man die Nase ist, die einem verschwitzten Sami Khedira exklusivst das Mikrofon hinhalten darf?

In dem Zynismus, den es braucht, um die Lücke zwischen Meinen und Sagen zu überbrücken, übt sich seit je Waldemar Hartmann, dessen "Club" ein weiteres Beispiel für die Verzweiflung des sehenden Zuschauers ist.

Lucas Vogelsang hat "Waldi" für den Tagesspiegel portraitiert. Waldi?

"Eine dieser Säue, die die Rampe brauchen, das Bad in der Menge. Und er fährt gut damit. Auch wenn er, hinten dann im Backstagebereich, das Waldi-Lächeln wieder etwas schwächer, zugibt, dass er sich Fußball viel lieber ganz alleine anschaut. Für sich. Das Griechenland-Spiel etwa hat er im Hotelzimmer verfolgt. Nur er und der Fernseher."

Leider kann man nicht sicher sein, ob die Form des nachdenklich, ellipsenlastigen Textes, der versucht, den ernsten Menschen hinter "Waldi" zu beschreiben, nicht die falsche Geschichte erzählt – nämlich die von einem nachdenklichen, sportinteressierten Menschen, der das alles nur macht, weil es "Unterhaltung" ist und "die Leut'" das wollen. Die interessantere Frage wäre doch, wenn das mit der Nachdenklichkeit stimmte, was in Waldemar Hartmann gefällt, etwas zu machen, was er selbst spielen muss?

[+++] Damit wären wir beim Grundwiderspruch von Springers heißem Blatt. Die Massen-Verteilaktion vom Wochenende ("Frei-Bild für alle") ist offenbar bewältigt worden ist. Die verteilte Ausgabe hat mit einer Zeitung nichts zu tun.

Christian Meier schreibt auf Meedia.de von einer "Werbeausgabe in eigener Sache":

"Der Ansatz der Frei-Bild ist ähnlich wie bei der XXL-Bild aus dem vergangenen Jahr, die Botschaften lauten: 1. Bild legt sich mit den Mächtigen an, 2. Bild kämpft für seine Leser, 3. Bild ist Deutschland."

Joachim Huber kommt im Tagesspiegel zu einem ähnlichen Schluss:

"'Frei-Bild für alle' war erkennbar gedacht als Werbeaktion."

Womöglich ein Ausweg aus der Krise angesichts sinkender Auflage: Springers heißes Blatt wird zum kostenlosen Anzeigenblättchen, das sich durch die Werbung finanziert und mit der Wirklichkeit selbst in Form von berichtenswerten Ereignissen (Fußballergebnisse) nichts mehr zu tun haben muss.

Die Kampagne gegen die Kostenlosverteilung ("Alle gegen Bild"), bei der Empfänger sich zur logistischen Erschwerung des Vorhabens im vorhinein eine Zustellung abgelehnt hatten (und stattdessen einen roten Umschlag mit einer verschwurbelten Nacherzählung der eigenen Abbestellung bekamen, was wohl vor allem den Sinn hatte, die logistischen Löcher zu markieren), ist's zufrieden:

"Unsere Kampagne war aufregend, erfolgreich und mit knapp einer Viertelmillion Absagen auch weitreichender als wir zu Beginn gedacht hätten."

Auch wenn die Demonstration vor dem Springer-Gebäude sich laut Meedia.de die Häme von Chefredakteur Kay Diekmann gefallen lassen musste und das Stinkefinger-Monument bei Ebay für gerade 20,53 Euro wegging.

So sehr man die Aktion schätzen mag, macht sie wie die irgendwie immergleichen Artikel zum 60. Geburtstag von Springers heißem Blatt deutlich, dass es an einer triftigen Kritik derzeit mangelt. Es fehlt in Zeiten der Boulevardisierung von seriösen Zeitungen und Dieckmann'scher Selbstironie an einem Narrativ, um sich Springers dooftuende Selbstinszenierungen vom Leibe zu halten.

Stefan Niggemeier postet in seinem Blog bezeichnenderweise einen Beitrag von vor zehn Jahren. Tom Schimmeck arbeitet sich in der SZ vom Samstag an den Standards der kritischen Erzählung ab.

"Bild steht längst nicht mehr allein, sondern speist einen Strom, in dem jetzt viele schwimmen. Das Geschäftsmodell Gefühl, das Wellenschlagen ist ein Breitensport."

Und der Tagesspiegel versammelt putzige Erinnerungen von Figuren wie Hans-Herrmann Tiedje oder Sebastian Krumbiegel, unter denen die kalkulierte Milde von Renate Künast genau jene Angst vor Springers angeblicher Macht beschreibt (die Klaus Staeck geißelt). Künast:

"Die Zeitung selbst glaubt zu wissen, was das Volk denkt, die 'Bild'-Gegner glauben, 'Bild' sei das Böse schlechthin, und die Leserinnen und Leser glauben höchstens die Hälfte von dem, was man so lesen kann. Deshalb sage ich immer die ganze Wahrheit, damit mindestens die Hälfte übrig bleibt."

Vielleicht stimmt das ja sogar. Dennoch beschleicht einen das Gefühl, dass Sätze wie -

"'Bild' wird es auch in Zukunft geben. Wir werden die Zeitung lesen, wir werden uns ärgern, wir werden uns amüsieren"

– nur die Vorstufe zur pseudowiderborstigen Lobhudelei a la Gerhard Schröder in der Frei-Bild sind, der aktiven Kollegen und allen anderen erklärt, dass man seinen "Frieden" mit dem Blatt machen müsse.

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[+++] Großthema des Tages ist aber die schon Freitag vermeldete Zusammenführung der beiden Springer-Lakaien Dieter Bohlen und Thomas Gottschalk (plus Michelle Hunziker) bei RTLs "Supertalent".

Wenn man nur die Hälfte von dem wohlerzogenen Schmonzes (Religion, Kultur), den Gottschalk bei passenden Gelegenheiten (Spiegel-Interview, Fernsehpreis-Desaster) waldemarhartmannnachdenklich erzählt, könnte man jetzt überrascht sein, dass der gute Thommy so was Mieses macht. Das Bild dafür ist "Sprung über den eigenen Schatten", von dem Michael Hanfeld in der FAZ (Seite 31) schreibt:

"Denn Gottschalk springt über seinen Schatten: Bislang verstand er sich als dezidiert öffentlich-rechtlicher Unterhalter, der bestimmte Sachen nicht macht. Das ist sein Credo seit den Tagen, in denen er im Radio des Bayerischen Rundfunks über die Stränge schlagen durfte."

Etwas nüchterner ließe sich mit Stefan Niggemeier im Spiegel (Seite 83) aber feststellen:

"Der Schatten war bestenfalls noch eine kaum sichtbare Schattierung, die mit einem winzigen Schritt zu nehmen war... Vielleicht schmeichelt man Thomas Gottschalk, wenn man in diesem Wechsel einen Abstieg sieht. Der Abstieg hat längst stattgefunden."

Auch Klaudia Wick gibt sich in der Berliner keinen Illusionen hin:

"Um wieder sein Bad in der (Quoten)-Menge nehmen zu können, wird Gottschalk etliches auf sich nehmen. Er wird nicht mehr der Frontmann sein, sondern der Sidekick. Er wird nicht mehr das Tempo seiner Show bestimmen können, sondern Teil einer Inszenierung sein, die auf Dieter Bohlen zugeschnitten ist. Es ist also das 'Comeback um jeden Preis', das nicht glücken kann."

Christopher Keil schreibt in der SZ vom Samstag:

"Für Gottschalk, der lange genug bei ZDF und ARD war in seinem Leben, ist das ein ziemlich waghalsiges Engagement. Aber viele Alternativen hatte er nicht, genau genommen nur eine: aufzuhören."

Und spätestens da fragt man sich, was an diesem Aufhören eigentlich so schlimm sein muss, dass jemand, der, weil er jahrelang in der "Wetten, dass..?"-Dekoration erfolgreich rumstand, es doch zu einem gewissen Ansehen gebracht hatte, für ein bisschen Aufmerksamkeit durch alles tingelt, wo noch ein Platz vor der Kamera frei ist.

Aber irgendwie berührt einen bei Thomas Gottschalk nicht einmal mehr die Trostlosigkeit, die in dieser verzweifelten Suche nach Wahrgenommenwerden steckt.


ALTPAPIER

+++ Vielleicht geht das Werner Bartens ja dereinst anders, wenn Gottschalk erst in seiner eigenen Doku-Soap auf Vox angekommen ist. Im Fall von Lothar Matthäus kann der SZ-Kritiker (Ausgabe vom Samstag, Seite 23) sich jedenfalls noch immer an den großen Fußballspieler erinnern, der Matthäus einmal war: "Wenn er selbst nicht merkt, wie er durch den Kakao gezogen wird, sollten Menschen, die sich als seine Berater bezeichnen, ihn davon abhalten, bei so etwas mitzumachen." +++ Torsten Wahl bezweifelt in der Berliner nach dem Schauen von "Lothar – Immer am Ball", dass es so was wie Berater überhaupt gibt: "Leider hat der ehemalige Weltfußballer Matthäus keinen Berater, der ihn vor solchen Torheiten bewahrt. Er rennt mit vollem Tempo in die Abseitsfalle des Trash-TV, wo seine Aussetzer noch süffisant kommentiert und seziert werden. Sein Manager Wim Vogel dagegen tut so, als wäre Lothar Matthäus, der seit fast einem Jahr keine Mannschaft mehr trainiert, noch schwer im Trainer-Rennen." +++ Thomas Gehringer leidet im Tagesspiegel ebenfalls: "Und das ist das Ärgerlichste an dieser Promi-Trash-Inszenierung: Der Missbrauch des Begriffs 'Doku'." +++ Erstaunlicherweise gibt es, wie Martin Weber vom KSTA, tatsächlich immer noch Menschen, die sich an der Billigkeit solcher Vorführungen erfreuen können: "Das ist hart, unfair, dennoch gerecht und trotzdem unnötig: Denn dass mit dem Vorführen übernimmt Lothar Matthäus, obgleich erfahren im Umgang mit Medien, schon selbst." Wie etwas unfair und dennoch gerecht sein kann, würden wir bei Gelegenheit dann vielleicht doch gern noch erfahren. +++

+++ Über die Lage auf dem italienischen Zeitungsmarkt, der von geringer werdenden staatliche Subventionen abhängig ist, schreibt Henning Klüver in der SZ (Seite 15). +++ Die TAZ bespricht eine Dokumentation ("Weil ich länger lebe als du", 22.45 Uhr, ARD), in der engagierte Kinder vorgestellt werden – was wohl auch der Anlass für einen Text von zwei Welt-Autoren namens Maxeiner und Mirsch war, mit deren Behauptungen sich Stefan Niggemeier in seinem Blog herumschlägt. +++

+++ Und dann hat der Druckteufel, wie man früher sagte, zugeschlagen: Am Freitag hieß es hier über eine FK-Kritik von Harald Keller zu dem Film "Satten Farben vor Schwarz" – "Eine Szene interpretiere die Regisseurin 'so emphatisch, als sei sie selbst beteiligt'." Richtig lautete es in Kellers Text freilich: "so empathisch, als sei sie beteiligt." +++

Neues Altpapier gibt's morgen gegen 9 Uhr.

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