Dankesredenkritik: Mariette Slomka wünscht sich nach der Verleihung eines Preises für "Sprachkultur" Politiker, die "Klardeutsch" reden. Was Horst Seehofer auf Anregung Claus Klebers umgehend tut. Weshalb das ZDF jetzt mit dem allerdicksten Scoop der Gesichte aufwarten kann. Ein Elend
In der FAZ (Seite 29) steht heute die Dankesrede von Marietta Slomka für die Verleihung des "Medienpreis für Sprachkultur" der Gesellschaft für deutsche Sprache. Die Verleihung fand schon am 5. Mai statt, man muss also davon ausgehen, dass die Festrede nicht zu denen gehörte, von denen sich die FAZ einen Gehalt erwartet hätte, der über die Zwecke hinausgeht, für die Festreden verfasst werden.
Die Erklärung für den Abdruck liefert das Seehofer-Interview, das Slomkas Kollege Claus Kleber am Wahlabend geführt hatte. Und in dem Seehofer, Sueddeutsche.de und Welt-Online berichten, im Nachgespräch, bei dem der Interviewgast warten auf das Okay der Technik warten muss, irgendwie deutlicher wird als im eigentlichen Interview.
Kleber hatte sich von Seehofer mit Hinweis auf eine Passage in Slomkas Rede, in der es um die ungeschützteren Nachgespräche geht, grünes Licht von Seehofer geben lassen ("Das können Sie alles senden"), das Überbrückungsplaudern ebenfalls öffentlich machen zu dürfen. Diese Eigendynamik – Slomka äußert Kritik, der Seehofer sich stellt, könnte man auch Diskurs nennen – hat mit der Sache zu tun, weil sie – zwangsläufig? – als öde Cross-Promotion ihrer selbst endet.
Wenn man sich Slomkas Rede anschaut, dann kann man zum einen Zweifel haben, ob die ZDF-Moderatorin wirklich eine verdiente Preisträgerin ist, wo "Sprachkultur" ausgezeichnet werden soll.
"Aber es ist schon so, dass die Medien sich auf jeden Satz, jedes Wort stürzen, das aus der glattgefeilten Allgemein-Soße heraussticht."
Sprachliche Bilder? Don't try this at home! Ehe wir uns jetzt den Kopf darüber zerbrechen, wie man Soße glattfeilt oder wie Wörter da herausstechen können, verordnen wir eine Pflichtwoche Eurosport-Gucken mit Dirk Thiele. Auch wenn das in unserer total egalitären Zeit etwas snobistisch rüberkommen mag – Leute, die Wörter wie "Klardeutsch" benutzen, sollte man nicht in einem Atemzug mit "Sprachkultur" nennen.
Zum anderen ist die Rede von auffallender Durchschnittlichkeit, was erklärt, warum die FAZ ohne das Seehofer-Interview nicht auf den Gedanken gekommen wäre, sie abzudrucken. Politiker benutzen öffentlich also "diese anti-emotionale, selbstdistanzierte und substantivistische Gremiensprache". Und das ist irgendwie nicht schön. Echt?
Natürlich spricht Slomka ein Problem an. Aber wenn sie damit etwas anderes bezwecken wollte als gähnendes Nicken, dann müsste der – Dirk Thiele, grüß' mir die Sonne! – Helikopter, der Slomkas Reflektionsfähigkeit sein soll, vielleicht etwas weiter vom Boden abheben als eine Handbreit.
"Wenn wir davon ausgehen, dass Glaubwürdigkeit die wichtigste Währung jedes Politikers ist, dann, finde ich, trauen sich Politiker zu selten, Emotionen zu formulieren. Beispiel Angela Merkel. Typisches Zitat von ihr: „Die Wiedervereinigung ist gelingbar und gelungen.“ Da wünscht man sich fast Helmut Kohls blühende Landschaften zurück! Was ja eigentlich eine sehr schöne Formulierung war, sehr plakativ, fast poetisch. Das Problem war nur: Sie kam von Kohl."
Dann nämlich würde vielleicht der Gedanke in Betracht kommen, dass es der Gremiensprache nicht am Emotionalen mangelt. Zumindest wenn man Politik als nüchternes, ernsthaftes Tool zur Organisation eines gesellschaftlichen Lebens begreift. Und dann würde das Problem des Bilds von den "blühenden Landschaften" womöglich auch nicht darin bestehen, dass es von Helmut Kohl stammt (weil der "uncool" ist?), sondern dass es sich dabei um Sedativum in einem Prozess handelte, der so einfach eventuell nicht zu beschreiben ist.
Beschränkt ist Slomka da, wo sie das, was sie fordert, gleich wieder einzäunt in das überschaubare Gehege ihrer professionellen Selbstdressur.
"Am anderen Ende der Skala liegt das, was ich als Pseudo-Authentizität bezeichnen würde. Wenn sich ein Politiker überlegt: Jetzt bin ich aber mal so richtig schön volksnah. Jetzt gebe ich dem Affen aber mal Zucker! Das geht dann gerne furchtbar schief. Etwa wenn Sigmar Gabriel im Dezember 2010 den Truppenbesuch des damaligen Verteidigungsministers zu Guttenberg nebst Gattin in Afghanistan kommentierte und sagte: "'Ich finde, da fehlt nur noch Daniela Katzenberger. Dann hätten auch die Soldaten etwas davon.'"
Wenn man über die Bedingungen eines möglichst umstandslosen Sprechens nachdenkt, dann müsste der Fall des Scheiterns, Übertretens doch einkalkuliert sein. Man muss Gabriels Bemerkung ja nicht mögen – wobei sie durchaus Witz hat, Geschichtsbewusstsein (siehe "Apokalypse Now Redux") und außerdem lesbar ist als Kritik an der Guttenberg-Kerner-Kaffeefahrt in den Krieg, die eben der Unterhaltung diente, für die die "Katze" in viel offensiverer Weise steht –, aber dann wiederum anzukommen und zu behaupten, das kann man doch so nicht sagen, ist "oberpeinlich und unsportlich" (Helmut Markwort).
Dabei machte gerade Gabriels jüngere Twitter-Performance Hoffnung auf dem Feld, auf dem Slomka sich klagend bewegt. Nicht weil der SPD-Chef dort nur rumbolzt, sondern weil er interagiert und seine Äußerungen erklärt und verteidigt. Einstecken kann nur, wer keine Angst hat davor auszuteilen.
Die eigene Verwicklung ins Janze streift Slomka nur kurz. Nach dem angedeuteten Bewusstsein dafür, mit dem Politikerreden schon irgendwas zu tun haben (die Allgemein-Soße), wird sofort zum Rückzug ins Küchenphilosophische geblasen:
"Andererseits ist das auch ein bisschen wie bei der Frage nach dem Huhn und dem Ei: Was war zuerst da? Reden Politiker deshalb so vorsichtig, oder ist es umgekehrt? Weil es so wenig authentische Sprache gibt, wird alles, was nach Klardeutsch klingt, quasi zur Sensation?"
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Bei der Frage, welchen Anteil Medien daran haben, dass Politiker zumeist reden, wie sie reden, ginge es freilich nicht um so etwas Einfaches wie Schuld oder so was Oberflächliches wie Personen. Marietta Slomka käme da gar nicht vor, insofern sie, wie die Rede anschaulich macht, gedanklich nicht über den Aktionsradius ihrer Rolle im System hinauskommt.
Es ginge um die Bedingungen, unter denen Medien arbeiten, ihre Ökonomie, die besser nicht dargestellt werden kann als in dem "Kommentar" von Ulrich Berls, der passenderweise gleich unter dem Video mit dem – hottest shit – Seehofer-Gespräch steht.
"Seehofer schenkt Röttgen einen ein"
Genau! Da mosert man an Politikern rum, die nichts sagen, um dann das, was sie sagen, immer nur auf kindergartenhafte, persönliche Animositäten herunterzubrechen: Horsti disst Nobsi! Uff jeden. Volle Kanne, Susanne.
Mit Politik und Interesse am Diskurs hat das alles nichts zu tun. Wie man auch schon bei Klebers Anmoderation sieht, in der er, mit Verlaub, in widerlicher Weise die CDU-Äußerungen zur verlorenen Wahl in NRW beschreibt.
"Sie singen alle dasselbe Lied, es war eine schlimme Niederlage, wirklich furchtbar, aber, gottlob, nur eine Landtagswahl."
Ja, lieber Herr Kleber, die Landtagswahl in NRW war tatsächlich "nur" eine Landtagswahl, auch wenn Ihr limitierter Alarmismus da am liebsten im Kanzleramt einmarschieren würde, um Köpfe rollen zu sehen und Neuwahlen zu verordnen.
Wenn man so was sieht, dann liegt die Binse nicht fern, dass die Politik es solchen Medienvertretern nie wird recht machen können. Irgendwas ist immer. Und das ist leider das Ermüdende an dem Rauschen, das sich für kritisch, aufklärerisch oder sonstwas hält.
Solange "die Medien" derart kurzatmig ihren eigenen Sensationen hinterhecheln, solange bleibt uns nur Dirk Thiele:
"Hinten ist die Ente fett"
+++ Ein anderer Aufreger ist das Urheberrecht. Oder besser das, wofür es herhalten muss. Die FAZ-Netzwirtschaft (Seite 12) geht unter der schönen Überschrift "Fakten würden helfen" auf die Erregtheit der Debatte ein: "'Ich bin mir sicher, dass wir bald den Höhepunkt der polemischen Debatte erreicht haben', prophezeit sie [eine "Gamesrechtsexpertin" Ramak Molavi, AP] . 'Dann muss es einen klugen Gesetzesentwurf geben, der das Urheberrecht verständlicher regelt. Es kann und darf keine weiteren fünf Jahre dauern, bis sich die Situation verbessert, da sonst die Gerichte unter der Last der Filesharing-Fälle und der sonstigen Urheberrechtsfälle endgültig zusammenbrechen.'" +++ Frank Schirrmachers sonntäglicher Feuilletonaufmacher, der ebenfalls in Richtung Beruhigung argumentierte, ist noch nicht online. +++ Dafür schreibt die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff heute im FAZ-Feuilleton (Seite 25) noch einmal all das auf, was an Sven Regeners Äußerung schon wenig hilfreich war: "Der Vorwurf kommt von Leuten, die es im Netz unablässig mit einem Meer von Texten zu tun haben und nicht die leiseste Ahnung mehr davon haben, was es bedeutet, aus eigenem Können heraus einen Roman zu verfassen, eine Dichtung zu komponieren, gar etwas zustande zu bringen, was sich an der Qualität berühmter Vorläufer messen lässt." Irgendwann hat man einfach keine Lust mehr, auf solch unhinterfragtes Statusdenken noch anzuspringen. +++ Ähnliche Liga: die "Anonymous"-Attacke auf eben diese Künstler (FAZ). +++
+++ Sorgt auch noch für Beschäftigung: der Nannen-Bambi-Top-Eklat. Der Tagesspiegel sucht einen Nachrücker für den aus der Jury ausgetretenen Geo-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede. +++ Elke Heidenreich fordert im TAZ-Gespräch alle Chefredakteure zum Rückzug aus der Jury auf. +++ Und ebenfalls in der TAZ erklärt David Denk das Problem, das man mit der Auszeichnung der Bild-Zeitung haben kann. +++
+++ Sorgte für Überlastung: Das Täterraten beim Interaktiv-Tatort legte den Server lahm. Die Berliner mit der dpa-Meldung voller User-Reaktionen. +++ Katrin Schulze schreibt im Tagesspiegel zur Geschichte der Krimi-Interaktion und endet mit dem wertvollen Hinweis: "Vielleicht aber benötigt der 'Tatort' gar keine Experimente, sondern einfach nur mal wieder ein richtig gutes Drehbuch." +++
+++ Dirk Pilz stört sich in der Berliner am "Frustfoul" von Peter Sloterdijk an seinem Nachfolger RD Precht im letzten "Philosophischen Quartett". +++ Rudolf Walther ist in der TAZ nicht traurig über den Abgang: "Schlecker-Frauen werden über Nacht in die Hartz-IV-Welt geschickt, und der professorale Doppelverdiener Sloterdijk, der den Staatshaushalt von Steuern auf Spenden umstellen wollte, beklagt sich weinerlich, das ZDF hätte mit ihm nicht über 'gemeinsame Ausstiegsperspektiven' diskutiert." +++
+++ Außerdem: AP-Autor René Martens berichtet in der SZ (Seite 15) über die Irgendwie-Zentralisierung des Jugendmedienschutzes. +++ Peer Schader macht sich in der Berliner (noch nicht online) Gedanken über die merkwürdige Nachwuchspflege beim ZDF. +++ Und Klaus Ehringfeld schreibt im KSTA über getötete Journalisten im mexikanischen Drogenkrieg. +++
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