Es tut uns leid

Es tut uns leid

Heißt es aus China. Würde das Handelsblatt nie sagen. Korrigiert die FAZ. Muss Sigmar Gabriel auf Twitter nicht jedesmal zwitschern: Eingeständnis und Entschuldigung vor Dings-Vergleich, selbstbewusstem Auftritt und "Urheberrecht"

Eine bemerkenswerte Nachricht aus China schickt Mark Siemons in der FAZ (Seite 31).

"'In der Stille der Nacht nehmen wir die Maske der Unaufrichtigkeit ab und sagen zu unserem wahren Selbst: Es tut uns leid.'"

Schrieb die Pekinger Tageszeitung Xin Jing Bao auf dem chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo. Daneben stand das Bild

"des amerikanischen Magnum-Fotografen Bruce Davidson, auf dem ein kleinwüchsiger geschminkter Clown in desolater Umgebung an einer Zigarette zieht. Von dem Bild geht eine profunde Trostlosigkeit aus, die das Missverständnis erst gar nicht aufkommen lässt, die Zeitung sei in dieser Sache auf irgendetwas stolz, und sei es auf ihre eigene Demaskierung."

Zu verstehen, wie Siemons darlegt, ist die Entschuldigung als Einsicht darin, dass sich an der Person des blinden Anwalts Chen Guangcheng keine antichinesischen Umtriebe festmachen lassen, und als Zeichen dafür, dass die Redaktion ihre Würde gegen den Einfluss höherer Interessen (in China: der Partei) zu behaupten versucht.

[+++] Kann dieses Beispiel eines poetisch-selbstzerknirschten Eingeständnisses Schule machen auch in unseren Breiten? In der FAZ-Frühkritik zur Günther-Jauch-Sendung mit dem twitternden Piraten Ponader (siehe Altpapierkorb von gestern) hatte bekanntlich eine Anspielung auf einen Postkartenmaler aus Wien gestanden – die nun nicht mehr dort steht. Dafür gibt es am Ende des Textes von Frank Lübberding den Hinweis:

"Anmerkung der Redaktion: In unserer Frühkritik befand sich eine unangemessene historische Anspielung, die wir nun entfernt haben und bedauern. Wir entschuldigen uns bei Herrn Ponader."

Vorausgegangen waren Tweet-Wechsel auf Twitter. Daniel Schulz kann in der TAZ angesichts des ewigen Vergleichens (und mitunter eben auch Vergleiche-Zurücknehmens) eine gewisse Ermüdung nicht verhehlen. Eine Erklärung für die anhaltende Praxis von unsinnigen Bezügen wäre mangelndes Wissen um die Materie. Eine andere:

"Vielleicht trifft auch 'Godwins law' zu - ein Begriff aus der Internetkultur (Piraten!) -, laut dem die Wahrscheinlichkeit eines Nazi-Vergleichs wächst, je länger eine Diskussion dauert. Reden wir einfach zu viel?"

Was zu der hübschen, denkphysiologischen Synthese führt:

"Es mag aber auch sein, und das würde beide Möglichkeiten in geradezu kathartischer Weise zusammenführen, dass der Nazi-Vergleich Teil unseres mentalen, vegetativen Nervensystems geworden ist, welches das Gehirn nicht steuern kann. Wie ein Furz entweicht er uns, belastend und befreiend zugleich."

[+++] Von da jetzt eine Überleitung zu brandhotten Sigmar Gabriels Twitteraccount hinzukriegen, ohne dämliche Witze zu machen – forget it. Deshalb frei heraus: Siggi Pop bringt da durchaus eine interessante Farbe ins Spiel. Meedia.de zufolge

"ließ Gabriel erkennen, dass in seinem Twitter-Account noch durchaus mehr passiert, als Politiksprech. Der SPD-Chef ist sich etwa auch für handfeste Scharmützel mit Trollen nicht zu schade: 'Lieber dick als doof', kontert Gabriel cool eine abfällige Bemerkung eines Twitterers in Richtung der SPD-Generalsekretärin Nahles, 'ganz schlimm, wenn man beides ist: also passen Sie schön auf: bloß nicht zunehmen.'"

Egal, was man politisch oder auch persönlich von Gabriel halten will, zugutehalten muss man ihm, dass er keine Berührungsängste hat und sich so performt, wie er vermutlich auch ist. Oder in eigenen Worten:

"Ehrlich gesagt: ich mein es garnicht aggressiv. Ich will nur über Unsinn nicht hinweg schludern, nur im 'nett' zu wirken".

Geschludert wird in der Eile des Gefechts allenfalls beim Tippen: "hinwegschludern" kann man auch zusammenschreiben, "gar nicht" auseinander und "im" meint wohl "um". Geschenkt. Bezogen war die Selbstauskunft auf Gabriels DLF-Interview gestern (hier transkribiert) mit Silvia Engels, die eine etwas merkwürdige Vorstellung von parlamentarischen Gepflogenheiten entwickeln wollte:

"Engels: Aber mit Blick darauf, dass die stärkste Fraktion normalerweise in einem Landtag als erste das Angebot kriegt. Ob sie es annimmt, ist eine andere Frage.

Gabriel: Entschuldigung, das ist doch nicht wahr, was Sie gerade erzählen. Es gibt gar kein Angebot. Wir haben nämlich keinen Monarchen in Deutschland, der dann jemanden mit der Regierungsbildung beauftragt, so was gibt es nicht, sondern in Deutschland müssen die Parteien, die im Parlament sitzen, sich dann zusammentun und gucken, wer kann mit wem regieren. Und da ist es schlicht so, dass …

Engels: Ich sprach nicht von …

Gabriel: Doch, es gibt keinen Auftrag.

Engels: Es gab nicht den Auftrag, aber der Versuch liegt normalerweise bei der stärksten Fraktion.

Gabriel: Nein! - Nein! - Ich rate dazu: schauen Sie mal ins Geschichtsbuch der Bundesrepublik Deutschland, dann werden Sie feststellen, dass das nicht so ist.

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Dass Twittererin Annett Meiritz den Hinweis aufs Geschichtsbuch "überheblich" fand, ist ein Vorwurf, für den Gabriel wohl eher nicht um Entschuldigung zu bitten braucht; er geht an der Sache vorbei. Für alle Konversionstheoretiker muss Gabriels Twittern derweil als Verlängerung seiner Beliebtheit bei DLF-Interviews gelten (von denen er schon einige legendäre absolviert hat).

[+++] Grund zur Entschuldigung hätte derweil das Handelsblatt. Das fährt seine strange "Mein K@pf gehört mir"-Kampagne in Sachen "Urheberrecht" weiter – und zwar in Form von Artikeln, die für sich journalistische Kriterien wie Objektivität oder Information in Anspruch nehmen.

Heute darf Deutschlands Universal-Chef Frank Briegmann "aufs Urheberrecht pochen", in einem Text von Christoph Kapalschinski und Hans-Peter Siebenhaar, der auch aus dem Stehsatz der Stanzen hätte generiert werden können. Der Vorteil für den Journalismus aus dem Geist der Kampagne besteht unzweifelhaft darin, dass man gar nicht mehr argumentieren muss, sondern nur noch behaupten darf:

"Modelle, nach denen Internet-Nutzer Pauschalen ähnlich der GEZ-Gebühr zahlen, um Urheber zu entschädigen, lehnte er als nicht durchdacht ab: 'Eine Kultur-Flatrate ist eine Enteignung ohne geregelte Kompensation.' Zudem sei unklar, wie Milliarden-Summen auf die Künstler aufgeteilt werden sollten."

Man muss die Kulturflatrate nicht gut finden – aber würde man von den real existierenden Pauschalen des täglichen Lebens (Steuern, GEZ, Leermedienabgabe, etc.) als "Enteignung ohne geregelte Kompensation" sprechen?

Auch wenn man die Wirkmacht dieser Eigen-PR nicht unterschätzen sollte – für einen ernsthaften Diskurs über die Regelung des Urheberrechts in Zeiten der Digitalisierung taugt er nicht. Schon eher zum Themen-Bullshitbingo.


ALTPAPIERKORB

+++ Kriegt Bild den Henri-Nannen-Preis? Für Ulrike Simon bleibt in der Berliner die Frage, woran die versammelten Leitungsfiguren der Blätter, die Auszeichnungen kriegen die Jury die Auszeichnung misst: "an journalistischen Kriterien oder an der Außenwirkung einer Recherche". +++ Felix Dachsel stellt nach Lektüre der OBS-Studie zu Bild und Wulff in der TAZ desillusioniert fest: "Auch wenn die Zeitung den Preis am Freitag nicht bekommt, eines zeigt schon die Nominierung: wie anerkannt Bild inzwischen in der Branche ist." +++ Wo eine "Bild"-Kritik ansetzen könnte: Bela Anda zieht nach Jahren in Politik (Schröder-Regierung) und Wirtschaft (AWD) wieder ein, in der Chefredaktion ein. (TSP) +++

+++ "Sport, Mafia und Korruption" heißt eine Arte-Dokumentation prosaisch (heute 20.15 Uhr), die das Wettgeschäft etwa im Fußball recherchiert hat. "Die Straftaten im Fußball seien das Symptom einer 'tiefgreifenden Fehlfunktion dieses Wirtschaftszweigs', sagt Geheimdienstmann Gayraud. In Zeiten, in denen sich Fußballmanager für den nächsten Fernsehvertrag im Maximalformat feiern, sind es Sätze wie dieser, die Delpierres Film zu einem Glücksfall machen", lobt Christoph Becker in der FAZ (Seite 31). Sportjournalist Thomas Kistner ist in der SZ (Seite 15) etwas zurückhaltender: "Die Doku zeichnet ein beeindruckendes Bild. Trotzdem fehlen ihr entscheidende Aspekte. Zwar gibt es Ansätze in der Recherche, die Autoren sind auf richtigen Spuren." +++

+++ Die TAZ decodiert aufschlussreich die politischen Botschaften der ESC-Kandidaten. +++ Und informiert über das Schicksal des von der Farc verschleppten französischen Reporters Roméo Langlois in Kolumbien. +++ Der Tagesspiegel eruiert nach dem Eklat bei Jauch ("keine Ukraine") die Sicherheitspolitik in deutschen Talkshows. +++ SRG-Chef Roger de Weck spricht mit der NZZ über Finanzen und Internetauftritte von öffentlich-rechtlichen Sendern. +++ Die SZ schreibt über den juristischen Stand der Medienaufsichtswechselwünsche von Sat.1 (Seite 15). +++

Neues Altpapier gibt's morgen gegen 9 Uhr.

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