Geht vom Nutzer selbst aus. Probier's mal mit Selbstbezichtigung: Ariane Friedrich, Thomas Gottschalk, Springer@Wallraff. Außerdem droht die Phase der journalistischen Unabhängigkeit historisch zu werden.
"Die Welt der Medien dreht sich und wirkt so vielfältig wie nie."
Das ist nicht Paragraph 1 aus dem Statut unserer Selbstlegitimation, sondern der Auftaktsatz zu einem neuen FAZ-Blog namens "Medienwirtschaft". Das Schöne an den FAZ-Blogs ist ja diese Statistik hier, in der man durchaus eine Weile prokrastinieren und über Zusammenhang von Autor, Thema, Vielschreiberei und Kommentarfreude nachdenken kann. Unser Favorit: Digital/Pausen (Titel noch immer nicht völlig verstanden) von Hans-Ulbricht Gumbrecht, 55 Einträge, 0 Kommentare.
Jan Hausers Medienwirtschaft verzeichnet momentan 23 Einträge bei ebenfalls noch 0 Kommentaren. Was sich durch die Ankündigung nun vielleicht bald ändert. Oder durch heiße Eisen, die dort angepackt werden. In seiner Tour d'Horizon ("Wohin geht die Reise in der Welt der Medien?") streift Hauser auch dieses Thema:
"Auch versuchen sich Zeitungsverlage mit den öffentlich-rechtlichen Sendern auf eine Absprache zum Internetverhalten zu einigen – seit dem vergangenen Jahr und der Klage mehrerer Zeitungsverlage (darunter der Verlag dieser Zeitung) gegen die Tagesschau-App. Auch wenn sich beide Seiten weitgehend nahe gekommen sind, haben Verlagsmanager und Intendanten bislang noch nicht weißen Rauch zum Himmel steigen lassen."
Klingt zivilisiert und nachrichtlich, und mit dem Bild vom weißen Rauch (Kenner wissen: Papstwahl) bekommt die Lobbyarbeit so was Naturgesetzliches, wie es der Katholizismus durch Wahrung der Formen über Jahrhunderte ausgeprägt hat.
An solchen Stellen merkt, dass zu einem brauchbaren Begriff Transparenz heute doch irgendwie gehören sollte, die eigene Sprecherposition, da wo sie die eigenen Ängste und Interessen betrifft, doch möglichst nicht in den Kontext von Geistesgrößen und Großtraditionen stellen sollte. Wolfgang Michal hatte letzte Woche auf Carta dieses Problem am Beispiel des Kurbjuweit-"Essays" im Spiegel beschrieben.
[+++] Das Stichwort für den heutigen findet sich also auf dienstäglichen Netzwirtschaft-Seite der FAZ (Seite 12). Denn dort steht die unglaublich entwaffenende Überschrift:
"Die größte Gefahr ist der Nutzer selbst"
Im Text geht es um den bedenklosen Umgang mit Smartphones. John Hering, Gründer der Security-Firma Lookout, informiert über Gefahrenquellen:
"Es gibt eine Reihe von Kernproblemen, die damit zu tun haben, wie die Geräte verwendet werden. Mobile Anwendungen herunterzuladen und im Internet zu surfen sind die beiden hervorstechendsten."
Besser könnte Hering seine Dienste kaum bewerben – mobile Anwendungen nicht herunterzuladen und nicht im Internet zu surfen würde, als Schutzmaßnahme verstanden, die Idee des Smartphones irgendwie ad absurdum führen.
[+++] Was aber mit dem weisen Satz vom Nutzer selbst als größter Gefahr für ihn gemeint sein könnte, illustriert die Geschichte von Hochspringerin Ariana Friedrich. Die hatte sich sexuellen Belästigungen auf ihrer Facebook-Seite zur Wehr setzen wollen, indem sie den mutmaßlichen Absender der obszönen Nachricht öffentlich machte.
Jonas Rest schreibt in der Berliner:
"Auch wenn der Reflex von Friedrich, sich aktiv gegen die Belästigung wehren zu wollen, nachvollziehbar ist; es ist ein fatales Signal, dass sie diesem nachgibt – und ihr Vorgehen auch Tage später noch rechtfertigt. Damit wird Friedrich selbst zur Täterin."
Über diese Frage denken die meisten Texte zum Thema nach, wobei auch eine Rolle spielt, das Friedrich als Polizistin und damit Frau des Gesetzes hier eine hemdsärmelige Auffassung von den Instituten der Justiz offenbart.
Interessant ist aber der Umstand, auf den Bernd Graff in seinem Text in der SZ verweist, not to say – Wasser auf die Mühlen von John Hering. Es
"spricht indes einiges dafür, dass Ariane Friedrich noch nicht verstanden hat, dass ihre Facebook-Seite, die sonst Katzenbilder und Fotos von 'Kartoffelgratin Dauphinois aus dem Eberstädter Radieschen' enthält, tatsächlich öffentlich zugänglich ist und eben nicht nur von ihrem kleinen Kreis an unmittelbaren Facebook-Freunden eingesehen werden kann. Wirklich jeder kann und konnte da (Stand: Montagabend) mitschreiben und beliebige Bilder einstellen. Besäße die Sportlerin Medienkompetenz, hätte sie ihre Facebook-Einstellungen längst korrigiert."
[+++] Auch ein Fall für mangelnde Selbstbezichtigung: Springer hat mal wieder rausgefunden, dass Günter Wallraff bei der Stasi gewesen sein soll (siehe Altpapier von gestern). Weil "Stasi" aus Sicht von Springer funktioniert wie "Doping" hätte das den Vorteil, dass man Wallraff sämtliche Recherchen aberkennen könnte – also auch die als "Hans Esser" bei Bild.
In der FAZ (Seite 29) schildert Michael Hanfeld die Lage nüchtern:
"Wallraff hat sich vor Gericht mehrfach mit Erfolg gegen die Behauptung gewehrt, er sei IM der Stasi gewesen. Zeitungen des Springer-Verlags hatten berichtet, er sei von 1968 bis 1971 als 'IM Wagner' und als 'A-Quelle' geführt worden. Das Hanseatische Oberlandesgericht befand jedoch seinerzeit (F.A.Z. vom 19. Januar 2006), es stehe der Beweis dafür aus, dass Wallraff 'willentlich und wissentlich' mit der Stasi zusammengearbeitet habe."
Steffen Grimberg in der TAZ dagegen mokiert sich über Springers Aufregung:
"Und so legte Welt-Gruppenchefredakteur Jan-Eric-Peters gestern per Kommentar nach: 'Auch wenn Wallraff bis heute jede aktive Zusammenarbeit abstreitet, kein vernünftiger Mensch, der den Fall genauer kennt, zweifelt ernsthaft an Wallraffs Geheimdienst-Verstrickungen', schreibt Peters über die 'Welt-Enthüllung'."
Um selbst Fragen zu stellen:
"Und was einen dann auch noch interessieren würde: Wie nennt man eigentlich Mitarbeiter von Bild-Redaktionen wie der in Köln, wohin 1976 Wallraffs Telefonate zum Mithören umgeleitet wurden? Und kein vernünftiger Mensch, der den Fall genauer kennt, ernsthaft daran zweifeln kann, dass das wahrscheinlich nicht ganz zufällig geschah?"
Was uns in diesem Zusammenhang noch interessieren würde – welche Journalisten sich von BND oder CIA haben "abschöpfen" lassen, ob wissentlich oder unwissentlich. Jan-Eric Peters, übernehmen Sie?
ALTPAPIERKORB
+++ Wer von selbstverursachten Gefahren spricht, kann von Thomas Gottschalk nicht schweigen. David Denk verwendet viel Platz seines TAZ-Textes über die Präsentation des Samuel-Koch-Buchs auf den prominenten "Botschafter": "Nach rund 20 Minuten entschuldigt sich Gottschalk noch für die E-Mails, die er nicht beantwortet hat, er sei aber "immer da, wenn du mich brauchst" und rauscht wieder ab. Sich noch eine halbe Stunde ins Publikum zu setzen und weiter dem jungen Mann zuzuhören, dessen Umgang mit seinem Schicksal ihn angeblich so beeindruckt, diese 'athletische Würde' ist Gottschalk offenbar nicht zuzumuten." +++ Katrin Schulze beschreibt im Tagesspiegel die Geschichte von Samuel Koch so, wie sie Frank Lübberding in einem großartigen FAZ-Text über die letzte Jauch-Sendung (Michael G. Meyer in der Berliner: "Ein Abend zum Fremdschämen") medial vermittelt nicht glauben kann. +++
+++ Eine Räuberpistole erzählt Cathrin Kahlweit in der SZ (Seite 15). Es geht um den FPÖ-Strache, der einem ORF-Journalisten inszenierte Rechtsradikalität stellt – so wie Kahlweit das schildert, klingt es eher nach einem Manöver, das Erfolg zu haben scheint, insofern der Ruf des ORF-Journalisten beschädigt sei. +++ Auch keine Nachricht die zur Erheiterung beiträgt: Die TAZ widmet sich der Führungsarbeit der Chefredakteurin des Bremer "Weser Kurier", Silke Hellwig: "Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hatte im Frühjahr über den neuen Führungsstil berichtet: 'Aufforderungen zum gemeinsamen Gespräch werden von der Chefredakteurin rigoros abgelehnt', und 'Entscheidungen werden nicht erklärt und begründet, sie werden nur noch verkündet'." Außerdem geht’s um Beschädigungen an der Unabhängigkeit: "Nach kritischen Berichten über die Bürgerparktombola wegen Lohndumpings "korrigierte" der Weser Kurier das entstandene Bild mit Jubelmeldungen in Anzeigen, so berichtet der Betriebsrat. Der Hintergrund: Geschäftsführer Hackmack sitzt im Tombolavorstand und ist selbst seit Jahren heftiger Kritik wegen seiner Leiharbeitsstrategie ausgesetzt." +++ Sebastian Moll bemerkt in den USA diesbezüglich schon Resignation. Sein Text in der Berliner handelt von Milliardären, die sich Zeitungen als Hobby oder Mittel zum Einfluss halten: "David Carr von der New York Times sieht das gelassener. Der Gedanke der redaktionellen Unabhängigkeit sei in der amerikanischen Zeitungsgeschichte ohnehin eine relativ neue Erfindung. Vor dem Zweiten Weltkrieg, in der Ära von William Randolph Hearst, Robert McCormick und Joseph Pulitzer, sei der Zeitungsbaron, der ohne Scham seine politischen und geschäftlichen Interessen mit Hilfe der Druckerpresse vorantrieb, die Norm gewesen." +++
+++ Wie weit so was heute geht, ist auch eine Frage der Leveson-Anhörung in England im Rahmen des Phone-Hacking-Skandals. Gina Thomas informiert in der FAZ über die Lage, kurz bevor Murdoch und Murdoch jr. in den Zeugenstand müssen (Seite 29). +++ Über die großen Verlegerfiguren macht sich die NZZ Gedanken aus anderem Anlass – 100 Jahre Axel Springer, die biografisch teils noch einmal aufgerufen werden. +++
+++ Ronny Blaschke schreibt in der Berliner über rechtsradikale Comics: "Nicht erst seit Paulchen Panther werden Zeichentrick-Figuren entfremdet: Mit wenigen Pinselstrichen mutierte Asterix im Behnsdorfer Skin Fanzine 1992 zu einem Skinhead, der einen Gegner aus den Schuhen tritt, verziert mit der Sprechblase: 'Die spinnen, die Punk’s.'" War das mit dem "Die spinnen, die..." nicht Obelixens Satz? +++ Der FAZ ist zu entnehmen, dass Iran an einem landesweiten Intranet arbeitet (Seite 29). +++
+++ Und was man nur auf eigene Gefahr lesen kann: Kathrin Spoerr versucht auf Welt-Online ihre Vorstellungen von "Emanzen" und Sexismus am Beispiel des letzten Tatort darzulegen. +++ Und, halten Sie sich fest, Dieter Gorny schreibt in der Tagesspiegel-Serie zum Urheberrecht: "Als Musikwirtschaft werden wir" – dagegen ist Ulrich Wickert über Frankreich ein echter Scoop. +++
Neues Altpapier gibt's morgen gegen 9 Uhr.