Die Journalisten des Tages sind der bisherige Macher des Bundespräsidenten und die Macher des Magazins „Markt und Medien“ - der eine unfreiwillig, die anderen gern. Außerdem: Fernsehen profitiert von sozialen Netzwerken.
„Was ist gut an Guttenbergs Comeback?“ und „Was war gut an Berlusconi?“ - so lauten zwei von 13 Fragen eines launigen Rundrufs, den die Jungle World bei diversen Autoren des Hauses gemacht hat, und der sich ein bisschen abhebt von den üblichen Bilanzen (mehr Jahresrückblickartiges gibt es übrigens unten im Altpapierkorb). Die Antwort von FAZ-Redakteur Dietmar Dath auf die erstgenannte Frage fällt solide aus („Dass langsam selbst die Zeit merken muss, wie lächerlich die Zeit ist“), knackiger klingt dagegn die von Maurice Summen, dessen Band Die Türen gerade mit diesem Straßenbefragungs-TV parodierenden Musikvideo auffällt, auf die zweite, also die Berlusconi-Frage:
„Eine echte Rampensau! Mit seinem Abschied verliert die europäische Politbühne den letzten großen Rockstar der Generation Schweinebraten.“
Der - um einigermaßen im Bild zu bleiben - letzte Kuschelrockstar der Generation Cola light, also Wulffs Christian, tritt bekanntlich keineswegs ab von der „Politbühne“, er tritt nur seinen ... Nein, das ist vielleicht doch nicht die beste Metapher für die Verabschiedung seines Sprechers Olaf Glaeseker, auf die er kurz auch in jener gestrigen Rede einging, für die die ARD „‚Sturm der Liebe‘ unterbrechen musste“ (FAZ, Seite 1).
Ein erhellender Beitrag zu Glaeseker, den „Journalisten aus Oldenburg“, erschien bereits gestern auf der Meinungsseite der SZ, zu einem Zeitpunkt also, als er noch nicht entlassen war. Der Herr Kollege, der auch mal „politischer Korrespondent unter anderem für die Augsburger Allgemeine“ war (Welt Online) und dem teilweise „der Spottname ‚Mephistopheles‘“ anhaftete (wiederum SZ) bzw. als „Präsidentenflüsterer“ (stern.de) galt, war - diesbezüglich herrscht weitgehend Einigkeit -, mehr als ein Sprecher, sondern wohl eher der Macher des inzwischen beschädigten Medienprodukts Wulff (siehe auch taz).
Adam Soboczynski lässt sich von der Causa Wulff in der Zeit zu einem historisch-literarischen Exkurs inspirieren. Es sei, schreibt er, ohne dies näher zu belegen, „behauptet“ worden, „das Amt des Bundespräsidenten, da es moralisch aufgeladen sei, falle mit der Privatperson, die es bekleidet, de facto in eins". Und das, meint Soboczynski, sei ja wohl
„eine recht romantische Vorstellung, die sich am ehesten mit Novalis‘ Vergötterung von Friedrich Wilhelm III. und seiner Gattin Luise vergleichen lässt. Das Königspaar schien dem Dichter derart vorbildlich, dass es als role model für ausnahmslos jede Familie im Staat taugen sollte.“
+++ Kaum haben wir all die Meldungen über die Journalistenpreise des Jahres 2011 emotional so gerade eben verkraftet (siehe zum Beispiel dieses Altpapier oder jenes vom Mittwoch), kaum sind also die vergossenen Freudentränen über die hochverdienten Siege diverser Kollegen getrocknet, da steht bereits die höchst ehrenvolle Aufgabe an, die ersten Preisträger des kommenden Jahres zu preisen: Seit gestern ist klar, wer am 31. Januar mit dem Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik ausgezeichnet wird, den der Verein der Freunde des Adolf-Grimme-Preises nun auch seit 20 Jahrern vergibt (siehe die Pressemitteilung aus dem Hause Grimme sowie die Agenturmeldung bei derwesten.de). Die - undotierte - „Besondere Ehrung“ wird Jakob Augstein zuteil, was einige Leser möglicherweise zu der Frage animieren wird: Ist der Mann denn überhaupt Medienjournalist? Well, it depends, wie wir Kosmopoliten in solchen Situationen sagen. Gewiss, er ist auch Gartenjournalist, aber in seinen Kolumnen für Spiegel Online geht es häufig um Medienthemen, vor allem legt sich der Verleger des Freitag (dessen aktuelle Ausgabe ein Interview-Special ist) dabei gern mit anderen Verlegern an (siehe hier und hier, die Jury erwähnt ebenfalls Beispiele). Dass die Juroren Augstein dafür preisen, dass er keine „vorgefertigte Meinung perpetuiert", spricht gewiss nicht gegen ihn. Eher muss man sich Sorgen machen um den Journalismus, wenn Journalistenpreise vergebende Organisationen meinen, so etwas betonen zu müssen.
Über den mit 5.000 Euron dotierten Hauptpreis darf die Redaktion der Deutschlandfunksendung Markt und Medien jubeln. Das ist eine gut abgehangene Entscheidung, schließliich ist die Sendung, die Andreas Stopp, Brigitte Baetz, Bettina Köster und Bettina Schmieding gestalten, nicht nur 18 Jahre lang gereift, sondern zeichnet sich auch nach Erreichen der Volljährigkeit noch durch „große Offenheit und Neugier allen Themen gegenüber“ aus. Überdies würden die Macher auch bei „spröden Themen“ die „professionelle Information“ nicht „einem überzogenen Unterhaltungsanspruch opfern“. Eine symbolpolitische Ebene hat die Entscheidung auch, man darf sie wohl als impliziten Appell an die öffentlich-rechtlichen Radiomanager verstehen, doch bitte nicht auf die Idee zu kommen, eines ihrer Medienmagazine einzustellen (auf dieser Liste sind vermutlich alle mit drauf). Das letzte Mal an ein öffentlich-rechtliches Medienmagazin aus dem Radio ging der Bert-Donnepp-Preis 2007, genauer gesagt: Jörg Wagner bekam ihn damals für die Moderation des RBB-„Medienmagazins“.
+++ Die Feierstimmung beim Deutschlandfunk wird sich bestimmt hinüber retten lassen in den Januar, wenn der Sender sein 50-jähriges Bestehen feiert. Darauf stimmt uns Intendant Willi Steul schon mal in der Funkkorrespondenz ein. Dass es bei aller Liebe, auch etwas zu mäkeln gibt am DLF, steht ebenfalls in der FK: Eines der Bücher des Jahres war, zumindest aufmerksamkeitsökonomisch gesehen, ohne Zweifel Stéphane Hessels „Empört euch!“, und das war nun wiederum für Steuls Sender ein Anlass, das Feature „Der Empörte – Stéphane Hessel, ein Mann, seine Gedichte und sein Jahrhundert“ in Auftrag zu geben, welches nun am zweiten Weihnachtstag zu hören sein wird. Das sei, so die FK, einerseits „nicht hoch genug zu schätzen“, weil der beauftragte Journalist Henry Bernhard „ein erfahrener Feature-Autor“ sei, „der sich mit Vorliebe komplexen Themen stellt“. Aber
„dass eine so substanzielle und künstlerisch geglückte Produktion in den ‚toten Winkel‘ vor Mitternacht am zweiten Weihnachtsfeiertag geschoben wird, ist mehr als bedauerlich und einem unflexiblen Programmschema geschuldet, mit dem das künstlerische und journalistische Potenzial des Rundfunks eingeengt wird. Man kann nur hoffen, dass übernehmende Sender klüger verfahren. Die Hörer werden es ihnen danken.“
[listbox:title=Artikel des Tages[Deutsche Netzpolitik - ein Bild des Jammers (FAZ)##Soll man über im TV inszenierten Autokannibalismus berichten? (SZ/Google+)##Die Entstehungsgeschichte des meist gezeigten Märchens in der ARD (Tagesspiegel)]]
+++ In der FK kann man heute auch nachlesen, dass es dem Fernsehen besser geht als gedacht. Steve Hewlett, früher bei diversen Sendern in Großbritnannien angestellt, heute Moderator der „Media Show“ bei BBC Radio Four und Gastprofessor für Journalismus und Rundfunkpolitik an der Universität Salford, schreibt - nur unter anderem, der Text ist sechs Seiten lang - zum Thema Social Media und TV:
„Soziale Netzwerke wurden einst als Zerstörer des Fernsehens, wie wir es kennen, angesehen. Was aber passiert ist: In Wirklichkeit machten sie das Fernsehen in Echtzeit sogar wichtiger. Früher genügte es, eine Sendung mit dem Videorekorder aufzunehmen und sie sich dann später anzusehen. Wenn man am nächsten Tag zur Arbeit ging, spielte es keine Rolle, dass man sie erst um Mitternacht gesehen hatte. Das wusste ja keiner. Man hatte die Sendung gesehen und konnte am nächsten Morgen mitreden, darauf kam es an. Heutzutage, wenn man nicht zum Zeitpunkt des Geschehens gerade bei Twitter, Facebook oder sonstwo unterwegs ist, hat man es eben verpasst. Die sozialen Medien steigern also die Attraktivität des Fernsehens als direkte, wirkliche Erfahrung, statt sie zu schmälern. In den sozialen Medien funktioniert Interaktion nicht zu unterschiedlichen Zeiten, man muss sich schon gleichzeitig dort aufhalten.“
+++ Einen eher pessimistischen Grundsatzartikel zu einem in diesem Jahr viel debattierten Thema aus der digitalen Welt hat Constanze Kurz verfasst. Um die hiesige Netzpolitik geht es heute in ihrer FAZ-Kolumne „Aus dem Maschinenraum“, und die bietet ein „Bild des Jammers“:
„Doch ist das verwunderlich, wenn man sieht, welche absurde Kombination von Social-Media-Glücksrittern und Industrielobbyisten Parlament und Parteien als Berater und Experten heranziehen? Von ein paar rühmlichen Ausnahmen abgesehen, wie etwa der FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz, dessen Rede zum Staatstrojaner fast wie eine Listenplatz-Bewerbung bei den Piraten wirkte, beschränkt sich die Digitalkompetenz der meisten Parlamentarier auf intensives News-Klicken auf Tablett-Computern - geliefert von einer Firma, deren Sicherheitsphilosophie und Datenschutzgebaren nicht nur Eingeweihten die Haare zu Berge stehen lässt.“
Altpapierkorb:
+++ Die Entstehungsgeschichte des tschechischen Films „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", des „meist aufgeführten Fernsehmärchens der ARD“, das auch Heiligabend sowie an weiteren Weihnachtstagen wieder zu sehen sein wird (womit wir auch den obigen Screenshot des Tages erklärt hätten), rekapituliert Gert K. Müntefering, früher Leiter der WDR-Kinderfilmredaktion, im Tagesspiegel. Sein Text ist aber mehr als einer über „3HfA", wie der Film unter Märchennerds heißt, nämlich auch eine Zeitreise in den Ostblock der 70er-Jahre.
+++ In Schweden guckt man Heiligabend nicht Aschenbrödel, sondern Donald Duck. Das halbe Land schaut sich dann den Film „From of all aus to you“ an, und das schon seit 1958 (Slate).
+++ Ein besonders reizender Zeitgenosse ist offenbar der Berliner Internet-Unternehmer Oliver Samwer, der die treibende Kraft eines Unternehems ist, das laut Techcrunch Europe „best known for German-language clones of US startups like Zappos and Groupon“ sei. Der Techblog ist an eine militärhistorisch aufgeladene E-Mail Samwers gelangt, in der es heißt: „There are only 3 areas in ecommerce to build billion dollar business: amazon, zappos and furniture. the only thing is that the time for the blitzkrieg must be chosen wisely, so each country tells me with blood when it is time. i am ready – anytime!”
+++ Ob man über im niederländischen Fernsehen inszenierten Autokannibalismus schreiben oder das Thema ignorieren sollte, diskutiert die SZ mit ihren Lesern bei Google Plus.
+++ Ist vom hier und hier diskutierten „Linksruck“ des FAZ-Feuilletons inzwischen auch unser aller Michael Hanfeld touchiert worden? Jedenfalls erwähnt er heute lobend die Linkspartei bzw. deren Fraktion in der hamburgischen Bürgerschaft. Womit natürlich nur ein Aspekt seines Textes über „den eigentlichen Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Widersprüche real existierender Medienpolitik“ benannt wäre.
+++ Außerdem in der FAZ: Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wurde ein „bedeutsamer Beschluss“ in Sachen Pressefreiheit gefällt: Zumindest ist es einer gewissen „Caroline von Hannover“ nicht gelungen, „der Zeitschrift ‚Bunte‘ untersagen (zu) lassen, auch nur zu erwähnen, wo sie Winterurlaub macht“.
+++ Ein anderes aktuelles Urteil des Verfassungsgerichts hat es heute ebenfalls auf eine Medienseite geschafft, und zwar auf die der SZ: „In zwei Fällen haben die Karlsruher Richter armen Leuten recht gegeben, die - weil sie aus Sicht der Anstalten doch nicht arm genug waren - zuvor vergebens um eine Befreiung von den Rundfunkgebühren nachgesucht hatten“, schreibt Wolfgang Janisch (S. 15).
+++ Der Schriftsteller Wladimir Kaminer liefert in einem Interview mit konkret (S. 3) eine hier zu Lande bisher unterrepräsentierte Sichtweise zum Thema Medien in Russland: „Die Radiosender, die im Internet zu empfangen sind und die auf das größte Interesse stoßen, üben eine derat heftige Kritik an den Regierenden, wie ich sie mir in keinem westlichen Land vorstelen könnte. Aber das ist kein Beleg für Demokratie, sondern dafür, dass sich die heutigen Machthaber einen Scheiß dafür interessieren, was die Menschen über sie denken.“
+++ Martin Krauß informiert in der Jüdischen Allgemeinen darüber, dass die „Neue Westfälische Zeitung“ und Berliner Zeitung auf Nahostkarten kürzlich Israel „ausgespart“ haben. „Bei der Neuen Westfälischen hatte es Leserreaktionen über das plötzliche Verschwinden Israels von der Landkarte gegeben. In der Leserbriefredaktion der Berliner Zeitung heißt es, dass niemandem, weder Redakteuren noch Lesern, etwas an der Grafik aufgefallen sei.“
+++ Über eine „Körperverletzung“, die durch das Fernsehen überhaupt erst erkennbar wurde (Täter: Jermaine Jones/Schalke, Opfer: Marco Reus/Gladbach), berichtet der FAZ-Blog Eins gegen Eins. Und darüber, dass sie von „plappernden Fernsehleuten wie Reinhold Beckmann, Mehmet Scholl oder Gerd Gottlob, die sich sonst über jeden Bengalo maßlos erregen, mit Humor verharmlost“ wurde.
+++ Mehr vom Fußball: Die Titelzeile der Woche finden wir auf dem Cover der Januar-Nummer von Cicero: „Gerhard Schröder über Mario Götze.“ Der Text, den Schröder - der über den Umweg Maschmeyer-Freundschaft bekanntlich auch im aktuellen Wulff-Kuddelmuddel gelandet ist - für seinen alten Regierungskumpel und nunmehrigen Cicero-Boss Mike Naumann gezimmert hat, besteht zwar nur aus einer Spalte, und es stehen auch nur Formulierungen drin wie „Ich hoffe nur, dass dieser junge Kerl die Bodenhaftung nicht verliert.“ Andererseits: Der Satz wirft immerhin die Frage auf, ob sich das junge Kerle von alten Kerlen ohne Bodehaftung sagen lassen. Moment, hier steht noch was: „Über angebliche Millionenangebote von europäischen Spitzenlubs wird berichtet - und schon wird ein junges Talent auf eine Handelsware reduziert.“ Handelsware, uiuiui! Da haut er aber auf den Tisch, der Gerd.
+++ „Ob sie jetzt komplett verrückt geworden sind bei Spiegel Online“, fragt sich Coffee and TV wegen der Headline „Scarlett Johansson schweiß, was sie will“.
+++ Die letzten Jahresbilanzen: „The most influential non-celebrity users of Twitter“ hat The Independent aufgelistet. Und wer wiederum einen Überblick über die international besten Zeitschriftencover des Jahres bekommen bzw. sogar die allerbesten wählen möchte, klicke hier.