Heute geht es um „Schmutzecken“ auf Zeitungs-Websites, automatische Reportagen und 30 Jahre Matula. Außerdem: Was hat Qualitätsjournalismus mit Medienpolitik zu tun?
Unter den unzähligen Journalisten, die in dieser Kolumne bisher werktäglich ihre großen und kleinen Auftritte hatten, wird sich vermutlich nur schwer jemand finden, der als Teil seines Rollenverständnisses Folgendes formuliert:
„Früher war ich bemüht, mein Unwissen zu verschleiern. Neuerdings versuche ich transparenter zu machen, wovon ich keine Ahnung habe.“
Gesagt hat das Kathrin Passig in einem Interview, das Tina Klopp mit Peter Glaser und ihr für das aktuelle Medium Magazin über den „Berufswandel der Medienbranche“ geführt hat (noch nicht online). Wer das Thema auf den ersten Blick unsexy findet, weil nicht zuletzt diverse Podiumshocker dazu schon das eine oder andere erzählt haben, dem sei gesagt, dass sich in dem unter dem Titel „Mensch & Maschine“ stehenden Interview mit den beiden Bachmann-Preisträgern sich zu nahezu allen inhaltlichen, technischen und monetären Aspekten des Journalismuswandels eine pointierte Passage findet. Die Frage, wie man als Journalist mit dem eigenen Unwissen umgeht, steht im Zusammenhang mit der Rolle der Nutzer, die in Kommentaren dafür sorgen, dass Schwachstellen eines Textes heute schneller aufgedeckt werden als das vor einigen Jahren noch der Fall war. Zumindest in den besseren Ecken des Netzes ist das so, wie Passig erläutert:
„Es hat gute Gründe, dass ausgerechnet die Kommentare unter Zeitungsartikeln zu den schlimmsten Pöbel- und Schmutzecken im Internet gehören. An vielen anderen Orten im Netz gibt es zivilisierte, intelligente Diskussionen. Nur die Zeitungen bekommen das nicht hin.“
„Woran liegt das?“
„Das Selbstverständnis von Journalisten ist bedroht. Da kommt ihnen die klare Zweiteilung ganz recht: hier der kluge Journalist, der sachlich argumentiert, da der tobende Pöbel, der keine Argumente hat. Mit mehr Moderation und technischen Mitteln bekäme man das besser hin.“
Glaser führt in dem Gespräch einen Gedanken aus, über den sich die meiste Journalisten bisher eher wenig Gedanken gemacht haben. Auf Klopps Frage, ob „der technische Fortschritt die Arbeit von Journalisten auch direkt bedrohen“ werde, antwortet er:
„Seit einem Jahr verkauft eine amerikanische Firma einen Algorithmus, der automatisch Sportreportagen schreibt. Dabei entstehen keine Kunstwerke, eher Standardartikel. Aber in Umfragen hielten die meisten Leser sie für die Artikel von echten Menschen. Der Algorithmus soll noch verfeinert werden (...) Die Frage für Journalisten könnte künftig noch lauten: Wo kann ich die Maschine noch schlagen? (...) Denn was sich in einen Algorithmus verwandeln lässt, wird über kurz oder lang auch automatisiert.“
Einen Beitrag zu eher allgemeineren Feuilletondebatten liefert Glaser auch. Zum Thema „Informationsüberflutung“ sagt er, „Kulturpessimisten“ unterstellten,
„bei dem Mehr an Informationen handele es sich automatisch um Müll - für mich ist das Gegenteil der Fall. Ich bin dreizehn Stunden am Tag im Netz, und davon verbringe ich bis zu sechs Stunden mit dem Lesen und Entdecken. Ich habe auf meinem Reader 600 Blogs, und habe einen regelrechten Darwinismus entwickelt: Nur wer sich über Jahre bewährt, bleibt ganz oben.“
Über den Medienwandel hat sich auch Markus Schächter, die alte Edelfeder vom Lerchenberg, Gedanken gemacht. Der Noch-ZDF-Intendant und „neue Vorsitzende im Kuratorium der Stiftung Lesen“ hat einen Beitrag für die medienpolitische Debattenreihe der Funkkorrespondenz abgeliefert, und man darf bezweifeln, dass etwa die Qualitätsjournalisten Passig und Glaser seine Kernthese unterschreiben würden. Die lautet nämlich, dass „die Sicherung des Qualitätsjournalismus“ eine „zentrale Zukunftsaufgabe der Medienpolitik“ sei:
„Der Qualitätsjournalismus ist systemrelevant für das Funktionieren des gesellschaftlichen Zusammenhalts und damit letztlich für die Demokratie. Es wird dabei immer offensichtlicher, dass der Markt das gesellschaftlich notwendige Angebot an Qualitätsjournalismus nicht automatisch zur Verfügung stellt. Die Debatte um den Verkauf von N 24 durch die Pro Sieben Sat 1 Media AG aufgrund mangelnder Rentabilität des Angebots – trotz Rekordbilanzen des Mutterkonzerns – und die begründeten Sorgen um die Zukunft der Zeitungsverlage vor dem Hintergrund sich radikal verändernder Werbemärkte sollte die Medienpolitik durchaus als Menetekel verstehen.“
Dass hier nun ausgerechnet N24 für Qualitätsjournalismus steht, ist schon ein bisschen putzig. Nicht unoriginell auch der Einfall, den Wert und die Wichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch einen Exkurs in die Finanz- und Wirtschaftswelt zu unterstreichen:
„Wie in der Wirtschaftspolitik war das Leitbild vieler Medienpolitiker für lange Zeit der freie, möglichst unregulierte Markt, verbunden mit einer möglichst weitgehenden Deregulierung der Vorschriften für die kommerziellen Sender und einer immer stärkeren Regulierung der öffentlich-rechtlichen Anbieter. Die öffentlich-rechtlichen Anbieter wurden von den Lobbyverbänden der kommerziellen Konkurrenz auf nationaler und EU-Ebene ebenso scharf bekämpft wie etwa die Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken im Bereich der Geldinstitute. In der Krise erwiesen sich jedoch genau diese Banken als überaus wertvolle Stabilitätsanker. Sie sind anders als ihre Konkurrenten nicht ausschließlich den Renditeinteressen der Eigentümer verpflichtet, sondern in erster Linie dem Kunden und gesellschaftlichen Interessen. Vielen Verantwortlichen wurde wieder bewusst, dass es durchaus maßgeblich, sinnvoll und zweckmäßig ist, in einem systemrelevanten Markt öffentlich-rechtliche Anbieter zu haben.“
90 Jahre alt wird am morgigen Samstag ein früherer Mitarbeiter des noch von Schächter geführten Senders, der Akzente gesetzt hat zu Zeiten, als man Qualitätsjournalismus noch praktizierte, ohne groß über ihn zu debattieren: der Dokumentarfilmer und Moderator Georg Stefan Troller. Die Jüdische Allgemeine hat aufgrund des runden Geburtstags mit dem Mann gesprochen, der „mit ‚Pariser Journal‘ und ‚Personenbeschreibung‘ deutsche Fernsehgeschichte geschrieben“ hat. Ein bisschen was über den Zustand des TV-Betriebs in den frühen 60er-Jahren enthüllt Troller, als er erzählt, wie es dazu kam, dass er das „Pariser Journal“ machen konnte:
„Der zuständige Filmemacher hatte die 3.000 Mark Handkasse, die er nach Paris mitgenommen hatte, um das nächste Journal zu drehen, in einer Nacht am Pigalle durchgebracht. Am nächsten Tag rief mich der Produktionsleiter vom WDR an und sagte: ‚Können Sie sich vorstellen, diese Sendung zu übernehmen?‘ Ich wusste noch nicht einmal, um welche Sendung es ging, aber sagte: ‚Ja! Selbstverständlich!‘ In solchen Momenten muss man ins kalte Wasser springen.“
[listbox:title=Artikel des Tages["Ein Fall für zwei" wird 30 (Tagesspiegel)##Georg Stefan Troller wird 90 (Jüdische Allgemeine)##"Die ultimative Chartshow" wird 100 (Prisma)]]
Trotz seiner Pionierleistungen und seines „charakteristischen Barts“ (Interviewer Christian Buckard) wird Troller heute auf der Straße seltener erkannt als ihm lieb ist:?
„Ein paar Mal ist es schon passiert, dass ein alter Fan, ein Professor oder so, seiner Gruppe von Studenten sagte: ‚Und hier habe ich die Ehre, Ihnen vorzustellen: Georg Stefan Troller!‘ Allgemeines Schweigen. Keiner hatte von mir gehört. Furchtbare Situation. Aber so ist es eben.“
Um Filmtheoretisches geht es nicht in dem Interview, aber da kann man anlässlich Trollers Ehrentag ja auf den Artikel zurückgreifen, den er vor etwas mehr als einem Jahr für die Herbst-Ausgabe von Lettre International verfasst hat. Unter dem Titel „Die Kunst des Dokufilms“ und u.a. mit Bezug auf Werner Herzog („Selbst wenn ich in einem Dokufilm eine Fälschung nach der andern beginge, ergäbe sich daraus in der Summe eine tiefere und dauerhaftere Wahrheit als in einem Film, der sich allein auf Fakten stützt“) vertritt er die These, dass es so etwas wie Authentizität im dokumentarischen Film nicht gebe respektive,
„dass die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit fließend sind. Wo doch häufig schon das bloße Hinhalten der Kamera die Personen zu Darstellern ihrer selbst macht. Auch die üblichen Kommandos: ‚Vergiss die Kamera!“ „Schau nicht auf uns!“ und dergleichen führen nicht zu Authentizität. Keiner wirkt so künstlich wie jemand, der partout nicht in die Linse linsen darf, die ihn gerade ablichtet.“
Insgesamt 30 Jahre war Troller mit seinen Reihen „Pariser Journal“ und „Personenbeschreibungen“ auf dem Bildschirm präsent. Mittlerweile 30 Jahre gibt es nun auch schon die ZDF-Krimiserie „Ein Fall für zwei“ und Claus-Theo Gärtner als Josef Matula (siehe Screenshot des Tages), was Thilo Wydra im Tagesspiegel zum Anlass nimmt, TV-Geschichte und -Gegenwart miteinander zu verknüpfen:
„Am ‚Fall für zwei‘ (lässt sich) die Wandlung des Mediums Fernsehen sehr gut nachzuvollziehen: So wurde etwa die von Klaus Doldinger komponierte, sehr eingängige Titelmusik von Jahrzehnt zu Jahrzehnt modernisiert, so dass sie heute leider vom prägnant prägenden Originalsound der 80er weit entfernt ist. Auch wurde die Visualität angepasst: schnelle Schnitte bis hin zu Jump Cuts, teils monochrome, entfärbte Sequenzen, nächtliche Aufnahmen von der illuminierten Skyline von Mainhattan oder vertikal hinab in die Häuserschluchten. All dies gab es in den Folgen mit Günter Strack und Rainer Hunold noch nicht. Die neuen Sehgewohnheiten machen den neuen ‚Look‘ notwendig.“
Aus der Berliner Zeitung erfahren wir anhand eines Interviews mit Werner Kließ, der zu Beginn Redakteur der Serie war, dass es beim ZDF einst auch einen Kollegen gab, der fand, „Ein Fall für zwei“ sei „strukturell an sich eine Ausgeburt linker Ideen“. Die FAZ, die auch erläutert, dass das 30-jährige Jubiläum der am 11. September 1981 gestarteten Serie erst jetzt begangen werden kann, weil sie „seit Januar 2011“ pausierte, zitiert zur Feier des Tages „die ersten Sätze, die in dieser Zeitung über Gärtner und seine Rolle zu lesen waren“, und zwar am Premierentag:
„Josef Matula ist ein Name, den man sich merken wird. Gestern noch ein Unbekannter, wird er heute Abend bereits für ersten Gesprächsstoff sorgen, in drei Jahren aber oder fünf sich mindestens der halben Fernsehnation ins Gedächtnis eingegraben haben.“
Jochen Hieber meint in seinem Text betonen zu müssen, dass heute „vier Fünftel“ der Zuschauer von „Ein Fall für zwei“ „Menschen über fünfzig“ seien. „Matula, hau mich raus“ kennt er vermutlich nicht. Aber die Neue Osnabrücker Zeitung kennt den Song.
Altpapierkorb
+++ Noch ein Jubiläum: „Die ultimative Chartshow“, die Oliver Geisen „in seiner betont gleitcremigen Geht-mich-alles-nichts-an-ich-nehm-die-Kohle-und-weg-Art moderiert", wird 100. Hans Hoff bloggt dazu bei Prisma.
+++ Beim Stern herrscht Binnenpluralismus: Florian Güßgen antwortet bei stern.de auf eine Facebook-Bashing-Kolumne des Talkshow-Rabauken und Chefredaktionsmitglieds Hans-Ulrich Jörges.
+++ War ja klar: Wer Fox News guckt, ist dümmer als jemand, der gar keine Nachrichten sieht (Informed Comment).
+++ „Mit ihr entgeht der Bayerische Rundfunk der Gefahr des Heimatfernsehens“ - die SZ meldet, dass die erwartete Rückkehr von Bettina Reitz von der Degeto zum BR jetzt perfekt ist.
+++ Aufmacher der SZ-Medienseite: die veränderte Haltung der Familie Murdoch zu Rebekah Brooks, früher unter anderem Chefredakteurin der Sun und der inzwischen eingestellten News of the World: „Zu Beginn der Abhöraffäre stützten die Murdochs ihre Angestellte. Jetzt wenden sie sich von ihr ab.“ Hat gewissermaßen familiäre Gründe. Wer sich für die Besonderheiten der Familie Murdoch interessiert, lese dies.
+++ Im Feuilleton (S. 14) empfiehlt die SZ die 14-tägig von der Bundeszentrale herausgegebene Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte („kein Blatt für Wutbürger, sondern für den bildungswütigen Bürger“).
+++ Der Blog alright, okee weist auf uns auf ein bisher noch nicht ausreichend gewürdigtes Werk hin: „Das ist der Tag, von dem Ihr noch euern Enkelkindern erzählen werdet” von Grischa Stanjek und Weichbrodt. Die beiden haben das diesjährige Finale von „Germany‘s Next Model“ transkribiert, als Theaterstück strukturiert und in Reclam-ähnlicher Form veröffentlicht. Das Ergebnis zeigt, dass solche Formen der Überhöhung bösartiger sein können als ein klassischer Verriss.
+++ Dem Medien Monitor des Dortmunder Instituts für Journalistik ist aufgefallen: „Seit drei Jahren hört man kaum noch etwas über das Thema Gratiszeitungen. Gilt das Medium nicht eigentlich schon als überholt, wo man nur noch über Gratis- und Bezahl-Angebote im Tabloidformat diskutiert?“
+++ Die Zahl der weltweit inhaftierten Journalisten ist derzeit so hoch wie seit seit Mitte der 90er-Jahre nicht mehr, berichtet der Guardian. Leider passend dazu: Ein in Thailand geborener US-Bürger wurde in seinem Geburtsland zu zweieinhalb Jahren veröffentlicht, weil er majestätsbeleidigende Auszüge aus einer Biographie online zugänglich gemacht hat. Begangen hat er seine „Tat“ wohlgemerkt in den USA (Al Jazeera).
+++ Daran, dass es Journalisten gibt, die gewissermaßen legale Verbrechen begehen, erinnert der Bildblog mit einem Beitrag zu der Berichterstattung über einen vermeintlichen „Manga-Mord“ - und veröffentlicht den offenen Brief einer Frau, die mit dem Opfer befreundet war und nun den Sudeljournalismus von Bild und Dresdner Morgenpost angreift.
+++ Dass der Wissenschaftsjournalismus ein nicht uninteressanter Sumpf für sich ist, entnehmen wir einem Blogbeitrag von Markus Pössel. Konkreter Anlass für seinen Text über „das zum Teil recht gestörte Verhältnis einiger (Wissenschafts-)Journalisten zu (Wissenschafts-)Bloggern“ ist ein Spiegel-Online-Artikel, „der den Klimaforscher und Blogger Stefan Rahmstorf mit ziemlich harten Bandagen angeht“. Der von Spiegel Online angegriffene Rahmstorf wurde kürzlich auch von einer FR-Autorin verklagt (Dank an Elke Wittich für den Hinweis).
+++ Die 3-Sat-Doku „Hacker" „gibt Einblicke in das Privatleben einer prominenten Subkultur - und zeigt leider doch wieder Klischees“, meint die taz.
+++ „The Big Eden“, den gerade angelaufenen Dokumentarfilm über den mittlerweile 81-jährigen Rolf Eden, „der für den Boulevard noch immer in Clubs geht und ‚partygeil‘ ruft“ und zu dessen „Rolle“ es, wie er selbst sagt, „den ‚Doofen‘ zu geben, wenn das Fernsehen einen brauche“ - diesen Film rezensiert Altpapier-Autor Matthias Dell im aktuellen Freitag. In einem nunmehr online verfügbaren Interview mit der Sonntags-FAZ sagt Eden zu diesem Thema: „Ich sage das, was ich denke, und das, was ich denke, dass die Maischberger oder der Lanz von mir hören wollen. Damit deren Show gut ist. Ich bin ein Showmann, verstehen Sie? Ich versuche, eine Show immer besser zu machen.“
+++ Eine doppelte Frühkritik zu zwei anderen Talkshows - „Beckmann“ und „Maybrit Illner“ - haben die Frankfurter auch im Angebot.