Wie man ein Kunstwerk ruiniert

Wie man ein Kunstwerk ruiniert

Oben auf der Agenda stehen heute zwei History-Event-Movies: ein Schiffsuntergangsdrama und ein noch gar nicht existierender Film über einen Vernichtungsfeldzugsstrategen. Außerdem: Sind die meisten Journalisten, die über das Urheberrecht schreiben, nur interessierte Laien?

An Texten, in denen die These ausgeführt wird, dass öffentlich-rechtliche TV-Filme die Zuschauer unterfordern, mangelt es wahrlich nicht. Umso höher ist es einzuschätzen, dass Uwe Ebbinghaus eine sehr erfrischende Generalabrechnung gelungen ist. Er hat sie verpackt in einen Verriss des heute die FAZ-Medienseite dominierenden History-Event-Zweiteilers „Laconia“, den die ARD am Mittwoch und Donnerstag zeigt. Sein Text - und jetzt wird es interessant und auf den ersten Blick vielleicht verwirrend - ist deshalb so bemerkenswert, weil das Drama um ein 1942 untergegangenes britisches Passagierschiff, um das es hier geht, eigentlich sehr gut gelungen ist, jedenfalls nach Ebbinghaus‘ Ansicht. Das gilt aber nur für die englische Fassung des von BBC, SWR und der Firma Teamworx produzierten Films. Die deutsche Version sei dagegen im besten Fall lehrreich, meint Ebbinghaus (der vor rund zwei Jahren auch bei den Dreharbeiten dabei war):

„Wer einmal ganz konkret sehen möchte, welchen Einfluss der Schnitt und die Szenenauswahl auf einen Film ausüben, der kann das im Vergleich der englischen mit der deutschen ‚Laconia‘-Fassung studieren.“

Das Ergebnis deutscher Bastelarbeiten: „Schon nach einer halben Stunde“ - nachdem bereits „eine Geschichtslektion im weichgezeichneten Stil der einschlägigen ARD-Degeto-Schmonzetten“ zu überstanden war, die es im in der englischen Fassung nicht gibt - wirke der Film „wie ein aufwendiges Puzzle, in dem die Teile nicht zusammenpassen“. Auf Ebbinghaus‘ Mängelliste steht auch, dass „die Schlussspannung“ am Ende des ersten Teils „verschenkt“ und „ein zwingender Grund für das Einschalten des zweiten Teils filmisch nicht einmal angedeutet“ werde. Bezug nehmend darauf, dass etwa der Kritiker der „Times“ den Film „besser als ,Titanic‘“ fand, fragt der FAZ-Mann:

„Wie konnten sich die englischen Zeitungskollegen mit ihren von der BBC verwöhnten Augen auch nur annähernd zu einer derartigen Begeisterung aufschwingen? Die Erklärung ist ganz einfach: Sie haben einen ganz anderen Film gesehen. Sie haben ein Kunstwerk erlebt, Kino im Fernsehen. In der englischen Fassung gibt es keine die Handlung doppelnden inneren Monologe, es wird überhaupt nichts erklärt, was die Bilder ohnehin zeigen und was sie ihrer Wirksamkeit berauben könnte. (...) Die englische Fassung (...) ist ein Film für mündige Zuschauer mit Geschmack. Die deutsche ist im Vergleich ein zäher Verschnitt, aus dem alles, was auch nur ein Mindestmaß an Kombinationsvermögen verlangt, entweder herausgeschnitten oder zu Tode erklärt wird.“

Wer im einzelnen dafür verantwortlich ist, erfährt man aus dem Text nicht, aber vielleicht fühlt sich beim SWR und Teamworx ja jemand angesprochen. Die beiden Unternehmen haben derzeit allerdings auch noch ganz andere Sorgen: die eskalierende Debatte um ihr Projekt über den NS-Kriegsstrategen Erwin Rommel, der in seiner Spätphase noch den Widerständler in sich entdeckte. „Braune Soße?“ war gestern ein Artikel in der SZ zum Streit über den Film überschrieben (siehe Altpapier). Heute lauten die Headlines: „Keine braue Soße“ (Tagesspiegel) bzw. „Erwin Rommel - Historikerstreit um braune Sauce“ (Welt Online). Irgendwie mitgekocht an der Soße, sagen die Kritiker, zu denen Rommels Nachfahren gehören, habe der Holocaust-Leugner David Irving. Dagegen wehrt sich nun zum Beispiel SWR-Intendant Peter Boudgoust im Tagesspiegel so intendantenmäßig wie möglich:

„Auf keinen Fall werde ich zulassen, dass ,Rommel‘ auch nur in die Nähe von revisionistischem Gedankengut gerückt wird.“

Berthold Seewald widmet sich bei Welt Online einem grundsätzlichen Aspekt:

„Die Freiheit der Kunst ist ein höheres Gut als das Bild, das sich mühsam aus den Puzzleteilchen der Quellen zusammensetzen lässt. Umso erstaunlicher ist es, dass sich ein neuer Historikerstreit nicht an einem Dokumentarfilm, sondern an einem Spielfilm entzündet.“

Wobei ja das Allererstaunlichste ist, dass der Film noch gar nicht fertig ist (die Ausstrahlung ist für Herbst 2012 geplant). Es kennen lediglich überraschend viele Menschen das Drehbuch. Aber falls es tatsächlich noch eines Beispiels dafür bedurfte, dass die Lektüre eines Drehbuchs möglicherweise nicht ausreicht, um einen Film beurteilen zu können, liefert ihn die heutige „Laconia“-Rezension in der FAZ. Herbert Spaicher, Filmkritiker des SWR-Hörfunks und insofern nicht ganz unparteiisch, erläutert in seinem Blog Filmspaicher, warum der Wirbel um den Film gar nicht so schlecht ist:

„Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung der Affäre ist anzunehmen, dass es (...) bereits hinter den Kulissen heftig gekracht haben muss. Einige der Experten warfen das Handtuch und steckten sich hinter Manfred und Catherine Rommel, die sich prompt vor den Karren der anscheinend schwer in ihrer Eitelkeit verletzten Wissenschaftler spannen ließen. Nur zu! Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren. Jetzt wird es nicht mehr möglich sein, einen letztlich unpolitischen TV-Event über Erwin Rommel zu drehen. Auch wenn es dabei nur um dessen letzte Lebensmonate geht."

Es bestehe, so Spaicher weiter,

„jetzt die große Chance, (...) zu zeigen, wie ein im Grunde seines Herzens integerer Emporkömmling aus kleinbürgerlichem schwäbischen Milieu, im Dienste eines verbrecherischen Regimes Stratege eines Vernichtungsfeldzuges werden konnte. (...) Da spielte es dann nur eine marginale Rolle, ob Rommel vom Attentat auf Hitler wusste oder nicht.“

[listbox:title=Artikel des Tages[Welt Online über Kunstfreiheit und Rommel-Exegese##New York Times über animierte Nachrichtenbeiträge##Nachdenkseiten über einen verbreiteten Journalisten-Irrtum]]

In die allgemeine Generalabrechnungsstimmung passt Stefan Niggemeiers Replik auf einen SZ-Artikel, den Martin Stadelmaier und Marc Jan Eumann verfasst haben, zwei maßgebliche SPD-Medienpolitiker, die beide im ZDF-Fernsehrat sitzen. Ihr Thema; „wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk verändern muss". Amüsiert hat sich Niggemeier besonders darüber, dass das sozialdemokratische Duo ZDFneo vorschlägt, „einen Marktanteil von etwa fünf Prozent anzupeilen“:

„Warum ist darauf nicht eher jemand gekommen? Wieso gibt sich das ZDF bei ZDFneo mit Marktanteilen im Promillebereich zufrieden, wenn es doch fünf Prozent anpeilen könnte! (...) Wundern Sie sich nicht, wenn die SPD in Zukunft bei Wahlen richtig abräumt: Die Partei wird einfach konsequent Ergebnisse von etwa 40 Prozent anpeilen.“

Niggemeier bilanziert, der Text sei - auch - „ein trauriges Symbol dafür, was in Deutschland als Medienpolitik durchgeht“.

Die längste Generalabrechnung (44.000 Zeichen) hat allerdings Marc Chung verfasst. Er ist kein Journalist, sondern Vorsitzender des Verbandes Unabhängiger Musikunternehmen (VUT), ein Amt, das es offenbar mit sich bringt, sich über Journalisten aufzuregen. Das Thema seines als Offener Brief rubrizierten Beitrags ist die aus seiner Sicht wenig ruhmreiche Urheberrechtsberichterstattung hier zu Lande:

„Wir beobachten täglich, wie massenhaft teils absurde und abwegige Fehlinformationen gestreut und weiterverbreitet werden – vor allem online (...) und vor allem von selbsternannten ‚Internet-Evangelisten‘ von Beckedahl bis Kreutzer, aber auch in traditionellen Medien.“

Der Adressat des Briefs ist weder Markus Beckedahl noch Till Kreutzer, sondern Berthold Seliger, weil der für einen im Altpapier von Freitag verlinkten Beitrag für konkret „schlecht recherchiert“ bzw. schlecht Recherchiertes ungeprüft übernommen habe. Da es sich hier um die materialreichste und quellengesättigste Entgegnung handelt, die seit langem zu einem journalistischen Beitrag publik geworden ist, ist sie eine nähere Betrachtung wert. Zumal der Umfang darauf schließen lässt, dass die Fundamentalkritik lange vorbereitet war und Seliger lediglich das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Einer von Chungs Hauptkritikpunkten an der verbreiteten Urheberrechtskritik:

„Die Darstellung der Situation in zahllosen Blogs, Foren und auch traditionellen Medien verschleiert die ökonomischen Hintergründe: Hier werden die Interessen hochprofitabler, monopolistischer Internetkonzerne, deren Profitmaximierung das Urheberrecht häufig im Weg steht, komplett ausgeblendet.“

Auf die PR-Strategie von Google, Telekommunikationskonzernen und Accessprovidern (die unter anderem lautet: „Stelle Deine Interessen als öffentliche Interessen dar“) fielen zu viele Journalisten herein. Außerdem versuchten „Lobbyfirmen (...) meist nach dem gleichen Prinzip passende ‚wissenschaftliche Befunde‘ zu lancieren“, was vom „interessierten Laienpublikum, zu dem auch die Journalisten gehören, selten in Frage gestellt“ werde. Zu den interessierten Laien gehörten offenbar auch Mitarbeiter von Guardian, El Pais, Freitag, Le Monde und der Zeit, die 2009 über eine Studie berichteten, die gar nicht existierte. Die für Altpapier-Leser vielleicht interessanteste Passage dürfte folgende sein:

„Wir sollten alle mit plumpen Analogien vorsichtig sein, aber um das derzeitige Problem der Produzenten von Inhalten am Beispiel des altbekannten Geschäftsmodells von TV-Sendern zu erläutern: Wenn die Unternehmen, die Vertrieb und Verbreitung von TV-Inhalten leisten – bei uns also beispielsweise Kabel Deutschland und die Betreiber des Astra-Satelliten – die Werbeeinnahmen erheben und größtenteils behalten würden, hätten RTL, Sat 1, der WDR etc. innerhalb kurzer Zeit Probleme, das Programm zu produzieren und würden sich weigern, es weiter einzuspeisen.“


Altpapierkorb

+++ Warum von einer „Sozialdemokratisierung“ der Union, von der bei so vielen Journalisten nicht erst seit gestern die Rede ist, eigentlich nicht die Rede sein dürfte, erklären die Nachdenkseiten.

+++ Mit dem Spiegel hat Udo Reiter gerade geredet (siehe Altpapier von Montag), aber ein „Abschiedsgespräch“ mit der taz hat er abgesagt, berichtet Steffen Grimberg ebendort. Nach dem Ende von Reiters Amtszeit sei nun „der Weg frei für einen neuen teamorientierten Führungsstil“, schreibt der taz-Redakteur des weiteren.

 +++ Der New-York-Times Blog The Lede greift die wachsende Bedeutung animierter News auf. Nicht nur das Animationssudio NMA ist in diesem Bereich zugange (siehe Altpapier), sondern neuerdings auch CNN.

+++ Die mehr als 100 Kanäle, die Youtube in den nächsten Monaten plant, werden „die herkömmlichen Sender treffen“, prophezeit Joachim Huber im Tagesspiegel. Einige Macher der Programme stellt das Wall Street Journal vor.

+++ Ein Journalist, der von einer Demonstration der Occupy-Bewegung berichtete, hat seine eigene Verhaftung gefilmt (Poynter).

+++ „Kuschelig gelangweilt - Plasberg meidet die Debatte“, lautet Harald Kellers Urteil über die gestrige „Hart aber fair“-Diskusion zum Thema Zivilcourage (Berliner Zeitung).

+++ Über die ersten Tage der Baseler Tageswoche, des neuen Hybridformats aus Print-Wochenzeitung und täglichem Online-Angebot, berichtet Nick Lüthi für medienwoche.ch.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

 

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