Alarm schlafen

Alarm schlafen

Wernesgrüner Musikantenscheunen und preußische Prinzenhochzeiten: Blicke in die Dritten Programme des deutschen Ostens. Außerdem: was auf dem Anrufbeantworter des Presserats zu hören ist.

Wie schrieben die so sympathischen wie traditionsreichen Aggregatoren aus dem hübschen Heidelberg gestern in ihrem Newsletter über aktuelle Entwicklungen in der auch an diesem Mittwoch noch jüngsten MDR-Affäre? "Derweil schläft der MDR-Rundfunkrat Alarm..."

Gleich, ob es sich da um einen hintersinnigen Seitenhieb auf die Vertreter gesellschaftlicher Gruppen in den Aufsichtsgremien unserer Rundfunkanstalten oder um einen Tippfehler (Hätten Sie's gewusst, ohne hinzuschauen? Das F befindet sich auf QWERTZ-Tastaturen tatsächlich neben dem G) handelte, der online bald korrigiert wurde - er charakterisiert die Lage gut: Immer das Gleiche, aber durchaus alarmierend...

Aktuellste Entwicklungen der Sache Udo Foht finden sich auch heute wieder allein in der Springer-Presse (bild.de: "Immer mehr dubiose Zahlungen"; welt.de zitiert einen ungenannten "MDR-Insider" mit der Aussage, Intendant Udo Reiter "führt den MDR wie eine Eckkneipe" und kritisiert per Kommentar die schläfrigen "Kontrolleure des Senders, die nicht kontrollieren. Falls doch, dann meist, wenn es schon zu spät ist").

Anderswo gibt's heute Zusammenfassungen dessen, was die Springer-Presse zuvor berichtete (TAZ: "Wie die Bild berichtet..."). Ob es sich da eigentlich schon um die lang erwartete Anti-ARD-Kampagne des Springer-Blatts handelt?

Jedoch, ein groß gedachter Wurf, eine gewaltige Analyse der Lage beim MDR unter besonderer Berücksichtigung der derzeit noch jüngsten Affäre liegt auch schon vor. Und zwar im Tagesspiegel von Bernd Gäbler. Lange nichts gelesen vom früheren Grimme-Instituts-Leiter (von dem in Kürze die Talkshow-Studie "... und unseren täglichen Talk gib uns heute!" erscheinen wird).

Im Tagesspiegel setzt Gäbler leider auf arg altbackene Sprachspielchen ("Jetzt konnte er so agieren, wie er sich schon als Klein-Udo den Kapitalismus immer vorgestellt hatte..."). Hält aber, wie dasselbe Zitat schon zeigt, mit Kritik nicht hinterm Berg. Er stellt also die Foht-Sache in eine Reihe mit der Kika-Affäre, der schon ein paar Jahre zurückliegenden um Wilfried Mohren sowie mit den bundesweit beachteten Sendungen des MDR:

"Florian Silbereisen wurde von Udo Foht erfunden und auch für das tägliche Boulevardmagazin 'Brisant', das die ARD so verwechselbar macht mit der privaten Konkurrenz, zeichnet der MDR verantwortlich. Das alles ist nicht böse - eher spießig. Wir müssen uns den Sender in etwa vorstellen wie die 'Wernesgrüner Musikantenschenke'. Die Welt ist heil, und der Sponsor steht im Titel."

Darin identifiziert Gäbler die Handschrift des aus der "Münchener Schickeria" nach Leipzig gekommenen Intendanten Udo Reiter, wobei am interessantesten die schon damals in der Schickeria geknüpften Verbindungen zum (jetzt ja "fassungslosen") Burda-Vorstandsmitglied Philipp Welte sind, dessen Preis-Sausen ("Bambi", "Super-Henne") wiederum der MDR verantwortet. Aber zurück zum Reiter-Sender: "Unterhaltung, gereinigt von jedem Anflug von Intellektualität" sei das Rezept, mit dem der MDR in der ehemaligen DDR, "wo 'Spiegel', 'Stern' oder 'Zeit' vergebens versuchten, heimisch zu werden, ...zum quotenstärksten Dritten Programm" aufstieg, was irgendwie auch mit Schuld an den Affären sei. Was jetzt passieren bzw. von Reiters Nachfolgerin oder Nachfolger getan werden muss:

"Der MDR muss ein Selbstverständnis überdenken: weg vom Wellness-Sender für die Ossi-Integration hin zur vierten Gewalt. Die deutsche Einheit gibt es nun lang genug, um endlich den Sonderweg zu beenden. Es wäre schon einiges gewonnen, würde der MDR ein ganz normaler ARD-Sender: etwas schwerfällig, aber mit journalistischem Anspruch."

Sicher nicht falsch, aber doch ziemlich wohlfeil. Es ist ja nicht so, dass in anderen Dritten Programmen der ARD-Sender journalistischer Anspruch oder gar Anflüge von Intellektualität täglich im Programm sind (vielmehr heute abend, nur zum Beispiel, bringt der WDR um 20.15 Uhr "Das Schlagzeilenquiz mit Sven Lorig" und im Anschluss "Die beliebtesten Mundarten der Nordrhein-Westfalen", startet der NDR gleich nach seiner Tiersendung die dreiteilige Dokusoap "Der Hafencowboy - unterwegs mit Gunter Gabriel"...).

Indessen gibt's vom RBB, einer anderen zumindest teilweisen Nachfolgeanstalt des DDR-Fernsehens, von der man überregional freilich seltener hört, eine recht spektakuläre Nachricht. Er steigt nun auch ins boomende Feld der Adelshochzeitsübertragungen ein.

"Georg Friedrich Prinz von Preußen, 35, und Sophie Prinzessin von Isenburg, 33, geben sich am 27. August das Ja-Wort. Der RBB überträgt, kaum zu glauben, live von 11 bis 14 Uhr. Die Hochzeit des Ur-Urenkels von Kaiser Wilhelm II. gelte als 'eines der herausragenden gesellschaftlichen Ereignisse dieses Jahres', teilte der Sender mit",

staunt die Süddeutsche. Und obwohl Prinz Georg Friedrich ja auch in Brandenburg überhaupt kein Staatsoberhaupt ist, wie seine Kolleginnen und Kollegen z.B. in Monaco und London theoretisch schon, ist Rolf von Seelmann-Eggebert, der bekannte ARD-Adelsexperte, natürlich auch mit von der Partie.

[listbox:title=Artikel des Tages[MDR-Skandal-Update (welt.de)##Große MDR-Analyse (Tsp.)##Die Leser-Anrufer der Bild-Zeitung (BLZ)##Deutschlandfunk-Interview als Lehrstück (TAZ)##BLZ über die ARD-Künstler-Dokus]]

Rasch zurück zur bereits erwähnten vierten Gewalt im demokratischen Zeitalter (falls sie's nicht wussten: Das sind die Medien, zumindest in den Sonntags- und Preisverleihungsreden ihrer führenden Vertreter).

"Die Medien als vierte Gewalt sollen die Legislative, Exekutive und Judikative kontrollieren, nicht ersetzen", präzisiert Ulrike Simon den Auftrag. Da geht es in der Berliner Zeitung schon wieder um die Bild-Zeitung - nun nicht um deren Berichte über den MDR, sondern um deren Aktion, Leser-Anrufer beim Presserat, der die Bild-Zeitung gerügt hatte, anrufen zu lassen (vgl. bildblog.de: "Ohne Gesicht kein Bericht").

Wegen des erwarteten "Ansturms" haben gestern sowohl die BLZ als auch der Berliner Tagesspiegel ebenfalls beim Presserat angerufen, die Geduld aufgebracht, "auch noch das zehnte Tuten abzuwarten" (BLZ), und dann eine "Frauenstimme" (ebd.) gehört, die auf dem Anrufbeantworter E-Mail-Adresse und Anschrift des Presserats nannte, an die man sich doch bitte wenden sollte.


Altpapierkorb

+++ Auch mal wieder in den Medien-Schlagzeilen: Heiner Geißler - wegen "Wollt Ihr den totalen Krieg?" sowie dieses Deutschlandfunk-Interviews. Landet Geißler jetzt in der Eva-Herman-Autobahn-Falle? Nein, meinen Edo Reents in der FAZ ("Dazu ist zunächst zu sagen, dass Joseph Goebbels die Frage ...seinerzeit ja nicht im Sinne einer Ermahnung zur Friedfertigkeit gemeint hatte, sondern als Durchhalteparole und recht eigentlich Volksverhetzung...") und Steffen Grimberg in der TAZ, der nicht nur Goebbels' Urheberschaft des Zitats bestreitet, sondern sich sogar eher über den empörten Interviewer ärgert. +++

+++ Der große Hanfeld des Tages steht auf der FAZ-Medienseite 33, derzeit nicht frei online: ein lesenswerter Artikel über die Lage der Fernsehfilmproduzenten anlässlich der Insolvenz der Produktionsfirma Zeitsprung (vgl. dwdl.de). "ARD, ZDF und die großen Privatsender sind mit eigenen Produktionsfirmen beziehungsweise solchen, die ins Konzerngeflecht eingebunden sind, auf dem Markt, da bleibt für kleine und mittelständische Produzenten wenig Raum", schreibt Michael Hanfeld und zieht Parallelen zur Pleite von Marc Conrads Firma Typhoon. +++

+++ Mehr ARD-Programm: Wenn die teuren Talker Urlaub machen, kommen bekanntlich die interessanten Sendungen aus den Genres Reportage/ Dokumentation. Über Formalien zur "Sommerstaffel von 'ARD-exclusiv'", z.B. zur Redaktionszugehörigkeit, informiert heute die Süddeutsche. +++ "Endlich bekommt das investigative Format einen würdigen Sendeplatz", meint Altpapier-Autor René Martens in der TAZ. +++

+++ Bewährt uninteressante Sendungen bietet die ARD im Sommer aber auch: "Die Unmittelbarkeit versackt im Modder der geschmeidigen Null-Acht-Fünfzehn-Dramaturgie. Er kann noch so oft in schwarze Limousinen einsteigen, Tempo kommt nie auf", so seziert Sabine Vogel in der BLZ die Günter-Grass-Ausgabe der Reihe "Deutschland, deine Künstler". +++ Wenn sogar Tilmann P. Gangloff beim Loben kritische Worte findet (Tsp.), muss die Sendung wirklich schlecht sein. +++ Gangloffs täglicher Fernsehtipp hier auf evangelisch.de wird anlässlich des Lobes für die ARD-"Hengstparade" (keine Adelshochzeitsübertragung-Sendung, ein Degeto-Film) neulich heute von der TAZ-Kriegsreporterin gewürdigt. +++

+++ Mehr Bild-Zeitungs-Nachberichterstattung: "Die Nummer sechs auf Heidi Klums Selbstvermarktungsplattform 'Germany’s Next Topmodel' wird zum bisher größten Flop", berichtet auf der FAZ-Medienseite 33 heute Mira Wild zum aktuellen GNTM-Aufreger. +++ Auch hier ist bild.de schon wieder weiter und hat ein Interview mit Ex-Next-Topmodel Jana Beller ("Stattdessen sollte ich zu Pferderennen, Kaufhauseröffnungen usw. gehen"). +++

+++ Ebenfalls auf der prallvollen FAZ-Medienseite: wie Datenschützer Thilo Weichert kürzlich auf den Polizeitagen in Kiel im Internet ermittelnden Polizisten den Rat gab, "lieber die datenschutzgeprüften deutschen Netzwerke (StudiVZ, SchülerVZ) zu nehmen", als bei einem  amerikanischen Unternehmen zu suchen, "das sich nicht an deutsche Datenschutzbestimmungen halte" (also Facebook). "Damit erntete er Unverständnis bei den Zuhörern", so Detlef Borchers. +++ Den Plan der BBC, gemeinsam mit Apple ihren "iPlayer" international zum kostenpflichtigen Abonnement anzubieten ("Man kalkuliere trotzdem, sagt Jana Bennett, dass das Internetgeschäft irgendwann ein funktionierendes Erlösmodell werde..."), schildert die Süddeutsche. Vgl Guardian neulich. +++

+++ Etwas unklar, ob in der heutigen ZDF-Reportage "Der eiskalte Mörder von Norwegen" (22.45 Uhr) auch "Bestsellerautor Henning Mankell" auftritt, oder ob die DPA, von der der Tsp. seine Besprechung Ankündigung übernahm, bloß noch ein paar Zeilen füllen musste. +++

+++ Mehr Sarrazin gefällig? "Nach einem inszenierten Eklat sah der 'Aspekte'-Beitrag dennoch nicht aus. Im Gegenteil, wer genau hinsah, konnte sehen, wie Sarrazin, der selbst den Dialog mit anderen oft verweigert - zumal mit Leuten, die sein Buch nicht gelesen haben - sich zunehmend selbst demaskierte", verteidigt Diemut Roether im epd medien-Tagebuch Güner Balci. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.


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