Geschenkpapier II: Paul ist tot

Geschenkpapier II: Paul ist tot

...und Keith ziert die FAZ. Das Geschenkpapier des sueddeutsche.de-Chefredakteurs Hans-Jürgen Jakobs zum zehnten Geburtstag des Altpapiers ist eine Mischung aus Bildblog und Streiflicht.

Die Welt hat ihre Rücktritte, Koalitionskräche, Fusionen, Öl-Katastrophen, Tsunamis. Aber sie hat auch, jedenfalls in ihrer Spiegelung durch Medien, besondere Ereignisse, die den Boulevard-Menschen, aber auch den Salon-Menschen, zur Unterhaltung gereichen. In dieser Welt ist der Tod einer Krake ein Aufmacher-Thema.

Auf bild.de jedenfalls ist es an diesem Dienstagmittag so, als ob ein Staatsoberhaupt gestorben sei. Ganz in Schwarz gehalten ist das erste Thema der reichweitenstärksten deutschen Informationsseite im Internet, und auf die Dramatik im Aquarium deutet schon das Stakkato der Unterzeilen-Schnipsel: "Fahnen auf Halbmast. Mitarbeiter tragen schwarze Schleifen. Kondolenzbuch ausgelegt." Und das alles im Sealife Oberhausen, das durch den Tintenfisch-Insassen Paul zur WM-Zeit weltweit bekannt wurde, weil der Oktopus irgendwie Spielresultate vorhersagen konnte.

Paul also ist tot, gestorben eines natürlichen Todes, und all die Fußball-Nationen, die sich um seine Zukunft sorgten und den Wunder-Kraken schon als Teil eines Paella sahen, die trauern mit. Bild jedenfalls ist die Story folgerichtig eine Einordnung im Sport-Ressort wert, da ohne Paulchen ja die Fußball-WM in Südafrika unzweifelhaft einen anderen Verlauf genommen hätte.

Die Nachricht vom Tode des "WM-Orakels" schlägt ein in einen Tag gehobener politischer Routine, zu dem beispielsweise die Vorfreude oder vielleicht auch die Vor-Schadenfreude auf ein Jahr Schwarz-Gelb zählt. Da war Bild vorgeprescht und hatte mal kurz das Kabinett einem "Regierungs-Check" unterworfen. Hier strahlt Angela Merkel, die Freundin der Verlegerin Friede Springer, wie eine Lottogewinnerin im Segment "Wer war top". Das Ausland lobe sie und kopiere ihre Politik, besser geht es also nicht, meint Bild, und vergessen ist aller Streit zwischen den Ressorts, die Gurkerei der Hotelfreunde und das inständige Ringen um den Begriff "konservativ". Auch Kristina Schröder, Ursula von der Leyen, Rainer Brüderle, Karl-Theodor zu Guttenberg (natürlich), Dirk Niebel (wirklich) waren angeblich richtig "top", und nur bei Guido Westerwelle war Bild seltsam unentschieden. Als Außenminister fasse er Tritt, aber als Vize-Chef tat er nichts dagegen, dass die "liberale Handschrift" verschwommen sei. Der Mann ist auch unter "Wer war Flop" zu finden.

Von solchen kollektiven Benotungen der Regierung wird es in den nächsten Tagen noch einiges geben, auch die Trauer um Paul und die vielen Nachrufe/Notrufe ("Wann kommt der nächste Paul?") werden daran nichts ändern.

Als Loki Schmidt starb, da war natürlich viel die Rede gewesen von den Paffereien zusammen mit ihrem Mann Helmut Schmidt, von den qualmverhangenen Abenden im Winterhuder Fährhaus. Die Zigarette bleibt ein Thema, auch weil die Bundesregierung unter der angeblichen Top-Performerin Angela Merkel die Leidenschaft zur Tabaksteuer entdeckt hat, mit der die maroden Staatsfinanzen gesunden sollen. Was den Raucher krank macht, macht den Steuerzahler fit - und so erhob die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Dienstagsausgabe den nicht immer nach den Regeln der Fitness-Welt lebenden Musiker Keith Richards zum Coverboy der Titelseite (langfristiger online bei meedia.de). Der Rolling Stone mit dem Gesicht eines Elefantenohrs zieht an einer Zigarette, Rauch steigt auf, und so wird auf die bizarren Sanierungstricks des Bundesfinanzministers verwiesen. Aber auch auf eine Glosse über Richards' in diesen Tagen ausgebrütete Autobiographie "Life" (vgl. Foto oben) die es dem ewigen Kofrater Mick Jagger so richtig zeigt, weshalb die FAZ liebevoll "Mein Mick" titelt.

Wahrscheinlich werden sich die Strategen aus dem Frankfurter Hellerhofstraße noch über den Coup freuen, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im gesamten Feuilleton das Buch über die NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amts vorgestellt und thematisiert zu haben. Auch das hallt nach.

Wie lesefesselnd offizielle Reports sein können, merkt man der Titelarbeit des Handelsblatts an. Das Wirtschaftsblatt sezierte den Bericht einer Strukturkommission unter Frank-Jürgen Weise, die sich mit der Bundeswehr und dem Verteidigungsministerium beschäftigte und Hanebüchenes aus dem Routinebetrieb freilegte. Hier ist der Verteidigungsfall gegeben - gegen die Bedrohung der Misswirtschaft. Dass man am besten mit den in Bonn verbliebenen Ministeriumsteilen aufhört und im Übrigen das IT-System nicht funktioniert, sind nur kleine Beispiele für das Lesevergnügen. Karl-Theodor zu Guttenberg, der Top-Minister, wurde so schon öffentlich auf notwendige Radikal-Maßnahmen eingestimmt.

Im Innenteil der Blätter findet sich immer wieder einmal Aufschlussreiches, so wie in der Financial Times Deutschland (exklusiv offline) über die letzten Großversuche, ein Debakel Barack Obamas bei den anstehenden Kongresswahlen zu verhindern. Die Rosa-Zeitung beschreibt den TV-Komiker Jon Stewart, bei dem der US-Präsident am Mittwochabend zu Gast sein wird und der sich für Washington nicht weniger vorgenommen hat als eine "Rallye zur Wiederherstellung der Vernunft". Mehr als 200.000 Leute werden am Wochenende erwartet, wenn der Linksliberale und seine Freunde eine Antwort auf die rechte "Tea Party" und ihre "Rallye zur Wiederherstellung der Ehre" geben wollen. Er wolle sich an die 70 bis 80 Prozent aller Amerikaner richten, die nicht glaubten, dass Obama ein "heimlicher Muslim" sei, "der eine sozialistische Übernahme von Amerika plant, damit er uns seine radikale schwarze christliche Befreiungslehre überstülpen kann", erläuterte Jon Stewart.

[listbox:title=Geschenkpapier-Container[Nr. 1 (von Medientickerer Rüdiger Dingemann)]]

Am letzten Lebenstag des größten Tintenfischs aller Zeiten sorgte übrigens ein Prozess in München für größte Aufmerksamkeit. Der Schauspieler Ottfried Fischer war hier zugegen, der "Pfundskerl", wie ihn die taz beschrieb. Er war Zeuge und Nebenkläger in einem Verfahren gegen drei Männer und zwei Frauen, die mit einem brisanten Sex-Video zu tun hatten. Vier gestanden, dass Fischer genötigt werden sollte, nur der Fünfte im Bunde , ein ehemaliger Bild-Reporter, bestritt seine Mitschuld in dem Komplott. Er hatte das Video für 3500 Euro gekauft, das sei ein "Infohonorar" gewesen und das Video war nur ein "Beleg". Ein Beleg von vielen vermutlich, und dass Ottfried Fischer kurze Zeit später auf Anraten seiner PR-Agentin der Bild-Zeitung ein Interview gab, war sicher nur eine zeitliche Koinzidenz. "Prostituierte packt aus - Otti-Fischer: Die miese Erpressung" titelt die Münchner Abendzeitung, die sich zuvor schon zupackend um den Fisherman's Friends gekümmert hat.

Weil am Ende auch der einstige Bild-Journalist zu einer Geldzahlung verurteilt wurde und die PR-Agentin angab, nicht unter Druck gesetzt worden zu sein, sieht Bild wieder allen Anlass, sich für Artikel fünf und die Pressefreiheit und die eigene Sache einzusetzen. Der Verlagssprecher erklärt im Leit-Blatt des Hauses, das Urteil sei "für Journalisten und Verlage absolut nicht hinnehmbar. Jede journalistische Recherche werde der Gefahr ausgesetzt, "kriminalisiert zu werden".

Nur bei Paul, dem Kraken, ist die Recherche mit keinen Gefahren verbunden. Das Sea Life Oberhausen kooperiert. Alles weitere im großen Kondolenzbuch von Oberhausen.
 

 Hans-Jürgen Jakobs ist Chefredakteur bei sueddeutsche.de. Das nächste Geschenkpapier kommt am Mittwoch gegen 10.00 Uhr von Sascha Lobo.

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