Man wird ja wohl

Man wird ja wohl

Der Spiegel, Bild, auch Focus,  - alle machen ihren Sarrazin weiter. Außerdem droht Bild, den "Prozess des Jahres" ausführlich zu begleiten

Man wird ja wohl noch sagen dürfen, dass, wer Bild und Spiegel regelmäßig liest, 50 bis 80 Prozent der perfidesten Medienkampagnen live miterlebt.

Spiegel und Bild, Bild und Spiegel sind nach wie vor in der Lage, den gesellschaftlichen Diskurs mitzuprägen. Nun - Bild am Samstag, Spiegel am heutigen Montag - heben sie den Bundesbanker, den sie mit Vorabdrucken überhaupt erst gemeinsam ausgegraben haben, auf die nächste Ebene. Die Debatte über Integration, die eigentlich von Rechtspopulismus handelt und längst zur Demokratiedebatte geworden ist, geht in die dritte Woche.

"Man wird ja wohl noch sagen dürfen", titelte Bild am Samstag (siehe Bild links) und meinte etwa folgende Sätze: "Nicht wir müssen uns den Ausländern anpassen, sondern sie sich uns!", "Auf den Schulhöfen muss Deutsch gesprochen werden", "Ausländer, die sich nicht an unsere Gesetze halten, haben hier nichts zu suchen" und "Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein". (Heute ergänzt durch die unvermeidlichen Kritiken "der Leser").

Robin Meyer-Lucht identifiziert die Kampagne bei Carta als "die wohl größte und schärfste politische Kampagne der Bild seit einiger Zeit" - und entdeckt einen Angriff auf die Kanzlerin:

"Die Bild-Kampagne verortet den Sarrazin-Konflikt in den Bezugsrahmen 'Meinungsfreiheit vs. Sprechverbote' und 'intellektualisierter öffentlicher Diskurs vs. Alltag der einfachen Menschen'. Ein typischer Boulevard-Frame: 'Wir kleinen Leute' gegen die 'abgehobene Politik'. So wird Politik gemacht. Denn Bild braucht Sarrazin als Vehikel für eine eigene Kesseljagd auf die etablierte Politik. Sarrazin – das zeigt die Schärfe der Kampagne – ist nur der vorzüglichste Anlass, eine Regierung und eine Kanzlerin zu bedrängen, der es aus Sicht der Bild-Truppe an fast allem mangelt: an konservativem Instinkt, an Strahlkraft, an Mobilisierungsfähigkeit. Die offene gezeigte Sympathie des Hauses Springer für den Nicht-Merkel-Kandidaten Gauck war das Vorspiel: Sarrazin ist nun der erste Hauptakt. Die Kanzlerin hat dies selbstredend sofort verstanden – und sich per Bild am Sonntag-Interview sofort zum Teil der Kampagne gemacht, deren Ziel sie war."

Bild lässt auf die Art immerhin eine Linie erkennen: Erst druckte sie Stellen aus dem Bundesbankerbuch vorab. Dann knickte sie kurz mal ein, weil der Autor des Buchs im Interview mit der eigenen Schwesterzeitung Welt am Sonntag (online via Berliner Morgenpost) über ein vermeintlich "jüdisches Gen" herumschwadroniert hatte, was nicht einmal Wagner gut finden konnte. Aber am Ende des Tages bleibt Bild dann eben doch verlässlich reaktionär und in der Mischung aus Millionenauflage und gekonntem Agenda-Setting besorgniserregend mächtig.

Der Spiegel dagegen, der bekanntlich selten als Sturmgeschütz der Leserverhöhnung bezeichnet wird, schwankt seit zwei Wochen, seit auch er eine Passage aus besagtem Bundesbankerbuch exklusiv vorabdruckte (hier online), zwischen extremer Quotengeilheit und Aber-wir-doch-nicht. Diese Haltung hat der Spiegel nicht exklusiv. Der Grat, auf dem alle Medien wandeln, wenn sie über ein mediengeschaffenes Thema solange berichten, bis es sich verselbständigt hat, so dass sie immer weiter berichten müssen, ist ziemlich schmal. Aber niemand erzeugte zumindest in diesem Fall so selbstverständlich Erregung, um dann mit Empörung hausieren zu gehen, wie der Spiegel. Man kann das auf einer Sarrazin-Online-Schwerpunktseite voller mutmaßlicher Klickmonster nachvollziehen.

Ein neues Zitat von Sarrazin hat der Spiegel in der aktuellen Ausgabe nicht zu bieten, denn: "Er hat sich jetzt eine 'Mediensperre' auferlegt, am Montag der Auftritt bei 'Beckmann', dann am Mittwoch 'Hart aber fair', jetzt will er erst einmal in Deckung gehen." Das ist allerdings falsch - der Spiegel-Konkurrent namens Focus, der Sarrazin ebenfalls auf dem Titel hat, hat ausführlich mit ihm gesprochen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Carta über die jüngste Bild-Kampagne##TAZ über Privatsender und Verleger]]

Der Spiegel selbst titelt an diesem Montag: "Volksheld Sarrazin" (sic!). "Warum so viele Deutsche einem Provokateur verfallen". Er vergisst allerdings im Heftinneren, die Frage auch nur ansatzweise zu beantworten. Eigentlich logisch, ein Teil der Antwort lautet schließlich: weil er den ganzen Rummel erst mit lostrat. Das findet in keinem der vier zum Titel gehörenden Texte auch nur Erwähnung. Nicht in dem darüber, wie Sarrazin "Deutschland spaltet" (S. 22), nicht in dem über ausgemachte Schwächen der Integrationspolitik (S. 32), nicht in dem über Intelligenzforschung (S. 134) und nicht in dem denkwürdigen Debattenbeitrag von Henryk M. Broder (S. 162).

Letzterem schrieb Tarek Al-Wazir von den hessischen Grünen in einem Gastbeitrag im Spiegel der vergangenen Woche (35/2010, S. 127) erwartbare Reflexe zu: "Henryk M. Broder als einer der ersten Redner" (einer Konferenz, über die Al-Wazir schrieb,) "erfüllt mal wieder die Erwartungen: Da darf die Anekdote über die freiwillige Unterwerfung 'der Deutschen' unter 'den Islam' nicht fehlen."

Im aktuellen Spiegel nun fragt Broder in der Unterzeile: "Haben eigentlich alle dasselbe Zeug gekifft?", stopft sich dann selbst das Pfeifchen und verteidigt im Zusammenhang mit Sarrazins Rede vom "jüdischen Gen" (wobei er im oben erwähnten Interview konkret eine genetische Identität in Abgrenzung zu einer kulturellen Identität ausmachte) mit folgenden Sätzen die Vulgärgenetik:

"Wenn Aussehen und Krankheiten vererbt werden, was niemand bezweifelt, dann muss auch die Frage erlaubt sein, warum Juden - von Ausnahmen abgesehen - schlechte Sportler und gute Schachspieler sind; warum die meisten Blues-Musiker schwarz sind und warum Kenianer so oft Marathonrennen gewinnen; warum Asiaten an amerikanischen Universitäten überproportional vertreten sind."

Danach braucht Broder nur noch ein paar Zeilen bis zur Islamkritik. Man wird ja wohl noch sagen dürfen, dass die komplette Argumentation Quark in Vollendung ist.


Altpapierkorb

+++ Joachim Huber vom Tagesspiegel bindet die "Causa Sarrazin" mit dem "Fall Kachelmann" zu einem Kommentar zusammen, was nicht nur die Frage aufwirft, wann etwas eine Causa und wann ein Fall ist, sondern auch daran erinnert, dass wir es in der "Causa Sarrazin" mit dem großen Thema Integration zu tun haben, im "Fall Kachelmann" aber mit dem Prozess eines Einzelnen +++ Den "Prozess des Jahres" nennt Bild den Kachelmann-Prozess, der heute beginnt - was Schlimmes für die Titelseitenplanung der Zeitung befürchten lässt +++ Alice Schwarzer ist für Bild vor Ort +++ "Schwarzer klagt in ihrem Blog über Voreingenommenheit einiger Leitmedien und will das offenbar durch eigene Voreingenommenheit konterkarieren", schreibt die FAS (S. 29) +++ Die taz kommentiert: "Es ist beruhigend, dass auch in diesem Fall immer noch die Gerichte Recht sprechen - und nicht Anwälte oder Medien" +++ Meedia über Schwarzer und Bild +++ Die FTD porträtiert den Vorsitzenden Richter +++

+++ Die Frankfurter Rundschau feiert ihren vor kurzem gehabten 65. Geburtstag. Konstantin NevenDuMont hat einen Text zu Ehren der Frankfurter Rundschau verfasst, den diese in aller Bescheidenheit abdruckt. Der Text beginnt mit einem rhetorischen Schmankerl: "Die Frankfurter Rundschau wird 65 Jahre alt. Wäre sie ein Mensch, würde sie vielleicht an den Ruhestand denken." +++ Der Kölner Stadt-Anzeiger, wie die FR aus dem DuMont-Reich, interviewt Alfred Neven DuMont zur Zukunft der Zeitungen, und der stellt, Kulturkritiker, der er ist, eine Frage: "Sind wir nicht zu sehr besessen von dem vordergründigen politischen Spektakel?" +++ Die FR zitiert aus der Titanic, die aus der FR zitiert: "Komischer wie Max Goldt seziert niemand sprachliche Schlampereien" +++

+++ Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtet (S. 29) von der Internationalen Funkausstellung, bekannt als Ifa +++ DWDL fragt sich und die Leser, was von 3DTV zu halten sei +++ Der Spiegel meldet in Sachen Erfolg des 3D-Fernsehens: Es gebe Skepsis "in Fachkreisen" (S. 167) +++

+++ BLZ, FAZ (S. 31) und TSP besprechen "Trau' niemals Deinem Chef" (20.15 Uhr, ZDF), die SZ (S. 13) schreibt über den Film unter besonderer Beachtung des involvierten Schauspielers Max von Thun +++ Ebenfalls in mehreren Zeitungen taucht Mario Adorf auf, anlässlich seines 80. Geburtstags am Mittwoch. Die Berliner hat ihn etwa interviewt, am Samstag tauchte er im "SZ Wochenende" auf +++

+++ FR / BLZ und TSP kümmern sich um Maybrit Illners "heute journal"-Premiere - und ihnen fällt der Moment besonders auf, in dem sie Anführungszeichen in die Luft zeichnet. Die SZ dagegen verzeichnet, dass sie atme: "Hchhhh" +++ Ebenfalls mit den Nachrichten befasst sich die taz und interviewt den ehemaligen ZDF-Washington-Korrespondenten Matthias Fornoff zu seiner neuen Stelle als Nachfolger von Steffen Seibert bei "heute" +++

+++ Daniel Bouhs traf für die taz den Privatsenderlobbyisten Jürgen Doetz und schreibt: "Applaus erntet Doetz (...) nicht mit seiner Strategie, die Interessen aller privaten Medien zu bündeln, um 'gemeinsam kampagnenfähig zu werden', damit am Ende 'nicht der Kampf gegen einzelne Projekte steht, sondern eine neue Medienordnung'. Die soll, geht es nach Doetz, alle Medien im Blick haben und auch mit Suchmaschinen fertigwerden, 'weg von der Rundfunkzentrierung der Regulierung'." Zusätzlich Doetz im Wortlaut bei taz.de +++

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