Von der anderen Seite: Verbunden durch Wegschauen

Von der anderen Seite: Verbunden durch Wegschauen

Gestern stieß ich auf einen Artikel, in dem die UN vor einer großen Hungersnot in Somalia warnt. Seit Anfang des Jahres seien über 135.000 Somalis vertrieben worden und allein im Juni seien 54.000 nach Kenia geflohen, hieß es. Viele von ihnen erreichten nicht einmal die Flüchtlingslager, da sie schon auf dem Weg dorthin verhungerten.

Der Artikel ließ mich aufhorchen, da ich gerade ein Buch über den Sinn und Unsinn von Katastrophenhilfe gelesen hatte. Nach dem Lesen wandelte sich das ursprüngliche Interesse jedoch in ein unbehagliches Gefühl der Hilflosigkeit. Was tun mit dieser Information, mit diesen horrenden Zahlen, hinter denen unzählige Menschenschicksale stehen?

Der Wunsch zu helfen vs. Hilflosigkeit. Dass ich nicht die einzige bin, die nach einer Nachricht wie dieser erst einmal ratlos ist, bewiesen mir die Leserkommentare. Ob es die übliche Kritik an westlichen Regierungen und ihrem (nach Meinung der Leser falschen) wirtschaftlichen Engagement oder das Propagieren der eigenen Gleichgültigkeit („Couldn't care less“ etwa kommentierte: „Somalia, ist das nicht das Land mit den Piraten?“)* war - die Hilflosigkeit gegenüber derartigen Informationen war allgegenwärtig. Mehrere Leser sagten ausdrücklich, dass sie gerne helfen würden, aber leider nicht wüssten, wie sie dies sinnvoll tun könnten.

Diese Hilflosigkeit führt meines Erachtens oft dazu, dass Menschen die Not um sie herum – und erst Recht die Not in weiter Ferne – schlicht ignorieren. Denn Wissen bringt Verantwortung. Nur wenn man keine Ahnung hat, wie die Antwort auf dieses Wissen auszusehen hat, werden Informationen immer unbequemer, lästiger und manchmal sogar quälend.

Unabhängig vom Standort. Nun könnte man meinen, dass das bei Menschen in armen Ländern anders ist. Dass die Empathie bei ihnen größer ist und sie die Not um sich herum bewusster wahrnehmen. Das mag in gewisser Weise zutreffen, aber auch in armen Ländern gibt es die Kultur des Ignorierens. Eine Kollegin sagte heute über Paraguay: „In diesem Land wird man dazu erzogen, wegzuschauen“. Der Satz bezog sich auf die Art wie in Paraguay sehr oft Missstände gehandhabt werden. Ob es um Schmuggel, Diebstahl oder Armut geht - Hauptsache, man ist nicht selbst betroffen.

Die Hilflosigkeit oder Resignation rührt hier – meiner Meinung nach – oft daher, dass man nichts anderes kennt. Ein großer Teil der Bevölkerung wird in einer armen Familie geboren, die Kinder werden schon im Schulalter Mitverdiener und schaffen es nur in den seltensten Fällen diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Man findet sich mit der Situation ab. Nicht, weil man nicht weiß, wie man die Situation ändern kann, sondern weil man gar keine Zeit hat, sich mit Gedanken um eine bessere Zukunft zu beschäftigen.


* Der Kommentar wurde zwischenzeitlich von der ZEIT-Redaktion gelöscht.
 

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