Wusstest du, dass 2010 das Jahr der Stille ist? Bis es mir ein Freund vor kurzem verraten hat, wusste ich das nicht. Da ich mich ohnehin nie als einen „Stilletyp“ betrachtete, ist mir die Bedeutung eines solchen Jahres bislang nicht so groß erschienen. Ich hatte auch schon viel vom „Phänomen Taizé“ gehört, ebenso über die Form des Gebets und die Bedeutung des Schweigens darin. Soviel Stille, Ruhe und Meditation erschien mir lange Zeit zu viel des Guten zu sein und ich war sehr skeptisch, ob mir diese Art von Gebet zusagt.
Viele meiner Freunde sind schon lange Taizé begeistert, aber ich wollte diesem vermeintlichen Trend zunächst nicht folgen. Doch meine Freunde überzeugten mich, es zumindest auszuprobieren. Ich ließ mich auf Taizé ein. Zunächst beim Asien-Treffen in Manila im Februar dieses Jahres und dann in Taizé in Frankreich vergangenen August, jeweils für eine Woche.
Vor 70 Jahren wurde die Kommunität von Taizé gegründet. Mittlerweile treffen sich jährlich zigtausende Menschen in dem kleinen Dorf in Frankreich, aber auch an anderen Orten der Welt, um gemeinsam mit den Brüdern und anderen Jugendlichen Gott im Gebet und der Stille zu suchen, Kraft zu schöpfen und über Texte der Bibel nachzudenken.
Kein Zweifel, in der Bibel stellt die Stille häufig einen Raum der Gottesbegegnung dar, denken wir etwa an Elias Erfahrung, wo Gott weder in Wind noch Feuer, sondern im stillen Sausen gegenwärtig ist (vgl. 1. Könige 19). Auch in den Psalmen wird immer wieder gebetet, dass die Seele still und ruhig geworden ist (vgl. Psalm 131). Und dennoch: Ich bin ein Mensch, der gerne spricht, der sich sowohl für Lobpreis mit Band als auch für klassische Kirchenmusik mit Orgel begeistern kann und genauso Gottes Wort aus Predigten erfahren kann. Aber Stille? Das war mir nicht ganz geheuer, das schien mir zu leise zu sein.
Die Gebetszeiten in Taizé sind geprägt von den bekannten Gesängen, die aus kurzen Melodien mit wenigen Worten bestehen und vielfach wiederholt werden. Dadurch entsteht ein meditativer Gesang, während dessen man über die Bedeutung der Worte eines jeden Liedes nachdenken kann, zur Ruhe kommt und auf Gott hören kann. Dazwischen werden kurze Bibeltexte gelesen, die wie die Gesänge auf vielen verschiedenen Sprachen sind, damit jede und jeder die Möglichkeit hat sie zu verstehen.
Im Zentrum des Gebets steht eine Zeit der Stille, in der man zu Gott beten, auf Ihn hören, über die Bibelworte und Liedtexte nachdenken und den Heiligen Geist erfahren kann. Das Gebet ist bewusst einfach gehalten, "damit niemand überfordert wird", wie die Brüder auf ihrer Internetseite schreiben. Bruder Roger, der Gründer der Kommunität, vertrat zudem die Überzeugung, dass beispielsweise ein langer und komplizierter Text Menschen die Liebe vernebeln kann, die der Heilige Geist ihnen im Gebet anbietet. Es gibt keine Auslegung oder Predigt während der Gebetszeiten, den Betenden wird Raum gelassen Gott zu begegnen und Gott hat viel Raum durch seinen Geist zu wirken.
Mit dem Betreten der Kirche ist man aufgefordert, Stille zu halten, was wie erwartet bei mehreren Tausend Leuten mehr oder weniger gut funktioniert. Doch sobald das Gebet beginnt, kommt der Raum zur Ruhe und die Meisten stimmen in den Gesang ein. Es ist ein erhebendes Gefühl, ein Teil dieses Klangkörpers zu werden und durch die Meditation zur Ruhe zu kommen.
Ich selbst werde still und es ist eine interessante Erfahrung, wenn man aus unserer stressigen, hektischen und schnellen Welt auf diese völlig entspannte, ausgeglichene, ruhige und entschleunigte trifft. Vor allem anfangs gehen mir so viele Dinge durch den Kopf; ich will mich konzentrieren und meditieren, aber immer wieder jage ich einem Gedanken nach und verliere mich darin. Zunächst bin ich enttäuscht über meine Unfähigkeit zur Stille, aber ich merke und lerne, dass den Gedanken Raum zu geben ebenfalls wichtig ist und mir dabei hilft, ruhig zu werden.
Ich gewöhne mich mit den Tagen an die Stille, lerne sie schätzen und stelle immer wieder fest, dass mein Kopf leer scheint und ich einfach nur da sitzen kann. Ein gutes Gefühl, mir scheint, ich schöpfe Kraft durch die Stille. Wer hätte das gedacht, sie tut mir gut. Vielleicht gerade mir, weil ich ihr zu wenig zugetraut hatte und ihr kaum Raum in meinem Leben gab.
Meistens vergeht die zehnminütige Stille während des Gebets schneller als erwartet. Manchmal bin ich überrascht, dass schon wieder gesungen wird. Manchmal wünschte ich mir aber auch, dass wieder gesungen wird, aber die Stille dauert noch (gefühlt: sehr lange) an. Mir wird bewusst, dass in unserem lauten Leben, Räume der Stille rar sind. Aber sie sind wichtig, tun gut und helfen dabei, aufzuatmen und neue Kraft zu schöpfen.
Darin kann der Heilige Geist sich bewegen, uns erfüllen und begegnen. Ich bin froh, dass meine Freunde mich ermutigt haben, meine Bedenken zu überwinden und eine neue Form der Gottesbegegnung für mich gefunden zu haben.