Papst Benedikt XVI. verurteilte in einem Grußwort erneut sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Er sprach in ungewöhnlich deutlichen Worten vom "Unkraut", das es gerade auch inmitten der Kirche unter denen gebe, die Gott in besonderer Weise in seinen Dienst genommen habe. Die Fälle, die in den vergangenen Monaten bekannt geworden seien, drohten die Freude an der Kirche und die Hoffnung zu "verdunkeln", so der Papst. Zugleich äußerte er sich zuversichtlich, dass das Licht Gottes nicht untergegangen sei.
Dialogpredigt von Friedrich und Marx
Beim zentralen Eröffnungsgottesdienst am Mittwochabend auf der Theresienwiese (Foto: dpa) hielten die Bischöfe der gastgebenden Kirchen, der Münchner katholische Erzbischof Reinhard Marx und der evangelische bayerische Landesbischof Johannes Friedrich, eine Dialogpredigt. Friedrich sagte, die christliche Hoffnung gebe Halt in einer von Unsicherheiten geprägten Welt und überwinde menschliche Not. "Jetzt ist die Zeit und hier ist der Ort", so der Landesbischof mit Blick auf den ÖKT-Auftakt. Erzbischof Marx hob die Aufgabe der Kirche hervor, den Menschen Sicherheit zu geben. Deshalb wiege es "um so schwerer", dass kirchliche Amtsträger die Hoffnung von Menschen enttäuscht hätten.
Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, trat in München erstmals seit ihrem Rücktritt wieder an die Öffentlichkeit. Kurz vor Beginn des ÖKT stellte sie in einerBuchhandlung im Münchner Stadtzentrum ihr Buch "Das große Du - Das Vaterunser" vor. Vor drei Monaten hatte Käßmann nach einer Trunkenheitsfahrt am Steuer ihres Dienstwagens im Februar alle kirchlichen Leitungsämter niedergelegt. Käßmann sagte vor rund 300 dicht gedrängten Besuchern, das Nachdenken über das Vaterunser passe gut an den Anfang eines Ökumenischen Kirchentages: "Es erinnert daran, dass uns Christen mehr gemeinsam ist als uns trennt."
Köhler: Führungsversagen, Missbrauch
Bundespräsident Horst Köhler (im Bild unten neben dem katholischen ÖKT-Präsidenten Alois Glück - Foto: epd-bild / Friedrich Stark) appellierte in einem Grußwort an evangelische und katholische Christen, sich nicht mit einem Nachlassen des ökumenischen Schwungs abzufinden. "Dieser Ökumenische Kirchentag kommt genau zur rechten Zeit", sagte Köhler mit Blick auf die Vertrauenskrise, der die Kirche gegenwärtig ausgesetzt sei. "Führungsversagen, Missbrauch, Misshandlung - all das hat zu einer schweren Krise geführt", sagte das Staatsoberhaupt und mahnte zu Aufklärung und Zuwendung zu den Opfern. Unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals dürfe allerdings nicht vergessen werden, "wie viel Gutes durch gläubige Menschen getan wird", so Köhler unter dem Beifall der 55.000 Besucher des Gottesdienstes.
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sprach in seinen Begrüßungsworten von einer "machtvollen Demonstration für unseren Glauben". Indem er die Besucher nach Bundesländern getrennt begrüßte, löste er erstmals größeren Jubel unter den Teilnehmern aus, die während des Gottesdienstes noch zurückhaltend geblieben waren. Heiterkeit löste Seehofer mit einer bayerischen Kabinettsorder aus: "Wir haben beschlossen, dass es in diesen fünf Tagen angenehmes Wetter geben soll. Jetzt schauen wir mal, was ein Wort von Politikern wert ist." Am Eröffnungstag war es in München bedeckt, blieb aber trocken. Die Aussichten für die nächsten Tage sind mäßig.
Von offizieller Seite wird es beim Kirchentag kein gemeinsames Abendmahl von Protestanten und Katholiken geben. Außerhalb des offiziellen Programms will die Reformbewegung "Wir sind Kirche" am Samstagabend einen "inoffiziellen" ökumenischen Abendmahlgottesdienst abhalten. "Alle, ob katholisch oder evangelisch, sind herzlich eingeladen", heißt es in der Einladung. Die Predigt hält der Kirchenkritiker Gotthold Hasenhüttl. Der Theologieprofessor hatte am Rande des 1. ÖKT 2003 in Berlin gegen geltendes katholisches Kirchenrecht evangelische Christen zur Kommunion eingeladen. Daraufhin wurde er vom Priesteramt suspendiert. Drei Jahre später folgte der Entzug seiner kirchlichen Lehrerlaubnis.
Der Münchner evangelische Theologe Gunther Wenz appellierte am Eröffnungstag des ÖKT an die Kirchen, über eine Gemeinsame Erklärung zum Abendmahl zu sprechen. Die Zeit dafür sei reif, sagte er in einem Gespräch mit evangelisch.de. Viele ökumenische Theologen seien der Auffassung, dass in den zentralen Fragen die abendmahlstheologische Kontroverse zwischen Katholiken und Protestanten so weit behoben sei, dass ein "differenzierter Konsens" erklärt werden könne. Wenz sprach sich insbesondere für eine Erlaubnis des gemeinsamen Abendmahls für konfessionsverbindende Ehepaare aus. Dabei müsste die katholische Kirche keinerlei dogmatische Abstriche machen, so der Theologieprofessor.
Einladung an Andersgläubige
Der evangelische Theologe Günter Ruddat rief in einem der drei Eröffnungsgottesdienste zu Optimismus auf. Christen sollten ihre Geschichten und Erfahrungen von Hoffnung teilen, sagte der Bochumer Professor für Praktische Theologie auf dem Marienplatz. Es gelte, "neu das Hoffen zu lernen mit vielen anderen Menschen aus Deutschland und der ganzen Welt". Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), Friedrich Weber, forderte in seiner Predigt auf dem Odeonsplatz eine Allianz des Friedens gegen den Terrorismus. Diese dürfe nicht nur auf das Christentum beschränkt sein, sondern müsse die "Gläubigen und Frommen im Islam und im Judentum ebenfalls einladen", sagte Weber, der auch braunschweigischer evangelischer Landesbischof ist.
Unter dem Leitwort "Damit ihr Hoffnung habt" finden in München bis Sonntag rund 3.000 Veranstaltungen statt. 2003 hatten Protestanten und Katholiken erstmals gemeinsam zu einem Kirchentag eingeladen, damals nach Berlin. Von den rund 125.000 angemeldeten Dauerteilnehmern in München sind nach Angaben der Veranstalter knapp 58 Prozent evangelisch und knapp 40 Prozent katholisch. 58 Prozent der Teilnehmer sind Frauen. Besonders stark vertreten sind Schüler und Studenten mit einem Anteil von 38 Prozent. Neun Sonderzüge brachten Besucher aus ganz Deutschland nach München. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte wegen einer Erkrankung seine Termine auf dem Kirchentag ab.