Fast sah es so aus, als würde an diesem Abend nicht mehr viel passieren. Doch um 17 Uhr kam die überraschende Wende im Kampf um die Macht in Großbritannien. Gordon Brown - der ungeliebte und schon so oft gedemütigte Premierminister - wirft nach drei Jahren das Handtuch als Vorsitzender der Labour-Partei. Bis September soll seine Partei einen neuen Chef haben. Damit ist einerseits das Rennen um seine Nachfolge eröffnet. Andererseits ist im Thriller um die neue britische Regierung wieder alles offen. Labour könnte nach 13 Jahren weiter an der Macht bleiben - und auch Brown könnte als "Übergangs- Premier" noch bis Herbst im Amt bleiben. Browns Ankündigung könnte zum Coup für Labour werden.
Brown macht Weg für Koalition mit Liberaldemokraten frei
Aber vorerst wird die Suche nach einem neuen Regierungschef noch komplizierter. Wann Brown genau geht und ob nun der Chef der Konservativen, David Cameron, in die Downing Street einzieht, war am Abend noch unklar.
Denn mit seinem Rückzug macht Brown nun auch den Weg für eine alternative Koalition aus Labour und den Liberaldemokraten frei. Deren Chef Nick Clegg hatte schon vor der Wahl betont: Er könne zwar mit Labour, aber nicht mit Brown. Doch die "Lib Dems" verhandeln auch noch mit den konservativen Tories, die bei der Wahl stärkste Partei geworden waren. Jedoch zogen sich die Gespräche zäh dahin. Auch nach Marathonverhandlungen am Wochenende gab es anscheinend noch Hindernisse. Und es gibt in den eigenen Reihen viele Gegner dieser blau-gelben Zweckehe. Brown erklärte, die Liberalen würden nun offiziell auch mit Labour sprechen. Clegg sprach schon etwas schwammig von einem "wichtigen Element auf dem Weg zu einem geschmeidigen Übergang zu einer stabilen Regierung".
Der Druck auf den Premier war zuletzt zu groß geworden. Seine Partei hatte unter ihm eines der schlechtesten Ergebnisse eingefahren. In den vergangenen drei Jahren stand der wenig charismatische Schotte mehrmals vor dem Abgrund, mehrere "Putschversuche" gegen ihn gingen daneben. Die Müdigkeit und der unerbittliche Kampf um das Amt standen dem 59 Jahre alten Brown ins Gesicht geschrieben. Brown habe schon nach den desaströsen Wahlergebnissen vergangene Woche beschlossen, zurückzutreten, sagte der Labour-Wahlkoordinator Douglas Alexander. Der Schritt sei "würdevoll" und nicht "verzweifelt".
Labour begrüßt Rücktritt
Für seine tief zerstrittene Partei ist Browns Rücktritt das beste, darin waren sich die meisten Kommentatoren einig. Und auch aus den eigenen Reihen kam Zustimmung, schließlich hatten Parteimitglieder immer wieder die Messer gewetzt. "Ich weiß nicht, warum er bis jetzt gebraucht hat zu sagen, dass es einen neuen Vorsitzenden der Labour-Partei geben soll", sagte die Labour-Abgeordnete Fiona Mactaggart. Sein Rücktritt sei "das Eingeständnis, dass Labour diese Wahl verloren hat".
Andere bedauerten seinen Rückzug. "Wir haben einen großen Premierminister und einen großartigen Mann auf der Weltbühne verloren", sagte die ehemalige Abgeordnete Ann Keen.
Für Brown persönlich ist es eine schwere Niederlage. Er war im Sommer 2007 Tony Blair ungewählt in dem Amt gefolgt, nachdem er zehn Jahre lang als Finanzminister darauf gewartet hatte. Dass er nun gescheitert ist, nachdem er sich zum ersten Mal zur Wahl gestellt hatte, ist besonders bitter. Aber schon vor der Wahl hatte er über alternative Zukunftspläne gesprochen. Damals sagte er, er wolle gemeinnützige Arbeit tun. Wann er damit anfängt, ist ungewiss.
Erste Gespräche zwischen Labour und Liberaldemokraten
In der Nacht zum Dienstag trafen sich schon hochrangige Labour-Minister mit den Liberalen. Die Gespräche seien "konstruktiv" gewesen, hieß es danach. Hindernis für eine Labour-"Lib Dems"-Koalition könnte jedoch sein, dass ein möglicher neuer Premierminister aus Reihen der Labour-Partei genauso wie Brown nicht vom Volk bestätigt ist. Brown war im Juni 2007 Tony Blair gefolgt, ohne dass es eine Wahl gegeben hatte. Hinzu kommt, dass Labour und die Liberalen zusammen auch nicht auf die absolute Mehrheit der Sitze im Unterhaus kommen und die Unterstützung kleinerer Parteien brauchen.
Bei der Unterhaus-Wahl am vergangenen Donnerstag hatten die Tories als stärkste Kraft die absolute Mehrheit verfehlt, Labour hatte so viele Stimmen wie seit Jahrzehnten nicht mehr verloren.
Eine weitere Alternative ist auch noch eine Minderheitsregierung der Tories, bei der sie sich von regionalen Parteien aus Schottland, Wales und Nordirland dulden lassen könnten.