Pendeln und Liebe – fast wie Sex nach Kalender

Pendeln und Liebe – fast wie Sex nach Kalender
Pendeln kostet Zeit, Nerven und Kraft. Und trotzdem will auch eine Pendlerin mal einen Tag ein ganz normales Familienleben haben. Damit die Liebe nicht zu kurz kommt. Doch die Bahn diktiert die Termine - und funkt schon mal gern dazwischen.
30.04.2010
Von Ursula Ott

Meine Woche vom 25. bis 30. April

Sonntag

Die Bombe! Bist du blöd? Du bist so doof! Oh je, man möchte nicht mit meinen Kindern im selben Großraumwagen sitzen. Wir waren am Wochenende bei Oma am Bodensee, und die Heimreise nach Köln ist voller Tücken. Triebwerkstörung. Statt vier Stunden sind wir 5,5 unterwegs. Nicht wirklich ein Problem, denn die Kinder haben ihren Laptop dabei und fünf Spiele. Doch ein Problem, denn alle im Zug verlieren spätestens ab Mannheim die Geduld. Die Erwachsenen brüllen wechselweise den Schaffner und per Handy ihre Abholer an, meine Kinder brüllen im Laptop Lego Batman an. Beides nervt extrem. Passenderweise habe ich als Zuglektüre eine Broschüre der Landesmedienanstalten zum Thema Computerspiele dabei. Die Forschung findet seit Jahren ungefähr dasselbe raus: Spiele machen entweder aggressiv ("Inhibitionsthese")oder sie leiten Aggressionen ab ("Katharsisthese"). Am wahrscheinlichsten aber ist die "Habitualisierungsthese": Man gewöhnt sich dran, ans Ballern. Und ans Rumbrüllen. Scheiß Bombe!

Montag

Ob die Habitualisierungsthese auch fürs Bahnfahren gilt? An einiges gewöhnt man sich nach fünf Jahren Pendeln. An die Anwesenheit schwitzender Menschen, ans Warten, ans Improvisieren. An einiges kann man sich nicht gewöhnen. An die blöden lauten Handytelefonate, die noch nicht mal mehr glossen-tauglich sind. Das Thema ist bei Journalisten total durch, bloß das Phänomen an sich – das ist extrem langlebig. Und jetzt werden auch noch die Silence-Abteile abgeschafft. Behauptet zumindest ein Sitznachbar heute morgen. Der wird von der Schaffnerin höflich gebeten, er möge das "Pssst!"-Zeichen beachten. Gut, er könnte jetzt einfach aufhören zu telefonieren. Oder rausgehen. Aber er macht ein Riesentheater. "Ich bin selber bei der Bahn AG beschäftigt", oberlehrert er rum, "das müssten Sie als Servicekraft doch wissen, dass die Piktogramme in den nächsten Tagen abgeschraubt werden." Die Lektion "Ich-weiß-es-besser" dauert doppelt so lang wie das Handytelefonat und ist doppelt so laut. Wo der wohl arbeitet bei der Bahn? Im Stellwerk, wo er wenig Ansprache hat den Tag über?

Dienstag

Noch was, an das man sich nicht gewöhnen mag als Pendler. An diese Kunstsprache der Bahn. "Dieser Zug ist ausreserviert", sagt die Schaffnerin heute morgen, und es klingt wie "austherapiert". Es klingt extrem hoffnungslos, nach schwerem Schicksal. Gute Ärzte sagen solche Worte nicht, sie sagen: Wir können nicht mehr operieren, aber wir verbessern Ihre Lebensqualität. Ein guter Schaffner könnte sagen: Ich habe keinen Sitzplatz mehr für sie, aber ich biete Ihnen einen Kaffee auf unsere Kosten an.

Mittwoch

Heute gilt beim Bahnfahren die Inhibitions-These. Heute macht die Bahn extrem aggressiv. Es gibt solche Tage, an denen alles schief läuft. Bei der Fahrt von der Redaktion im Frankfurter Mertonviertel zum Hauptbahnhof bleibe ich in der U-Bahn stecken, weil sich mehrere Züge gestaut haben. Nach 45 Minuten steige ich aus, versuche per Taxi zum Hauptbahnhof zu kommen, keine Chance. Totales Verkehrschaos. Der Taxifahrer schlägt vor, direkt zum Flughafen-Fernbahnhof zu fahren, die Idee ist sehr gut, denn da kriege ich doch noch meinen Zug. Aber es kostet 40 Euro. 40 Euro! Nur um halbwegs pünktlich bei meinen Kindern zu sein. Es sind diese Tage, an denen mir der Aufwand wahnsinnig scheint, auch als Pendlerin ein normales Familienleben zu führen. Kurz vor dem Kölner Bahnhof treffe ich im ICE einen Journalistenkollegen, der jeden Tag genau dieselbe Strecke fährt wie ich. Familie in Köln, Redaktion in Frankfurt. Er ist noch gestresster als ich heute, denn er hat seiner Frau zum Geburtstag ein Abendessen im 4-Sterne-Restaurant in Köln spendiert. Und während des Essens sollen Freunde einen Baum pflanzen für sie als Überraschung. Alles genau getaktet – da darf nix schief gehen, und ausgerechnet heute herrscht das Bahnchaos. Ich drück ihm die Daumen, dass alles klappt. Pendeln und Liebe – das ist fast wie Sex nach Kalender. Bloß dass statt des Menstruationskalenders der Sommerfahrplan die Termine diktiert.

Donnerstag

Was der Kollege kann, kann ich auch. Mein Lebensgefährte und ich beschließen heute abend Spargel zu kochen, so ganz normal halt, wie andere Menschen das auch machen, die nicht jeden Tag pendeln. Er kauft Spargel in Darmstadt, wickelt ihn in nasse Tücher, setzt sich um 17 Uhr in ein Auto der Mitfahrzentrale und fährt nach Köln. Ich kaufe Schinken am Frankfurter Hauptbahnhof, setze mich um 17.30 in den ICE und fahre nach Köln. Na also, geht doch. Jaja, Spaghetti bei Rewe in Köln kaufen wär einfacher – aber mir geht’s wie gestern dem Kollegen mit dem 4-Sterne-Restaurant: Ab und zu will man sich selber und anderen beweisen, dass man auch als Pendler ein gutes Leben haben kann.

Freitag

Ein gutes Leben, das heißt trotz aller Orga für Pendler auch: mal immobil Daheim bleiben. Ich habe einen Urlaubstag genommen und bleibe heute wie Oblomov in meiner Höhle. Es gilt heute die Katharsis-These. Das Bahnfahren war diese Woche wie ein reinigendes Gewitter. Draußen heute auch Blitz und Donner. Prima, ich bleib drin. Schönes Wochenende!


Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de.

Neu im Buchhandel: Ursula Ott: "JA TOLL - Geschichten, die immer nur mir passieren", erhältlich im chrismon-shop!

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