Terrorismus: Die Angst fährt immer mit

Terrorismus: Die Angst fährt immer mit
Einen Tag nach den Terror-Anschlägen von Moskau fährt die Angst mit. Wer heute in die Metro steigt, hat die Bilder vom 29. März 2010 noch im Kopf. 39 Menschen starben bei den Selbstmordattentaten. Was wollen Terroristen damit erreichen? Wie kann sich eine Gesellschaft vor Terrorismus schützen, wie verhindert man, dass Terroristen erfolgreich sind?

Am Morgen nach den Anschlägen von Moskau. Man sitzt in der U-Bahn, schaut sich um, und unwillkürlich schleicht sich die Angst ein: Was, wenn hier auch ein Attentäter sitzt? Die Wahrscheinlichkeit ist gering, das weiß eigentlich jeder. Aber um die Angst kommt man nicht herum. Gleichzeitig patrouillieren schwer bewaffnete Polizisten durch den Flughafen. Macht uns das nun sicherer? Vielleicht, vielleicht nicht, aber der Anblick einer Maschinenpistole macht jedenfalls auch Angst.

Das ist es, was Terroristen wollen. "Zum einen wollen sie Angst verbreiten, aber ein sehr wichtiges Ziel ist auch, eine Überreaktion des Staates zu erzielen", erklärt Michael Bauer, Terrorismus-Experte am Centrum für angewandte Politikforschung der Universität München. Die Rollen von Staat und Terrorist als Gut und Böse werden dadurch vertauscht: Der Staat delegitimiert sich durch Überreaktion – viele Bürger fühlen sich unwohl bei dem Gedanken an verstärkte Sicherheitsgesetze, mehr Kameras, Telefonüberwachung und Polizisten an jeder Ecke.

Gefahr nicht zu hoch hängen, aber auch nicht untertreiben

"Sekundär-Prävention" nennt Experte Bauer diese Reaktion des Staates. Bekämpft werden damit aber nur die Symptome, wenn überhaupt. An die Quelle des Terrorismus rührt das nicht. Dafür braucht der Staat einen tieferen Blick: Warum handeln die Terroristen so, was motiviert sie? Welche strukturellen Bedingungen machen sie zu Terroristen? Ein Beispiel, wie so etwas gehen kann, wird in Deutschland schon länger praktiziert. Es gibt Programme für die Familien von Rechtsextremisten, die ihnen helfen sollen, mit der Radikalisierung umzugehen und gegensteuern zu können. "Solche Modelle wären auch im Bereich der Terrorismusbekämpfung in Deutschland und Westeuropa denkbar", sagt Bauer. Denn wegen eines radikalen Familienmitgliedes gingen nur die wenigsten zu den Behörden, auch nicht bei islamistischem Terrorismus.

Gegen die Angst in der Bevölkerung, die nach einem Anschlag kommt, können solche Programme aber auch nichts tun. Das ist eine Frage der Kommunikation: "Im Vorfeld braucht man eine abgestimmte Kommunikationspolitik", sagt Michael Bauer. Die Bedrohung sollte man nicht zu sehr herunter spielen, wenn es eine echte Bedrohung gibt, aber man darf sie auch nicht zu hoch hängen: "Es ist kein Kampf der Zivilisationen, sondern ein abscheuliches Verbrechen, dem mit den Mitteln des Rechtsstaates begegnet wird", so beschreibt Bauer den Mittelweg, den der Staat da finden muss.

Entscheidend für die Angst: Könnte es auch mir passieren?

Beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) klingt das ähnlich. Die Ängste müsse man versachlichen, sagt BKK-Sprecherin Elena Schulz, und zu einer sachlichen Darstellung des Themas zu gelangen. So könne man die Angst deutlich vermindern. Für Betroffene und Angehörige von Terroropfern gibt es im BBK die Koordinierungsstelle NOAH (Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe). Dort finden Opfer und Angehörige Seelsorge, die Vermittlung von psychologischer Therapie und Verwaltungshilfe beispielsweise beim Terroropferfonds der Regierung. NOAH betreut aber nur Einzelfälle, auch nach Katastrophen wie dem Erdbebe von Haiti.

Vorsorglich ist NOAH aber nicht unterwegs. Die Angst jedes Einzelnen nach einem Anschlag, sei es in New York, London, Madrid oder Moskau, ist auch Sache jedes Einzelnen. Für die Bevölkerung ist die Frage besonders wichtig: Könnte ich auch davon betroffen sein? "Wenn erreicht wird, dass die Menschen sehen, dass für sie persönlich keine wirkliche Gefahr besteht, schwindet die Angst", heißt es beim BBK.

"Es gibt keine absolute Sicherheit"

Dabei spielt der Ort und Kontext der Anschläge eine große Rolle. Nach dem 11. September und dem Zusammenbruch der Zwillingstürme des World Trade Centers in New York fürchteten sich 86 Prozent aller Europäer vor einem terroristischen Anschlag. 2009 hielten nur noch vier Prozent der Europäer Terrorismus für eines der beiden wichtigsten Probleme - in Spanien allerdings waren es zwölf Prozent, zu erklären mit den Anschlägen von Madrid und der ständigen Bedrohung durch die baskische ETA. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Angst mit konkreten Ereignissen eher zusammenhängt als mit einer abstrakten Bedrohungslage.

Aber auch wenn die gefühlte Sicherheit steigt, je weiter weg der letzte Anschlag ist: Die Kluft zwischen Sicherheit und Freiheit lässt sich nie schließen. "Das wird ein Staat immer bis zu einem gewissen Grad aushalten müssen", erklärt Bauer: "Es gibt keine absolute Sicherheit." Vor allem in einem solchen Konflikt wie im Nordkaukasus. Dort schwelt der Kampf schon seit Jahren, und es ist eine extrem blutige Auseinandersetzung. Russische Truppen gehen gnadenlos gegen tschetschenische Rebellen vor, die wiederum schlagen mit Terror zurück, vom Überfall auf ein Moskauer Musical-Theater 2002 (170 Tote) über den Angriff auf eine Schule in Beslan 2004 (362 Tote) bis zu den aktuellen Anschlägen (39 Tote) – es gibt noch mehr Beispiele: Seit 2002 gab es dort mindestens 12 Anschläge mit mehr als zehn Toten.

Eskalation des Terrors aus religiösen Gründen

"Das hier ist eine Kriegssituation", beschreibt Bauer den Konflikt. Die hohen Opferzahlen garantieren den Terroristen Aufmerksamkeit. Das ist ihre Währung, der Lohn für ihre Anschläge. Bauer: "Wenn sie eine Büste eines russischen Politikers sprengen, wird das keinen interessieren." Zusätzlich zur Aufmerksamkeit erzwingen die Terroristen so eine Überreaktion des Staates, die wiederum in den betroffenen Gebieten neue Terroristen hervorbringt. Wie auch bei den jüngsten Anschlägen sind es oft Selbstmordattentäter, die für viele Tote sorgen, weil sie sich gezielt inmitten einer Menschenmenge in die Luft sprengen.

Palästinensische Terroristen und die "Tamil Tigers", eine Rebellengruppe auf Sri Lanka, gelten als Vorreiter des Selbstmordattentates. Sie machten die "Waffe Mensch" unter Terrorgruppen seit dem 80er Jahren wieder populär. Selbstmordattentate und die vielen Opfer stellen den nordkaukasischen Terror in eine Reihe mit anderen Formen des islamistischen Terrors. "Es hat eine Eskalation stattgefunden", meint Bauer. Ein Grund dafür ist der Kontext, aus dem dieser Terrorismus entsteht: "Es ist empirisch nachgewiesen, dass religiös motivierter Terrorismus mehr Opfer in Kauf nimmt."

Spezielles Phänomen der "Schwarzen Witwen"

Selbstmordattentäter sind allerdings keine Menschen, die aus einer ausweglosen Lage heraus handeln. Sie sind in der Regel überzeugt von dem, was sie tun. Befehle und das Gefühl, einen "Akt der Ehre" zu begehen, spielen eine große Rolle dabei. Im Kaukasus sind es oft Frauen, die sogenannten "Schwarzen Witwen". Häufig haben sie ihre Männer im Krieg verloren und greifen dann selbst zu den Waffen. "Was da im Nordkaukasus passiert, ist glaube ich ein spezielles Phänomen", sagt Michael Bauer mit Blick auf die "Schwarzen Witwen".

In Deutschland warnt das Innenministerium regelmäßig vor der Terrorgefahr hierzulande. Warum und was die Bevölkerung daraufhin tun soll, weiß keiner so genau. Nur eines ist klar: Hätten beispielsweise die Kofferbomber von Köln im Sommer 2006 ihre todbringende Fracht erfolgreich gezündet, hätten wir hier die gleiche Angst, in einen Regionalzug zu steigen, wie die Moskauer jetzt in ihrer Metro.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Wissen und schreibt das Blog "Angezockt".