Allein im Bistum Trier wurden in den vergangenen Wochen neue Vorwürfe gegen 20 Priester bekannt. Sie beziehen sich alle auf sexuelle Übergriffe im Zeitraum von 1950 bis 1990, sagte der Missbrauchs-Beauftragte des Bistums Trier, Rainer Scherschel, am Montag. Zehn der Beschuldigten seien bereits gestorben. Zwei Fälle seien trotz Verjährung bei der Staatsanwaltschaft angezeigt worden. Bischof Stephan Ackermann sagte, das Ausmaß der Missbrauchsvorwürfe sei "erschreckend". Er bat weitere Opfer, sich zu melden. "Wir wollen allen Hinweisen nachgehen."
Ackermann leitet auch als Sonderbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz die Missbrauch-Aufarbeitung in der katholischen Kirche. Er hat dieses Amt vor wenigen Wochen übernommen. Am Dienstag will der Bischof eine bundesweite telefonische Beratungshotline für Opfer sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen vorstellen, die am gleichen Tag freigeschaltet wird. Träger ist die Bischofskonferenz, die das Projekt in Zusammenarbeit mit der Lebensberatung im Bistum Trier durchführt.
Fälle in Weimar und Essen
Ein weiterer Missbrauchsverdacht tauchte in Weimar auf. Danach soll ein einschlägig vorbestrafter Priester aus dem Bistum Fulda, der zur Bewährung ins thüringische Weimar versetzt wurde, im Jahr 2000 ein Mädchen in einer Sakristei sexuell belästigt haben. "Die Strafanzeige ist letzte Woche bei uns eingegangen", sagte Harry Wilke, Sprecher der Staatsanwaltschaft Fulda, am Montag auf Anfrage. Da sich die Tat in Thüringen ereignet haben soll, werde die Anzeige an die Staatsanwaltschaft in Erfurt weitergeleitet. Der Pfarrer war von 1997 bis 2004 in Weimar tätig.
Auch das Bistum Essen hat einen 79 Jahre alten Priester wegen Missbrauchsvorwürfen beurlaubt. Gegen den Geistlichen sei eine kirchenrechtliche Voruntersuchung eingeleitet worden, teilte das Bistum mit. Solange sie läuft, darf der Mann keine priesterlichen Dienste ausüben. Es geht um einen Vorfall, der sich Anfang der 1970er Jahre zugetragen haben soll. Der Fall wurde der Staatsanwaltschaft gemeldet, dürfte aber strafrechtlich verjährt sein.
Starker Anstieg
Seit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen ist die Anzahl der Kirchenaustritte in München sowie in Regensburg stark angestiegen. Nach Angaben der Pressestelle des Kreisverwaltungsreferats gab es in München nach noch unvollständigen Zahlen vom 1. bis 26. März 1.339 Austritte. Im Vergleich dazu waren im März 2009 insgesamt 941 Menschen aus der Kirche ausgetreten - wobei dort nicht nach Katholiken oder Protestanten unterschieden wird.
Gründe müssen nicht angegeben werden. Aus den Äußerungen gehe aber hervor, dass die Austritte mit den Missbrauchsfällen zu tun haben, hieß es. Auch in Regensburg - wo die bekannten "Domspatzen" betroffen von dem Missbrauchsskandal sind - ist die Anzahl der Austritte stark gestiegen: Nach Angaben des Standesamts gab es im März des Vorjahres 104 Austritte. Vom 1. bis 29. März 2010 waren es 193 und damit fast doppelt so viele. 178 davon seien katholisch, 15 evangelisch gewesen, sagte eine Sprecherin.
"Schändliches Vergehen"
In einem Bußritus bat der württembergische Bischof Gebhard Fürst um Vergebung für die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Man müsse sich eingestehen, dass "Strukturen der Kirche ein Wegschauen begünstigt und die Verantwortlichen in der Kirche leichtfertig über die Schuld hinweggesehen" hätten, hieß es laut Mitteilung in dem Ritus, den der Bischof am Montag vor 150 Priestern im Rottenburger Dom hielt. Der Oberhirte der Diözese Rottenburg-Stuttgart rief die Geistlichen dazu auf, "noch größere Aufmerksamkeit gegenüber übergriffigem und missbräuchlichem Verhalten und eine christliche Kultur der Achtsamkeit" zu entwickeln.
Auch der Bischof von Münster, Felix Genn, bat die Opfer der "entsetzlichen sexuellen Übergriffe" um Vergebung. Die Kirche sei "durch diese schändlichen Vergehen schwer verletzt, ihr Antlitz entstellt", sagte Genn im Dom vor mehreren Hundert Priestern in einer Messfeier zur traditionellen Weihe der heiligen Öle. Weiter sprach Genn von einem notwendigen Prozess der Reinigung. Er fühle "tiefe Erschütterung, Beschämung und Schmerz". Das Leid der Opfer sei "unsäglich, ihre Wunden tief". Der Bischof warnte aber vor einem Generalverdacht, dem sich viele Priester ausgesetzt sähen. "Wir als Kirche sind gefordert, wahrhaft Buße zu tun, in Stellvertretung und Sühne für all das, was geschehen ist."
Priester wollen Aufklärung
Die katholischen Priester im Bistum Osnabrück setzen sich für die lückenlose Aufklärung von sexuellen Missbrauchsfällen ein. Die Kirche könne das verlorene Vertrauen nur wiedergewinnen, wenn sie die Straftaten konsequent verfolge, sagte der Sprecher des Priesterrats der Diözese, Reinhard Molitor. Der Rat ist ein Gremium, das den Bischof berät. "Das Vertrauen wiederzugewinnen wird lange dauern", sagte er. Das Bistum hatte am Wochenende einen Priester aus dem Emsland von seinem Amt entbunden, nachdem sich ein mutmaßliches Missbrauchsopfer gemeldet hatte.