Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat die Korrekturforderungen der Sozialdemokraten an den Arbeitsmarktreformen verteidigt. "Wir wollen, dass wieder Fairness auf dem Arbeitsmarkt herrscht", sagte er am Montagabend im "Heute Journal" des ZDF. "Die Leute, die arbeiten gehen, müssen auch wieder dafür anständig Geld bekommen." Ähnlich äußerte sich Gabriel auch in den ARD-"Tagesthemen". Dort kritisierte er, dass normale Arbeitsplätze Schritt für Schritt vernichtet worden seien. An ihre Stelle seien Armutslöhne, Leiharbeit und Zeitarbeit getreten. "Arbeit und Leistung muss sich wieder lohnen", sagte der SPD-Vorsitzende.
"Sozialer Arbeitsmarkt" statt Ein-Euro-Jobs
Das SPD-Präsidium hatte am Montag - sieben Jahre nach Verkündung der Reform-"Agenda 2010" durch den damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder - ein Konzept vorgelegt, um die Reformen teilweise rückgängig zu machen. Vorgesehen ist, das Arbeitslosengeld I zwölf Monate länger als bisher zu zahlen, wenn Erwerbssuchende sich beruflich weiterqualifizieren. Beim Übergang vom ALG I zum ALG II sollen es für Menschen, die vorher gearbeitet haben, je nach Dauer ihrer Beschäftigung mehr Geld geben. Leih- und Zeitarbeit sollen zeitlich befristet und ein Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt werden. Die SPD will einen "sozialen Arbeitsmarkt" mit 200.000 Beschäftigungsverhältnissen im gemeinnützigen Bereich schaffen und dafür drei Milliarden Euro aus Steuermitteln einsetzen. Und sie will bei Hartz-IV-Empfängern generell auf eine Vermögensprüfung verzichten.
Merkel spricht von "absolutem Irrsinn"
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnte den letzten Punkt am Montag in einer Sitzung der Unions-Fraktion im Bundestag strikt ab: "Das bringt das soziale System durcheinander", sagte sie nach Angaben von Teilnehmern. Damit könnten "Besitzer von sieben, acht Häusern Hartz IV beantragen. Das wäre der absolute Irrsinn", wurde die Kanzlerin zitiert. Die von der SPD vorgeschlagene Schaffung eines "sozialen Arbeitsmarktes" stufte Merkel als ursprüngliche Idee der Linkspartei ein. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte dem Handelsblatt (Dienstag): "Kurz vor der NRW-Wahl will die SPD eine hübsche Braut für die Linkspartei sein und wirft alle finanzpolitische Seriosität über Bord."
Linke fordern personelle Konsequenzen
Auch von der Linkspartei kommt Kritik. Ihr stellvertretender Vorsitzender Klaus Ernst forderte die SPD zu personellen Konsequenzen nach ihrem inhaltlichen Kurswechsel auf. Eine veränderte Politik mit den Verantwortlichen für diese Reform wie Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier oder dem früheren Generalsekretär Olaf Scholz sei nicht glaubwürdig, sagte Ernst der "Berliner Zeitung" (Dienstag). Dem politischen Kurswechsel müsse nun auch der personelle Wechsel folgen.
Auch SPD-intern wird erste Kritik laut. So sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Garrelt Duin, der "Rheinischen Post" (Dienstag): "Ein vollständiger Wegfall der Vermögensprüfung widerspricht dem Grundsatz, dass nur der die Solidarität der Steuerzahler genießen kann, der dieser Hilfe auch tatsächlich bedarf."
Gabriel verteidigt vorgesehene Ausgaben
Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sagte der Zeitung "Die Welt", die Arbeitsmarktreformen hätten deutliche Erfolge gebracht. "Ich verstehe nicht, wie man das jetzt leichtfertig aufgibt." Ein Mindestlohn von 8,50 Euro hätte gravierende Beschäftigungsverluste zur Folge, warnte Hüther.
Gabriel verteidigte in der ARD und im ZDF die vorgesehenen Ausgaben von rund drei Milliarden Euro. "Diese drei Milliarden sind ja vergleichsweise wenig gegenüber den 24 Milliarden Steuergeschenken, die die Union und die FDP verteilen wollen." Sie würden durch Umschichtungen im Haushalt - ohne höhere Schulden und Beiträge - finanziert.