Über grässliche Wirklichkeit: Drei Fragen an Ernst Elitz (13)

Über grässliche Wirklichkeit: Drei Fragen an Ernst Elitz (13)
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, verschleiernde Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - wobei er übrigens das Neue Testament als ein Vorbild sieht: Beispielhaft in seiner klaren und pointierten Aussprache sei es, ein guter Lebensentwurf für Ehrlichkeit, Aufklärung und Menschenwürde. Jeden Freitag beantwortet Ernst Elitz drei Fragen für evangelisch.de.
11.03.2010
Die Fragen stellte Frauke Weber

evangelisch.de: Am Donnerstag schaute Deutschland nach Winnenden. Ein Jahr nach dem Amoklauf fegte die Journalistenmeute erneut durch die Stadt. Wann muss - darf - man einen solchen Ort wieder in die Normalität entlassen?

Elitz: Ich möchte nicht von einer Meute reden. Der Journalismus ist ja kein kynologisches Phänomen. Journalisten haben nicht das Recht, Menschen zu jagen, sie in ihrer Trauer und Betroffenheit zu bedrängen. Aber sie müssen Wahrheitsfanatiker sein. Und dann stellt sich die Frage: Was ist normal? Ich weiss nur, das das vom Menschen angerichtete Elend auch zu unserer Wirklichkeit gehört: Mord, Gewalt und Tod. Wer die Brutalität, die sich in unserer Gesellschaft eingenistet hat, verschweigt und auf Bildern ausspart, macht sich schuldig. Das gilt auch für Winnenden. Einige Eltern haben bewusst, Fotos ihrer ermordeten Kinder ins Netz gestellt, lachend und lebenszugewandt, um ihnen nach dem Amoklauf "ein Gesicht zu geben". Mit diesen hochemotionalen Bildern konfrontierten sie die Politik und forderten eine Verschärfung des Waffenrechts. Ihr Schicksal verlieh ihnen eine Glaubwürdigkeit, die kein noch so eifriger Volksvertreter erreichen kann.

Schockierende Bilder rütteln auf. Sie stossen auch die, die gern wegsehen, auf das Problem und schärfen das Bewusstsein dafür, dass sich in unserer Gesellschaft und an unseren Schulen mehr ändern muss, als ein Wachmann vor der Haustür, eine Videokamera und ein paar Schulpsychologen. Der Schock ist Anlass über die Verrohung der Gesellschaft nachzudenken. Deshalb müssen Journalisten – ich weiss, das gefällt nicht jedem – auch die grässlichen Seiten unserer Wirklichkeit zeigen. Nur so lässt sich die Debatte über die Ursachen der Gewalt vorantreiben.

evangelisch.de: Beim ÖKT im Mai wird es eine gemeinsame Segnung von Brot, Öl und Trauben geben. So wird die Idee der "Tischgemeinschaft", die von den Christen aller Konfessionen so schmerzlich vermisst wird, zumindest auf dieser symbolischen Ebene Wirklichkeit. Ist es nicht an der Zeit für ein gemeinsames Abendmahl?

Elitz: Viele Christen nehmen es mit den strengen Konfessionsgrenzen längst nicht mehr so genau, wie die Kirchenhierarchien das wünschen. Das Symbol der Tischgemeinschaft ist eine wichtige Demonstration. Das Christentum ist bekanntlich 2000 Jahre alt. Und im Alter bewegt man sich nicht mehr so schnell. Die Christen, ob evangelisch oder katholisch, sind schneller als die Institutionen. Und deshalb werden sie auch ohne amtskirchlichen Segen solche Tischgemeinschaften in ihren Gemeinden feiern und in ihrem Verständnis zu einem gemeinsamen Abendmahl machen.

evangelisch.de: Am Freitag steht unser "Star für Oslo" fest. Brot und Spiele auf der Mattscheibe - und mittendrin Stefan Raab als Dompteur des öffentlich-rechtlichen Musikgeschmacks. Oder castet er einfach nur ins Leere?

Elitz: Gemessen an „Deutschland sucht den Superstar“ bei RTL war „Unser Star für Oslo“ eine hochseriöse Konzertveranstaltung. Pro 7 kann jetzt Fernsehgebühren verlangen, denn es ist schwer einzusehen, warum der Teil der Auswahlsendungen, die in der ARD liefen, zur Grundversorgung gehört, während der andere Teil, die Singerei bei Pro 7, als gebührenfreies Vergnügungsfernsehen durchgeht. Ich glaube, mit dieser Kooperation hat die ARD medienpolitisch ein Eigentor geschossen. Stefan Raab war in den Sendungen so brav und pointenfrei, dass die ARD auch einen soignierten öffentlich-rechtlichen Herrn hätte einsetzen können. Aber gesungen wurde besser als bei RTL. Herzlichen Glückwunsch also für Oslo!


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.