"Wer war William Shakespeare?", fragt der junge Mann auf der Couch liegend. "Ein Dichter und Lyriker. Der hat zum Beispiel Romeo und Julia geschrieben", antwortet die junge Blonde von der Couch gegenüber. "Stimmt! Das ist ja das Deppengeschwätz, wo ich nach zehn Minuten weggeschaltet habe", entgegnet der Mann. Mit derartigen Bekenntnissen erreichte das deutsche Privatfernsehen zeitweise über 20 Prozent der 14- bis 49-Jährigen Zuschauer. Die Fans schalteten nicht nur ein, sie pilgerten auch in Scharen zu einem Container im bis dato weitgehend unbekannten Kölner Vorort Hürth.
"Mit einer Jury hätte das nicht funktioniert"
Deutschland, 1. März 2000: Der Privatsender RTL II zeigt fünf Männer und fünf Frauen in einem von der Außenwelt abgeschnittenen Wohncontainer. Dutzende Kameras und Mikrofone sorgen dafür, dass sie rund um die Uhr aufgezeichnet werden. Von Wohnkomfort keine Spur. Warmes Wasser und Lebensmittel gibt es nur begrenzt. Fernsehen, Computer und Telefone gar nicht. Alle zwei Wochen stimmen die Zuschauer darüber ab, wer den Container verlassen soll. "Big Brother" war auf Sendung, der Vorläufer einer ganzen Welle sogenannter Trash-TV-Sendungen.
Was RTL II damals "Back To Basic" nannte, bezeichnet der Fernsehwissenschaftler Lothar Mikos heute als innovativ. "Das war eine Grundkonstellation, die bis dahin noch nicht da war", sagt er. Das Konzept von "Big Brother" ging seiner Ansicht nach auch deswegen so gut auf, weil die Zuschauer sich aktiv am Geschehen beteiligen sollten. "Mit einer Jury hätte das nicht funktioniert", so Mikos.
Experte: Auch Politiker trugen zum Hype bei
Die Medien bescherten mit ihrer umfangreichen Berichterstattung der ersten Staffel von "Big Brother" Traumquoten. "Sie waren alle mit dabei, weil sie es interessant gefunden haben", sagt Mikos. Auch Politiker trugen mit Verbotsforderungen - weil die Sendung ja gegen die Menschenwürde verstoße - noch vor Sendestart zum allgemeinen Hype bei. Medienwissenschaftler Mikos sieht dieses Argument kritisch: "Im Prinzip ist es immer schon so gewesen, dass die besser Gebildeten den weniger gut Gebildeten versuchen, die Menschenwürde abzusprechen, wenn diese sich zum Affen machen."
Die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bahr, ist da ganz anderer Meinung. "Big Brother" lebe von der Idee, Menschen in ihren privatesten Zusammenhängen zuzusehen. Gerade die Trennung von Öffentlichem und Privatem sei jedoch die größte Errungenschaft der Aufklärung, sagt Bahr. "Menschen haben lange dafür gekämpft. Es leuchtet mir einfach nicht ein, dass man das freiwillig preisgibt, nur weil es Leute gibt, die diese Grenze mit Füßen treten."
"Realityshows müssen nicht authentisch sein"
"Big Brother" konnte in den Folgenjahren nicht wieder an den Erfolg der ersten Staffel anknüpfen. Auch wenn RTL II das Sendekonzept etliche Male verschärfte und variierte, brachen die Quoten ab der dritten Staffel dramatisch ein. Schnell wurde der Sendung das Aus bescheinigt. Dass sie heute immer noch bei RTL II läuft, wundert den Medienwissenschaftler Mikos allerdings nicht: "Mich verwundert eher, dass solchen Dingen immer sehr schnell das Ende bescheinigt wird. Wenn der Hype weg ist, ist das Phänomen noch lange nicht weg."
Dafür spricht, dass heute zwar kaum einer noch "Big Brother" guckt, die Nachfolgeformate, etwa die RTL-Sendung "Ich bin ein Star - holt mich hier raus!", sich aber weiterhin großer Beliebtheit erfreuen. Lothar Mikos hat eine Erklärung für das Erfolgsrezept dieser Shows: "Realityshows müssen nicht authentisch sein. Es reicht, wenn sie es versprechen."