Die Richter des Oberverwaltungsgerichts Koblenz hatten lediglich über die Zulassung einer Berufung zu befinden, doch dafür brauchte es grundsätzliche Aussagen über den Zustand der Gesellschaft. Und die hat sich nach ihrer Ansicht nicht geändert, also sollen auch die Vorschriften so bleiben, wie sie sind.
Ein ehemaliger Architekt im fortgeschrittenen Alter hatte "gewandelte sittliche Anschauungen der Bevölkerung" geltend gemacht und vor dem Verwaltungsgericht gegen die Pflicht, eine Urne herkömmlich zu bestatten, geklagt. Seine Klage wurde abgewiesen, eine Berufung nicht zugelassen. Das Oberverwaltungsgericht entschied nun, das sei rechtens.
Wie groß ist die Scheu vor dem Tod?
Der hoheitliche Umgang mit den Toten hat Tradition: Die Bestattungspflicht besteht bereits seit dem Mittelalter – unabhängig von der Art, was mit der Leiche geschieht. Bis heute genießen Aschenreste den gleichen Anspruch auf pietätvolle Behandlung und Wahrung der Totenruhe wie erdbestattete Leichen. So steht es etwa im Standardwerk "Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts".
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Bestattungsrecht ist seit rund 100 Jahren Ländersache. Sinngemäß schreibt es landauf, landab fest: Eine Feuerbestattung besteht erstens aus der Einäscherung der Leiche und zweitens aus der Beisetzung der Asche in einer Grabstätte. Der Vorgarten aber ist keine Grabstätte.
Mit Tricks lassen sich die Gesetze umgehen
Die Koblenzer Gerichtsentscheidung bezieht sich auch auf "die Scheu der Bevölkerung vor der Begegnung mit dem Tod" und das gemeinsame "Anliegen, die Allgegenwärtigkeit privater Aufbewahrung von Aschen oder Urnen aus der Feuerbestattung zu vermeiden". Das erscheint nachvollziehbar: Wohin mit all den Urnen, die über die Jahre zusammenkommen?
Was sich so eindeutig liest, ist es freilich längst nicht mehr. Tatsächlich umgehen schon jetzt manche Hinterbliebene mit Tricks den Friedhofszwang. Sie beauftragen etwa ein holländisches Unternehmen mit der Seebestattung einer Urne, lassen sich diese aber stattdessen vor Ort aushändigen – und bringen sie auf eigene Faust zurück nach Deutschland. So landet Omas Asche unter Umständen doch noch im Garten. Das ist zwar illegal, wird aber kaum verfolgt und - wenn überhaupt - milde bestraft.
Für Prominente gelten andere Regeln
Zudem ist in der Sprache der Juristen der Friedhofszwang ein "repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt". Was bedeutet: Alle sind gleich, aber einige sind gleicher. Die zuständigen Kommunalbehörden können Ausnahmen von der Regel zulassen, wenn ein öffentliches Interesse besteht.
Bei dem 1996 gestorbenen Rocksänger Rio Reiser war das Interesse offenbar gegeben. Er sollte nach dem Willen seiner Angehörigen auf dem Grundstück der ehemaligen Musikkommune "Ton Steine Scherben" beerdigt werden. Der Kreis Nordfriesland und die damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis unterstützten das Anliegen – seitdem pilgern Fans des Musikers zu seinem Grab im niedersächsischen Fresenhagen.
Die Bräuche ändern sich
Das Beispiel Rio Reiser führt auch der Trierer Rechtsanwalt Siegbert Busse an, der den jetzt unterlegenen Kläger gegen den Friedhofszwang vertritt. Busse findet die Position deutscher Richter "etwas antiquiert" und bedauert die "unzeitgemäße Rechtslage". In vielen anderen Ländern seien Urnenbestattungen längst üblich, sagt Busse, der gemeinsam mit seinem Mandanten weitere Rechtsmittel erwägt – bis hin zur Normenkontrollklage.
Dass man sich auf kurz oder lang nicht vollständig gegen die Sitten abschotten kann, die woanders gelten, das räumen auch die Oberwaltungsrichter ein: "Eine gegenseitige Anpassung kultureller Anschauungen" sei mit der Zeit denkbar. Ein "grundsätzlicher Anschauungswandel" sei aber noch nicht zu beobachten - was auch daran liegen mag, dass die Menschen sich nicht an das gewöhnen können, was verboten ist. Obwohl sich manch einer gern die Bestattungskosten ersparen würde.
Jenseits aller Kultur- und Kostenaspekte betont ein Diskussionspapier der EKD , wie wichtig das traditionelle Bestattungsritual ist. Immer wieder bekämen Hinterbliebene, die etwa einer anonymen Beerdigung zugestimmt haben, mit der "Ortlosigkeit der Trauer" erhebliche Probleme.
"Ein konkreter Erinnerungsort, ein identifizierbarer Grabstein, ja schon ein umgrenzter Bereich auf einem Friedhof haben für nicht wenige Menschen zentrierende und darum heilende Bedeutung", heißt es in dem Papier weiter. Im eigenen Garten geht diese Bedeutung eher verloren – erst recht für Menschen, die zu einer solchen privaten Ruhestätte schlicht keinen Zugang haben.
Thomas Östreicher ist freier Journalist in Hamburg und Frankfurt.