"Setze mich als Christ auch für Religionsfreiheit der Bahai ein"

"Setze mich als Christ auch für Religionsfreiheit der Bahai ein"
Den kommenden Sonntag hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zum "Tag der bedrängten und verfolgten Christen" erklärt. Was hat es mit Christenverfolgung heute auf sich? Evangelisch.de hat den in Südafrika lebenden Theologen und Religionsfreiheit-Experten Christof Sauer gefragt. Im Interview erklärt er, was zu Verfolgung führt, wie Betroffene damit umgehen und warum die Hoffnung aufs Jenseits mehr ist als billige Vertröstung.
19.02.2010
Die Fragen stellte Ulrich Pontes

evangelisch.de: In Deutschland kennt man, dass Leute sich spöttisch vom christlichen Glauben distanzieren - aber Christenverfolgung habe ich konkret noch nicht erlebt. Vermutlich ist Ihre Perspektive von Südafrika aus eine andere?

Christof Sauer: Von Christenverfolgung im Sinne von Gewalt sind Christen in Deutschland in der Tat kaum betroffen. In nicht wenigen "nicht-westlichen" Ländern ist die Lage der Christen dagegen nicht selten eine andere. Entsprechend unterschiedlich wird zumeist auch theologisch mit dem Thema umgegangen. In unseren westlich geprägten Kulturen fragen wir gerne kritisch, mitunter vorwurfsvoll: "Wie kann Gott das zulassen?!" Von betroffenen Christen aus anderen Teilen unserer Welt höre ich aber häufig den Gebetsruf: "Gott, hilf uns!" Oder die Bitte an uns: "Betet für uns!". Unter Christen in Bedrängnis, Verfolgung und Not entsteht meist eine vertrauensvolle Nähe zu Gott und ein Wissen um die Kraft der Fürbitte. Das ist tatsächlich eine andere Perspektive, besser: eine andere Erfahrung. Die habe ich gelernt mit Christen hier in Afrika zu teilen.

"Oft wird Gewalt gegen Personen oder Gebäude ausgeübt"

 
evangelisch.de: Wie sieht die Verfolgung konkret aus?

Sauer: Ein Beispiel aus Nigeria: Da wird plötzlich per Lkw ein Mob von Leuten angekarrt, die in Soldatenuniformen verkleidet über Christen herfallen, sie in ihre Häuser treiben und die Häuser anzünden - oder das gleiche mit den Kirchen machen. Das heißt, oft wird tatsächlich Gewalt gegen Personen oder Gebäude ausgeübt.

Um ein wenig auszuholen: Religionsfreiheit ist in 64 Ländern sehr stark eingeschränkt oder nicht vorhanden - das betrifft 70 Prozent der Weltbevölkerung. Weil der Begriff der Verfolgung so schillernd ist, eine Definition: Unter Verfolgung verstehe ich, dass jemand einem anderen ungerecht und mit übler Absicht nachstellt und dabei Schaden anrichtet. Das gilt auch, wenn der Verfolger den Sachverhalt bestreitet. Wie groß der Schaden ausfällt und in welcher Weise das Opfer beeinträchtigt wird, ist egal. Speziell von Christenverfolgung rede ich nur dann, wenn die Opfer nicht verfolgt würden, wenn sie nicht als Christen betrachtet würden.

Nun ist die Wirklichkeit, zum Beispiel auch in Nigeria, sehr komplex. Christen sind in zahlreichen Ländern nicht nur religiöser, sondern auch ethnischer, politischer, wirtschaftlicher und anderer Verfolgung ausgesetzt. Und, auch das muss klargestellt werden: Nicht jede Verfolgung bedeutet gleich Gewalt. Christen leiden auch unter den unterschiedlichsten Stufen von Intoleranz, Diskriminierung, Ausschreitungen und Unterdrückung. Auch das ist Verfolgung, auch das sollte man nicht herunterspielen.

"Christen sind überproportional von Verfolgung betroffen"

 
evangelisch.de: Warum passiert Verfolgung? Wird hier der oft beschworene Krieg der Kulturen Wirklichkeit?

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Sauer: Für religiöse Gewalt ganz allgemein sehe ich drei Hauptfaktoren: gesellschaftliche Verfolgung, staatliche Verfolgung und bewaffnete Konflikte. Im ersten Fall versuchen nichtstaatliche Gruppen, religiös Andersdenkende zu reglementieren. Paradebeispiel ist Indien, dort versuchen nationalistische Kräfte ein Monopol des Hinduismus zu sichern. Aber auch in Indonesien und Bangladesch gibt es nichtstaatliche religiöse Verfolgung, um nur die bevölkerungsreichsten Länder zu nennen. Dann staatliche Verfolgung: Wie der Name sagt, speist sie sich aus dem Versuch von Regierungen, Religionen zu reglementieren. Auch dabei kommt es zum Teil zu Gewaltausübung. Beispiele für staatliche Verfolgung sind China und Vietnam – bei allen Verbesserungen im letzten Jahrzehnt wird dort Religion oft noch als politische Bedrohung des Systems angesehen. Diese beiden Faktoren - sozialer Druck und staatlicher Druck - sind auch oft kombiniert und verstärken sich gegenseitig, wie in Pakistan, Iran und Ägypten, wo eine Religion sowohl das gesellschaftliche als auch das politische Monopol hat oder erreichen will.

evangelisch.de: Und der dritte Faktor?

Sauer: Der kommt noch hinzu, etwa im Irak. In bewaffneten Konflikten werden Anhänger einer bestimmten Religion oft mit dem Feind identifiziert und zu einer Zielscheibe. Von all diesen Aspekten von Verfolgung und Bedrängnis sind Christen überproportional betroffen.

evangelisch.de: Sie meinen, Christen werden im Vergleich zu anderen Religionsanhängern überdurchschnittlich stark verfolgt? Warum?

Sauer: Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es eben viele Christen auf der Welt gibt, und dass die Zahl gerade in Ländern ohne Religionsfreiheit, wie China, besonders stark zunimmt. Ein anderer Faktor ist, dass der christliche Glaube - ähnlich wie etwa der Islam - eine missionarische Religion ist, und dass Bezeugung des Glaubens manchmal auf Widerstand stößt.

Drei Optionen angesichts von Verfolgung

 
evangelisch.de: Läge hier nicht ein Schlüssel, der Verfolgung entgegenzuwirken oder auszuweichen: Sich lieber unauffälliger verhalten und vermeiden, zum Stein des Anstoßes zu werden?

Sauer: Im indischen Bundesstaat Orissa wurden auch viele Menschen verfolgt, die nur dem Namen nach Christen sind. Und die Christen, die aus dem Irak vertrieben wurden, haben nie missioniert. Das hat auch nichts genützt. Trotzdem gilt: Als Christen sind wir aufgerufen, falschen Anstoß zu vermeiden und angesichts von Verfolgung weise zu handeln. Ganz grundsätzlich sehe ich nach biblischem Vorbild drei gute Antworten auf Verfolgung: ihr zu widerstehen, sie zu vermeiden oder sie zu ertragen. Zum Widerstand: Auch Jesus und Paulus haben Unrecht beim Namen genannt und zum Beispiel gefragt: "Warum schlägst du mich" oder, im Fall von Paulus, auf dem römischen Bürgerrecht bestanden. Das heißt, gegenüber der Obrigkeit dürfen wir uns auf unser Recht berufen, Religionsfreiheit und andere Menschenrechte einfordern, Rechtsmittel einsetzen. Wo das nicht möglich ist, kann es manchmal klug sein, Anfeindungen auszuweichen - auch dafür liefern Jesus und Paulus Beispiele. Aber der Preis, den Glauben zu leugnen oder ihm abzuschwören, wäre zu hoch.

evangelisch.de: Und ihn einfach ins Verborgene zu verlegen, in die Privatsphäre?

Sauer: Das ist ein westliches Konzept, dass Religion eine Privatsache sei. Aber zum christlichen Glauben gehört es, ihn zu bezeugen. Wohlgemerkt auf friedliche, taktvolle, der Kultur angemessene Weise - da bin ich durchaus gegen alles Triumphalistische und gegen falschen Anstoß. Aber häufig treffen sich bedrängte Christen ja schon heimlich, still und leise - in der Türkei etwa versammeln sich die meisten evangelischen Christen in Privathäusern. Nur an Ostern und Weihnachten mieten sie einen Saal in einem Hotel, um Freunden die Möglichkeit zu geben, mit ihnen zu feiern. Trotzdem gibt es Widerstand gegen den christlichen Glauben. Und dann ist eben die dritte Option angesagt: Ertragen und Ausharren.

"Es gibt kein Christentum ohne das Kreuz"

 
evangelisch.de: Sie beschäftigen sich nun als Theologe schwerpunktmäßig mit solchen Situationen der Verfolgung und des Leids. Was kann die Theologie dazu sagen?

Sauer: Was Theologie zu sagen hat, geht über das hinaus, was Politiker und Menschenrechtsaktivisten sagen können. Deren Einsatz ist unbestritten wichtig! Aber wir brauchen auch eine christliche Innensicht - und das heißt, Leiden für Christus, Verfolgung und Martyrium von der Bibel her zu deuten. Da müssen wir, wie Bonhoeffer, von der Nachfolge reden.

evangelisch.de: Also vom Glauben als einer ernsten Sache, im Gegensatz zu einem reinen Wohlfühl-Christentum?

Sauer: Ja, es läge sicher im Trend der Zeit, Leid zu vermeiden und Bedürfnisse möglichst schnell zu befriedigen. Aber ich denke, wir müssen uns hüten vor einem Christentum ohne das Kreuz. Ohne das Kreuz von Jesus und ohne das Kreuz seiner Nachfolger. Es gibt kein Christentum ohne das Kreuz. In der Bibel lese ich: Wer den Weg mit Jesus gehen will, muss mit allem rechnen, von Spott bis zum Martyrium - auch wenn das Martyrium am Ende nur vergleichsweise wenige trifft. Aber da lese ich auch, im Neuen Testament: Wer mit Jesus Schmach erleidet, dem verspricht er zukünftige Herrlichkeit.

evangelisch.de: Zumindest säkulare Menschen wenden hier ein, das sei billige Jenseitsvertröstung.

Sauer: Nein, das ist ein echter Trost, dass es noch mehr gibt als die Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten dieser Welt. Wir haben die Zusage, dass Gott regiert und am Ende sein Gericht halten wird. Christen sind ja auch nicht jenseitsfixiert, dass sie die Verfolgung suchen und sich ins Martyrium stürzen würden - im Gegenteil. Sie lieben das Leben und setzen sich für ihre Stadt, ihr Dorf, ihre Gesellschaft ein. Doch wenn uns Hass und Verfolgung treffen, wie kommen wir dann über Protest und Empörung hinaus? Ich meine, nur eine Kraft jenseits dieser Welt kann uns zu einem Glauben und einer Hoffnung befähigen, die standhaft bleiben. Nur eine Kraft jenseits dieser Welt ermöglicht Liebe statt Hass, Vergebung statt Vergeltung und eine Freude, die denen angemessen ist, denen das Himmelreich gehört.

Wenn ein Verfolgter den Peinigern in christlicher Liebe begegnet

 
evangelisch.de:
Aber, platt gefragt, funktioniert das denn?

Sauer: Ich erinnere mich an einen rumänischen Pfarrer, den ich im September bei einer Theologen-Tagung in Bad Urach getroffen habe. Er erzählte, wie er noch zu Zeiten des Kommunismus ins Gefängnis kam und aufgefordert wurde, seinem Glauben abzuschwören und mit dem Staat zu kooperieren - oder ausgewiesen zu werden. Er hat mich schwer beeindruckt: Seine tiefe Verwurzelung im Glauben, seine tiefe Liebe zu Jesus haben ihn deutlich geprägt und ihm Standhaftigkeit und die Kraft gegeben, selbst den Leuten, die ihn so gepiesackt haben, in christlicher Liebe zu begegnen. Das kriegt doch kein Mensch sonst hin!

evangelisch.de: Nun haben Sie die Frage schon zu Beginn als typisch westlich charakterisiert, trotzdem will ich sie stellen: Warum lässt Gott zu, dass seine Getreuen Verfolgung erleiden?

Sauer: Nach biblischem Zeugnis kann Gott auch daraus etwas machen, das mit in seinen Plan einbauen. Gott hat auch zugelassen, dass sein Sohn gekreuzigt wurde wie ein Terrorist - und Gott hat das gebraucht, um die Menschheit zu erlösen! Es ist wie mit einem Teppich, den man von der Vorderseite oder der Rückseite betrachten kann - wir haben die Perspektive von hinten, und da ist das Muster nicht immer zu erkennen. Aber die Bibel macht uns deutlich, dass Gott das Leiden seiner Zeugen benützen kann, um sein Reich zu bauen, dass es für ihn unterm Strich Sinn macht.

evangelisch.de: Die Evangelische Kirche in Deutschland hat dieses Jahr erstmals einen Gedenk- und Gebetstag für verfolgte Christen ausgerufen.

Sauer: Damit kommen wir zu einer vierten Reaktion auf Verfolgung: Wer nicht direkt betroffen ist, der ist als Christ zum Einsatz für und zur Solidarität mit den Verfolgten gerufen. Das heißt, die Verfolgung von Christen öffentlich zu machen - nicht um Feindbilder von den Verfolgern aufzubauen, nicht um Rache oder Vergeltung zu fordern, sondern im Einsatz für Gerechtigkeit, als Teil christlicher Weltverantwortung. Übrigens fordern Christen Religionsfreiheit ja nicht nur für sich selbst, sondern für Anhänger aller Religionen und Weltanschauungen. Religionsfreiheit ist unteilbar.

"Gebet ist eine Tat, die durch nichts anderes ersetzt werden kann"

 
evangelisch.de:
In der Minarett-Diskussion gab es auch andere Töne, nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir.

Sauer: Christen sollen auf Verfolgung in christlicher Weise und nicht mit dem gleichen Maß reagieren. Ich setze mich als Christ auch für freie Religionsausübung der Bahai im Iran, der Aleviten in der Türkei oder von Muslimen in Indien ein - ohne dass ich ihre Weltanschauung teile! Die Liste könnte man natürlich fortsetzen.

evangelisch.de: Was versprechen Sie sich von dem Gedenk- und Gebetstag?

Sauer: Der Sinn solch eines Gebetstags ist, überhaupt an die Sache zu erinnern. Das Phänomen religiöse Verfolgung ist sehr viel größer, als es in der Presse oder auch in der Kirche normalerweise wahrgenommen wird. Und natürlich steht das Gebet im Mittelpunkt. Die Aufgabe, an die Verfolgten und auch an ihre Verfolger in der Fürbitte zu denken, können wir als Christen ja an niemanden abgeben. "Gebet ist eine Tat, die durch nichts anderes ersetzt werden kann", hat der frühere württembergische Bischof Hans von Keler gesagt. In diesem Sinne ist Fürbitte die erste und wichtigste Reaktion auf Verfolgung. Deshalb hoffe ich, dass möglichst viele Gemeinden den Tag für bedrängte und verfolgte Christen mit innerer Überzeugung begehen - und dass eines Tages die großen Kirchen in Deutschland sich vielleicht auch noch auf einen gemeinsamen Termin dafür einigen können.


Dr. Christof Sauer ist evangelischer Pfarrer, promovierter Missionswissenschaftler und arbeitet in Kapstadt (Südafrika) als stellvertretender Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit, das zur Evangelischen Allianz auf Weltebene gehört und weitere Sitze in Bonn und Colombo (Sri Lanka) hat. Er gibt das Internationale Journal für Religionsfreiheit heraus und beschäftigt sich wissenschaftlich-theologisch mit den Fragen nach Religionsfreiheit, religiöser Verfolgung und einem christlichen Umgang damit. Sauer bietet in der Karwoche ein Blockseminar zu diesem Thema an der Humboldt-Universität in Berlin an, das Gasthörern offensteht.

Ulrich Pontes ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut schwerpunktmäßig das Ressort Politik.