Am Pranger wird es eng

Am Pranger wird es eng
Viele Reiche stehen derzeit am Pranger, weil sie ihr Geld lieber in die Schweiz schaffen, als in Deutschland Steuern zu bezahlen. Und auch auf Hartz-IV-Empfänger wird mit dem Finger gezeigt: arbeitsscheu. Beiden Gruppen wird unterstellt, dass sie sich auf Kosten anderer gut gehen lassen.
19.02.2010
Von Stephan Krebs

Am Pranger wird es allmählich eng. Seit einigen Wochen stehen da viele Reiche, weil sie für ihr Geld lieber Zinsen in der Schweiz kassieren als Steuern für Deutschland zu zahlen. Nun kommen noch die Armen dazu. Da gibt es welche, die machen es sich mit Hartz IV und ohne Arbeit gemütlich, heißt es. Gemeinsam ist den Reichen und den Armen – angeblich, dass sie es sich auf Kosten der anderen gut gehen lassen.

Ich behaupte: Den Armen geht es nicht gut. Mit Niedriglöhnen oder Sozialleistungen lebt es sich nicht gut. Schlimm, dass es immer mehr Menschen trifft, wie die neue Armutsstudie beweist. Ihr Ergebnis überrascht niemanden: Es gibt in Deutschland heute deutlich mehr Arme als vor zehn Jahren. Und: Betroffen sind insbesondere Alleinerziehende mit ihren Kindern und Familien mit vielen Kindern.

Und was ist mit den Reichen? Geht es ihnen gut? Daran lässt mich etwas zweifeln. Und zwar die Bibel. Der Evangelist Lukas erzählt, wie Jesus bei einem wohlhabenden Mann eingeladen ist. Zu seinem Gastgeber sagt Jesus folgendes:

"Wenn du ein Mittag- oder ein Abendmahl machst, dann lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein. Dann wirst du selig werden, denn sie haben nichts, um dir es zu vergelten. Es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten." Jesus hat hier besonders die Reichen und ihr Verhalten im Blick. Und so geschieht in der Erzählung, was auch in den aktuellen politischen Debatten passiert: Die Armen werden als anonyme Masse dargestellt. Sie werden in einem Atemzug mit allerlei Gehandicapten genannt. Armut als Behinderung. Das ist eine Kränkung für beide Seiten, für Arme und für Menschen mit Behinderungen. Arme erscheinen in der Geschichte - wie auch heute - nur als passive Almosenempfänger. Sie müssen sich einladen lassen ohne eine Gegeneinladung aussprechen zu können. Das ist eine weitere Kränkung. Es ist schlimm, arm zu sein. Niemand will das freiwillig.

Interessanter ist es schon, reich zu sein. Als Reicher kann ich einladen, wen ich will. Ich kann Freunden und der Familie etwas Besonderes bieten. Ich habe Geschäftskontakte, kann mein Leben gestalten. Ich kann sogar Gönner für Arme sein.

Interessant ist, was Jesus zum Almosen geben sagt, zum Sozialtransfer, wie es modern heißt. Jesus stellt keinen Pranger für die Reichen auf. Er erhebt keinen moralischen Zeigefinger, um das zu sagen, was schon ungezählte Male gesagt ist: Reiche haben eine Verantwortung für Arme und überhaupt für die ganze Gesellschaft. Denn das kennt jeder. Und wer will, beherzigt das längst. Und wer nicht will, weicht längst schon gekonnt aus. Etwas abgeben sollen die Reichen trotzdem. Aber nicht aus Edelmut oder Altruismus, sondern aus schlichtem Egoismus. Gemeint ist dabei kein kurzfristiger "geiziger" Egoismus sondern ein langfristiger "geistlicher" Egoismus.

Etwas davon haben viele Reiche schon lange begriffen: Geben ist schön. Es macht glücklich, etwas Sinnvolles und Hilfreiches mit seinem Geld an zu stellen und anderen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Geben ist seliger als Nehmen, wie Jesus es sagt und wie es schon viele selbst erlebt haben. So denkt Jesus eine Kultur des Ausgleichs neu. Ganz ohne Pranger. Statt anzuprangern führt er eine neue Messlatte für das Leben ein: Wie steht das eigene Leben da, wenn man es im Angesicht Gottes betrachtet? Wenn man am Ende zurückschaut - was zählt dann wirklich? Dann wird klar: Mehr Geld bringt nicht automatisch mehr Leben. Wir kommen auf die Welt ohne etwas mitzubringen und wir gehen wieder, ohne etwas mitzunehmen. Außer dem, was uns der Schöpfer mit gibt im Leben und in seinem himmlischen Reich. Seine Währung ist der himmlische Reichtum. Und dessen Schönheit kann schon hier und jetzt sichtbar werden: im Teilen und im Geben. Bibelstelle: Lukas 14,12-14


Über den Autor:

Stephan Krebs wurde 1958 in Wiesbaden geboren. Er studierte in Heidelberg Theologie. Nach seinem Vikariat folgte ein Spezialvikariat an der Medienzentrale der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Frankfurt. Ab 1988 war er Gemeindepfarrer im südhessischen Egelsbach. 1994 absolvierte er eine Publizistische Zusatzausbildung für Theologen im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik und wurde anschließend für sechs Jahre Fachreferent im Büro der Rundfunkbeauftragten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Dort organisierte er bundesweit Gottesdienstübertragungen für das ZDF. Seit 2001 ist er Pressesprecher der EKHN in Darmstadt. Stephan Krebs hat vier Kinder.