Bis zur Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene und Kinder, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, können Hilfebedürftige nach dem Karlsruher Urteil bei einem Härtefall einen zusätzlichen Bedarf geltend machen. Dieser müsse "laufend" und "unabweisbar sein, verfügten die Karlsruher Richter in ihrem am Dienstag verkündeten Urteil.
Jörg Ungerer, Leiter der Rechtsabteilung des Sozialverbandes VdK, befürchtet allerdings, dass die Härtefallprüfung sich wie das Orakel von Delphi gestalten wird. "Auf der 78-seitigen Urteilsbegründung hat das Bundesverfassungsgericht nur gut eine halbe Seite etwas zu den Härtefällen gesagt", kritisiert Ungerer. Jeder frage sich, was die Karlsruher Richter damit konkret gemeint haben.
"Was Härtefälle konkret sind, können hunderte Dinge sein"
"Wann muss denn das Jobcenter jetzt in Härtefällen für einen zusätzlichen Bedarf aufkommen?" fragt der Jurist. Monika Paulat, Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg und des Deutschen Sozialgerichtstages befürchtet, dass genau diese Frage zu deutlich mehr Hartz-IV-Klagen bei den Sozialgerichten führen wird. "Was Härtefälle konkret sind, können Hunderte Dinge sein", sagt Paulat.
"Es werden viele einen Härtefallantrag stellen", prophezeit Harald Thomé vom bundesweit tätigen Sozialhilfeverein Tacheles. Ein laufender medizinischer Bedarf oder auch regelmäßig anzuschaffende Schulmaterialien wie Bücher könnten ein zu erstattender Sonderbedarf sein. "Verbandsstoffe und Cremes für Neurodermitis-Patienten können ebenso unter die Härtefallklausel fallen wie regelmäßige Fußkosmetik für Diabetiker", sagt Thomé.
Auch das Umgangsrecht geschiedener Eltern mit ihren getrennt lebenden Kindern oder der Umgang mit inhaftierten Angehörigen fallen nach Einschätzung von Thomé unter die Härtefallklausel. Dann müssten die Jobcenter für die Fahrtkosten aufkommen. "Das kann im Einzelfall teuer werden", sagt der Sozialrechtsexperte.
"Wir lassen die Anträge auf uns zukommen"
"Es ist bislang offen, was alles als Härtefall anzusehen ist", sagt Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Hesse geht ebenfalls von einer Zunahme der Zahl der Klagen wegen unklarer Härtefälle aus. Er hofft, dass es schnell Vorgaben von der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt, die klar regeln, wann ein Härtefall vorliegt.
Stephan Hupe vom Jobcenter Kassel erklärt: "Wir lassen die Anträge auf uns zukommen." Eine Antragsflut erwarte er nicht. Er wünscht sich vom Bundesarbeitsministerium "möglichst bald ein Prüfraster", nach dem er und seine Kollegen in den Jobcentern die Härtefallanträge sachgerecht beurteilen können.
Die Bundesagentur für Arbeit warnte bereits vor zu hohen Erwartungen an die Härtefallregelung. Vorstandsmitglied Heinrich Alt erklärte unmittelbar nach der Karlsruher Urteilsverkündung, dass Extra-Leistungen nur in seltenen Ausnahmefällen gewährt werden könnten. Letztlich werden dies aber wohl die Gerichte entscheiden müssen.